Выбрать главу

Und jetzt auf deine alten Tage willst du auf die Kirmes gehen und machst dir einen Lockenkopf! Sag, bist du am Ende verliebt?«

»Na klar«, scherzte ich, »seit ich mit einem männlichen Wesen zusammenlebe, sieht die Welt ganz anders aus.«

»Was sagst du da?«

»Na ja, der Dieskau teilt mit mir Tisch und Bett.«

»O Gott«, seufzte Beate, »ich hab’ zwar schon gehört, daß man einem Hund zuliebe viel spazierengeht, aber noch nie, daß man für ihn zum Frisör rennt.«

Aber sie erklärte sich bereit, am Samstag mitzukommen.

»Gut, daß du nicht am Sonntag wolltest, da kommen alle drei Kinder zum Essen. Es könnte übrigens sein, daß sie schon am Samstag da sind, dann geht es eben nicht.«

Beate war während der Woche mit ihrem Job und ihrem Jürgen voll beschäftigt, am Wochenende fielen dagegen mit schöner Regelmäßigkeit ihre drei erwachsenen Kinder wie die Heuschrecken ein, warfen schmutzige Wäsche ab und aßen die Vorräte leer. Ich war froh, von dieser Plage verschont geblieben zu sein.

Die Woche verging schnell. Ich konzentrierte mich auf die Arbeit in der Versicherung, schrieb einen langen Brief an Frau Römer, ging täglich mit dem Dieskau in den Park und wusch meine Gardinen. Am Freitag rief Witold an; er hatte in Bickelbach kein Telefon, so daß ich ihn sowieso nicht erreichen konnte. »Na, Thyra, ist alles klar? Klappt es morgen?« fragte er verschwörerisch. »Mein Freund Ernst Schröder kommt jedenfalls mit, er war angetan von der Idee, denn er ist momentan Strohwitwer.«

Beate und ich schlenderten am bewußten Samstag nachmittag gegen fünf Uhr durch die Weinheimer Altstadt. Um sechs wollte ich sie unauffällig in einer bestimmten Gasse an einen Tisch lotsen. So einfach war das aber gar nicht. Beate animierte die starken Männer, den Lukas zu hauen.

Pünktlich waren wir nicht, es war bereits Viertel nach sechs, als es mir glückte, sie zum Sitzen zu bringen. Außerdem war kaum mehr Platz an diesem Tisch, wohin sollte sich Witold dann noch zwängen? Ich sah ihn um halb sieben von weitem mit einem klobigen, bärtigen Mann und anscheinend schon angeheitert dahertrudeln. Ich war erhitzt von Vorfreude und Angst und paßte überhaupt nicht auf, was mir Beate berichtet hatte.

Schon waren die beiden Männer an unserem Tisch.

»Entschuldigung, können Sie noch etwas rutschen?« fragte Witold listig das Ehepaar, das uns bisher gegenübergesessen hatte.

Beate meinte: »Hier ist es schon eng genug, gehen Sie doch mal hinten an einen Tisch, da sieht es bestimmt besser aus.«

Aber das Ehepaar erhob sich. Der Mann sagte, sie hätten sowieso gerade gehen wollen, er werde an der Theke zahlen.

Prompt saß Dr. Schröder mir und Witold Beate gegenüber.

»Ach«, rief Beate, »ich weiß, wer Sie sind! Sie sind doch Rainer Engstern, der jedes Jahr in der Heppenheimer Volkshochschule einen Vortrag hält!«

Witold bestätigte das.

»Ich bin Beate Sperber«, sagte sie, »und das ist meine Freundin Rosi Hirte.«

Nun stellte sich auch Dr. Schröder vor.

»Rosemarie paßt aber gar nicht zu Ihnen«, sagte Witold unverfroren, »haben Sie nicht noch einen anderen Namen?«

»Thyra«, hauchte ich.

Beate zog ein Gesicht.

»Nein, Rosi, das kann doch nicht wahr sein! Davon hast du mir ja noch nie was gesagt!«

Kühn blickte ich Witold ins Gesicht und sagte: »Rainer paßt aber auch nicht besonders gut zu Ihnen!«

Um es kurz zu machen, binnen weniger Minuten hießen wir wieder beim Zweitnamen und duzten uns alle vier, was Beate angestiftet hatte. Allerdings hatte Ernst Schröder auf Befragen gar keinen Zweitnamen, wurde aber von Witold gelegentlich Hakim genannt, denn er hatte zuerst Medizin studiert, bevor er Apotheker geworden war. Beates Zweitnamen war Edeltraud, und sie verbat es sich energisch, ihn anzuwenden.

Witolds Freund Ernst, oder El Hakim, erzählte mir lang und breit, daß seine Frau in Amerika sei, daß sein Sohn gerade sitzengeblieben war und daß er Witold bei der SPD kennengelernt habe. Er hatte eine beginnende Glatze, war gemütlich und nett, aber eigentlich wollte ich ja nur mit Witold reden, ihn ansehen und anlächeln. Beate schien sich aufs beste mit ihm zu verstehen. Sie geriet sofort in Fahrt, wenn Männer auftauchten, die ihr gefielen. Zuerst hörte ich mit halbem Ohr, daß die beiden seriöse Konversation über das Volkshochschulprogramm machten. Dann frozzelten und klatschten sie über ein Original unter den älteren Dozenten, und schließlich sah ich, wie sie Tränen lachten. Ein wenig kränkte mich das, ich wollte teilnehmen an diesem herzerfrischenden Gelächter. Aber ich konnte den freundlichen Schröder nicht gut vor den Kopf stoßen, mußte ihm antworten und nett sein. Meine gute Laune verflog immer mehr, je fröhlicher Beate an meiner Seite wurde.

An unserem langen Tisch wurde es im übrigen bei zunehmendem Alkoholkonsum immer lauter, so daß ich inzwischen fast gar nichts mehr verstehen konnte. Auf einmal drehte sich Beate zu mir um. »Hast du Kopfschmerzen oder was, du machst so ein bewölktes Gesicht?«

Ich beteuerte, mir ginge es gut, aber man könnte ja noch ein bißchen woanders sitzen, wo vielleicht bessere Luft sei, und diesen Platz hier verlassen. Ich hoffte, daß ich dann neben oder meinetwegen auch gegenüber von Witold zu sitzen käme. Die anderen waren einverstanden. Witold zwinkerte mir sogar heimlich zu, da wurde mir etwas leichter ums Herz.

Wir schlenderten durch die engen Gassen, die mit vielen bunten Lämpchen liebevoll herausgeputzt waren. Ernst Schröder strebte zum Schießstand.

»Jetzt werden wir den Damen eine edle Blume erringen!«

Mir gefiel das Schießen nicht, denn Witold und ich hatten dabei ungute Gedanken. Ernst Schröder schoß so lange, bis er wirklich eine scheußliche lila Plastikorchidee ergatterte, die er mir galant überreichte. Witold sagte, er wolle und könne nicht schießen.

Beate aber sprudelte hervor: »Ich schieße für dich!«

Sie traf ausgezeichnet, denn Beate war an Geschicklichkeit stets ein Naturtalent. Sie bekam eine rote Rose, steckte sie umständlich an Witolds Hemd und fummelte für meine Begriffe viel zu lange an ihm herum. Dann wurde sie übermütig und verlangte nach der Schiffsschaukel.

»Da muß ich aber passen«, sagte der rundliche Ernst, »mir wird schon beim Zuschauen schwindlig.«

Auch mir war nicht danach zumute, das versammelte Publikum unter meine schwingenden Röcke schauen zu lassen.

Aber ich wurde gar nicht erst gefragt. Beate hatte Witold einfach an die Hand genommen, und beide schwangen sich, eng gegenüberstehend, unter juchzendem Lachen in die Höhe.

Ich fand das absolut geschmacklos.

Schließlich landeten sie wieder auf der Erde. Witold war käsig und lachte nicht mehr.

»Du siehst ja aus, als würdest du gleich zum Wiederkäuer werden, bist halt auch nicht mehr zwanzig«, meinte der freundliche Hakim. Beate nahm die Gelegenheit wahr, so zu tun, als ob sie durchaus noch zwanzig sei (dabei war sie genau drei Monate älter als ich); sie gab mächtig an mit ihrer Schwindelfreiheit und behauptete, für sie wäre der Beruf des Dachdeckers oder Schornsteinfegers die ideale Lösung gewesen.

Witold beachtete sie nicht und steuerte eine Bank an.

»Mensch«, sagte Ernst Schörder, »mach keinen Scheiß. Ist dir schlecht, oder was hat dir auf einmal die Petersilie verhagelt?«

Witold schluckte.

»Ich steh’ da oben auf der Schaukel und grunze wie ein Affe, da seh’ ich dort unten zwei Ladenburger Schüler stehen.«

»So what?« rief Beate arglos, »Lehrer sind doch auch Menschen!«

Aber Ernst belehrte sie: »Rainer ist krankgeschrieben, und die Schüler denken, er liegt im Bett. Dann sieht das auf der Schaukel wirklich nicht besonders seriös aus, und sie werden ihn erpressen, wenn sie selber schwänzen wollen.«

»Halt mal«, warf jetzt Witold ein, »ich bin zwar krankgeschrieben, aber die Diagnose lautet ›schwerer psychischer Erschöpfungszustand mit Depressionen‹ Der Arzt hat ausdrücklich verboten, daß ich viel im Bett liege und grüble. Ich soll lange Spaziergänge machen, hat er geraten.«