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Trotzdem war Witold nicht mehr in Stimmung und wollte plötzlich heim, dabei bemerkte er, daß er in Anbetracht des Weinkonsums mit dem Fahrrad gekommen war. Ich bot ihm an, ihn mitsamt seinem Rad heimzufahren. Aber er war mürrisch und sagte, er wolle mich nicht inkommodieren. Ernst könne ihn im Auto nach Ladenburg mitnehmen, er wolle heute in seinem eigenen Bett zu Hause schlafen.

Also trennten wir uns. Ich hatte Beate abgeholt und mußte sie jetzt auch zurückbringen. Als wir zusammen im Wagen saßen, fing Beate an: »Rosi, du hast aber auf diesen Ernst Schröder großen Eindruck gemacht. Mein Kompliment!«

Ich schwieg. Das stimmte nämlich nicht, Beate redete nur so, damit ich ihr meinerseits zu ihren Erfolgen gratulieren sollte, und den Gefallen wollte ich ihr wirklich nicht tun. Ich hätte sie sowieso am liebsten irgendwo auf dunkler Straße ausgesetzt, aber ich konnte ihr meine Wut und Enttäuschung ja noch nicht einmal andeuten. Eigentumsrechte auf Witold hatte ich nicht, darüberhinaus sollte sie ja glauben, wir hätten uns alle vier gerade erst kennengelernt.

Beate begann sich nun selbst zu loben, wo ich es nicht tat.

»Ich war aber auch nicht schlecht heute«, begann sie. Es war zum Heulen.

»Dieser Engstern und ich haben viele gemeinsame Bekannte, außerdem kennen sich unsere Kinder. Da gab es gleich eine Menge Anknüpfungspunkte.«

Ich schwieg weiter. Beate hörte schließlich auf zu plappern, und wir fuhren wortlos die dunkle Bergstraße entlang.

Kurz vor ihrer Wohnung fragte ich bang: »Seht ihr euch wieder?«

Beate lachte. »Wo denkst du hin. Dieser Mann hat Charisma, der ist ’ne Nummer zu groß für mich. Für einen solchen Abend — gut. Aber noch mehr — nee. Das würde nur Ärger für mich bringen. Weißt du, wenn so ein faszinierender Mann plötzlich frei wird, dann sucht er sich garantiert ’ne Neue aus, die mindestens zehn Jahre jünger ist. Glaub mir, ich hab’ Erfahrung!«

Auch das hörte ich nicht gerade gern.

»Dein Jürgen ist ja noch viel jünger«, warf ich ein.

»Klar«, sagte Beate trocken, »aber du siehst doch selbst den Qualitätsunterschied.«

Nun hatte ich doch wieder etwas für sie übrig und verabschiedete mich nicht so frostig, wie ich vorgehabt hatte.

Die Tage nach diesem Samstag krochen dahin. Wir hatten nichts verabredet, ich konnte mich auf kein Treffen freuen, wann würde ich Witold wiedersehen? Anrufen konnte ich ihn in Bickelbach nicht, schreiben wollte ich auch nicht, das nahm unserer Beziehung das Schwebende. Außerdem fürchtete ich den Rotstift des Lehrers, denn Aufsatz war nicht gerade meine Stärke gewesen.

Statt des erhofften Anrufs kam einer von Beate.

»Hallo Rosi, wie hast du die ungewohnte Kirmes-Orgie überstanden?« fragte sie spöttisch. »Übrigens waren unsere beiden Eroberungen am Sonntag darauf bei mir.«

Ich wollte etwas ganz Beiläufiges dazu sagen, aber dumpfe Verzweiflung kroch mir wie ein Wurm in der Kehle hoch, und meine Stimme knurrte nur.

»Der Dieskau meckert«, fuhr Beate fort, »sicher warst du heute noch nicht mit ihm weg. Also, ich wollte dir doch erzählen: Sonntag gegen sechs Uhr nachmittags schellte es, und ich war nicht gerade erbaut darüber, weil ja die Kinder da waren und ich gerade das Essen fertig hatte. Na, es waren also der Rainer Engstern (zum Glück sagte Beate ›Rainer‹ und nicht ›Witold‹) und der Ernst Schröder. Sie waren auf dem Weg in den Odenwald, denn Rainer war ja am Samstag mit nach Ladenburg gefahren. Nun brachte ihn der gute Ernst mitsamt seinem Fahrrad wieder nach Bickelbach zurück. Nett war ja die Idee, mal auf einen Sprung bei mir reinzuschauen. Ich liege ja quasi auf dem Weg.«

Ich gab ein »Hm« von mir. Leider lag ich wirklich nicht auf dem Wege, das mußte man zugeben. Beate erzählte weiter:

»Die beiden waren nicht abgeneigt, mit uns zu essen. Ich hatte auch zufällig eine Lammkeule mit Knoblauch und grünen Bohnen, das hat diesen frauenlosen Burschen natürlich geschmeckt.«

Ich wußte, wie gut Beate kochte. Klar, damit fing sie die Männer ein. Jürgens Anhänglichkeit konnte auch nur solche Gründe haben.

»Und die Kinder?« fragte ich matt.

»Oh, die sind ja manchmal sehr charmant. Sie haben sich prächtig mit Rainer verstanden. Die Lessi kannte ihn ja schon durch Eva und seinen Sohn Max. Aber auch Vivian und Richard hatten Freunde, die mal bei ihm in die Schule gegangen sind. Er hat sich sehr lustig mit den Kindern unterhalten und sich besonders für Vivians Kunststudium interessiert.«

Was konnte ich dagegen anbieten? Bestimmt keine Lammkeule und drei Kinder, die frischen Wind in den Laden bringen. Beate fuhr fort: »Den Ernst finde ich übrigens besonders nett, aber der Rainer ist noch eine Prise besser. Rosi, das verdanke ich eigentlich dir, daß ich diese duften Typen kennengelernt habe, ohne dich wäre ich gar nicht dorthin geraten.«

Ich weinte, aber das konnte sie nicht sehen. Wie gemein sie sich ausdrückte!

Beate quasselte immer noch weiter: »Der Rainer bleibt übrigens nur noch diese Woche in seinem Refugium im Odenwald. Er will am Montag wieder Unterricht geben, obgleich er sich sicher noch länger krank schreiben lassen könnte. Na, er will wieder in sein Haus, sagte auch, dort gebe es einiges zu erledigen.«

Ich konnte in dieser bleiernen Nacht wenig schlafen. Es saß mir von meiner Erziehung her tief in den Knochen, daß eigentlich der Mann die Werbung übernehmen sollte. Aber wenn er es nicht tat? Und überhaupt, waren das nicht längst überholte Vorstellungen, die ich von meiner nonnenhaften Mutter übernommen hatte? Beate verhielt sich da viel zupackender. Sollte ich einfach wie sie die Initiative ergreifen, wieder mal hinfahren? Oder war das aufdringlich? Ich wußte es nicht.

Am Freitagabend hielt ich es nicht mehr aus. Ein verlorenes Wochenende stand mir bevor, wenn ich nichts unternahm. Ich rief versuchsweise in Ladenburg an, Witold meldete sich sofort, was ich nicht erwartet hatte.

»Rosemarie Hirte«, stotterte ich, wie ich mich eben meistens melde.

»Wer? Kenn ich nicht, Sie haben sich verwählt«, sagte er kühl. »Ich bin’s doch«, piepste ich wie ein weinerliches Kind.

»Ach Thyra«, lachte er auf einmal, »na klar, entschuldigen Sie, ich habe nicht gleich geschaltet.«

Er sagte nicht »du«, sondern »Sie«. Was sollte ich eigentlich vorbringen? Ich fragte nach seinem Befinden und ob er Bickelbach schon lange verlassen habe.

»Ich bin heute morgen erst wieder hier eingetroffen«, erklärte Witold ganz eifrig. »Wissen Sie, ich unterrichte eine zwölfte Klasse im Leistungskurs, da geht es einfach nicht an, daß ich noch länger fehle. Ich weiß genau, daß es mit der Vertretung vorn und hinten nicht klappt, schließlich sollen meine Schüler nicht darunter leiden, daß ich depressiv bin.«

Eigentlich hatte ich bei unseren Treffen nichts von einer Depression gemerkt.

»Also müssen Sie sich jetzt auf den Unterricht vorbereiten?« fragte ich zaghaft.

»Das natürlich auch. Aber der Garten ist in traurigem Zustand, die Schnecken haben fast alles weggefressen. Ab Montag kommt eine jugoslawische Putzfrau, die mir Freunde vermittelt haben. Aber bevor die überhaupt anfangen kann, muß ich gründlich aufräumen und mich auch mit der Waschmaschine auseinandersetzen.«

Beate würde jetzt spontan ihre Hilfe anbieten. Ich mußte meine Verklemmtheit überwinden und etwas in diesem Sinne sagen. Ich vermied es, ihn mit »du« oder »Sie« anzusprechen.

»Am Wochenende habe ich ausnahmsweise nichts vor, ich könnte kommen und helfen. Waschen und bügeln kann ich schließlich auch, im Garten könnte ich fürs Grobe angestellt werden, und zwischendurch kann ich Kaffee kochen und Kuchen holen.«

Von Kochen sagte ich vorsichtshalber nichts.

»Ein liebenswürdiges Angebot. Aber beim Aufräumen kann mir eigentlich niemand helfen, das muß man schon selber machen. Die Waschmaschine kann ich auch allein füllen, Montag wird die Jugoslawin bügeln. Außerdem erwarte ich am Sonntag Besuch, da bin ich voll ausgebucht. Also herzlichen Dank, Thyra, das war eine liebe Idee. Vielleicht komme ich ein andermal darauf zurück.«