Ich bat ihn, sich zu melden, sobald er mich brauchen könne.
Unter belanglos freundlicher Konversation verabschiedeten wir uns, ohne irgendein Treffen vereinbart zu haben.
Ich warf vor Wut ein Sofakissen auf den Boden. Der Dieskau fühlte sich angesprochen, kroch herbei und bat um Verzeihung, als sei er an allem schuld. Ich streichelte ihn ein wenig und redete auf ihn ein: »Ach Dieskau, einmal im Leben will ich etwas haben! Koste es, was es wolle, ich will diesen Mann! Aber es ist so schwer, ich weiß nicht, wie man so etwas anstellt.«
Ich heulte, der Hund legte seine Schnauze auf mein Knie und sah mich unendlich melancholisch an. Er war ein Wunder an Empathie.
Wer mochte nur Witolds Besuch am Sonntag sein, etwa Beate?
Der Sonntag verging sehr trist. Ich stellte mir vor, wie Beate in ihrer flinken Art bei Witold Gemütlichkeit herbeizauberte, kochte und lachte. Die beiden passen zueinander, dämmerte es mir; Kunst, Literatur, Musik — davon hatte Beate viel Ahnung, ich dagegen gar nicht. Sie werden den ganzen Tag zusammen Spaß haben… Und am Abend? Ob sie dann Sekt tranken und ins Bett gingen? Ich wurde fast verrückt bei diesen Vorstellungen und rief am späten Nachmittag bei Beate an.
Lessi meldete sich. »Meine Mutter ist nicht da«, teilte sie mir lakonisch mit.
Wo sie denn sei, wollte ich wissen.
»Vivian und Richard sind gestern für ein paar Tage nach London gefahren, da hat sie heute kein Familienessen gekocht, denn ich zähle anscheinend nicht«, klagte die infantile Lenore.
»Ich weiß übrigens nicht, wo sie ist, vielleicht ist sie in ein Konzert gegangen.«
Ich legte auf. Die Sache war bitter, aber klar: Beate lag jetzt mit Witold im Bett, dabei hatte sie doch schon morgen wieder den Jürgen. Warum bekamen andere Frauen alles und ich nichts? Sollte ich sie zur Rede stellen?
Um elf Uhr abends ging das Telefon. Beate sagte: »Lessi hat mir gesagt, daß du angerufen hast. Die dumme Gans, ich hatte ihr genau erklärt, wo ich hingehe. Wie so oft, hat sie gar nicht hingehört.«
»Na, und wo warst du?«
»In Frankfurt, hab’ mir eine tolle Kandinsky-Ausstellung angesehen und bin dann mit einer Freundin türkisch essen gegangen. Es war richtig schön.«
Ob sie so routiniert log? Aber warum sollte sie überhaupt?
Sie hatte gar keinen Grund, mir irgend etwas über ihre Beziehung zu Witold vorzuenthalten, denn sie ahnte ja gar nicht, daß er mir gehörte. Vielleicht hatte sie jedoch ein schlechtes Gewissen, daß sie ihren Jürgen betrog; aber das brauchte sie bei einem verheirateten Liebhaber wiederum nicht zu haben. Voller Zweifel legte ich mich ins Bett.
An einem der nächsten Abende schlich ich mich wieder im Dunkeln durch Witolds Garten. Es war jetzt bereits um neun Uhr finster, und ich hatte Vorsichtsmaßnahmen getroffen, daß er mich nicht entdecken konnte — schwarze Einbrecherkleidung.
Er saß wie damals, als ich ihn zum ersten Mal beobachtet hatte, am Schreibtisch und schrieb. Ich liebte ihn so sehr, diesen schönen und klugen Mann, der so einsam und konzentriert arbeitete. Mindestens eine Stunde lang stand ich im nächtlichen Garten, bis ich mich leise wieder davonmachte.
Der Zaun war noch genauso lose wie damals, Witold hatte es nicht für nötig befunden, ihn zu reparieren.
Es war wie eine Sucht. Ich fuhr jetzt fast jeden Tag wieder nach Ladenburg, obgleich es sicher nicht ungefährlich war und die Nachbarn alle wieder vom Urlaub zurück waren. Witold war immer allein. So gern wäre ich durch die Balkontür getreten oder hätte vorn an der Haustür geschellt. Aber wir hatten verabredet, daß er sich melden sollte.
Eines Abends sah ich einen zweiten Wagen vor seinem Haus stehen. Es war der von Beate. Also doch! Mir wurde ganz übel.
Ich hatte alles falsch gemacht, ich hätte ihn anrufen sollen, ihn besuchen, ihm schreiben — was hätte ich schon dabei riskiert! Jetzt schnappte sich Beate meine Beute, weil ich zu lange gewartet hatte.
Ich kroch in den Garten. Im Wohnzimmer war niemand.
Lange wartete ich. Küche oder Bett, war jetzt nur noch die Frage. Schließlich wurde es mir zu kalt, zitternd und durchgefroren fuhr ich heim, genauso wie an jenem Abend, als Witolds Frau starb.
Nach deprimierten Tagen beschloß ich, nicht aufzugeben, zu kämpfen. Ich rief Witold an und lud ihn einfach zu mir ein. Er könne am Wochenende nicht, bedauerte er. Ich bot ihm andere Termine an, und er versprach endlich, an einem Donnerstag zu kommen.
Jetzt mußte ich aufs Ganze gehen. Ich hatte noch vier Tage Zeit. Ich legte mir eine Liste an: Ich mußte es hinkriegen, an diesem Abend eine zauberhafte, urgemütliche Atmosphäre zu schaffen, ich mußte atemberaubend jung und schön aussehen, charmant und geistreich plaudern und darüber hinaus ein köstliches, aber scheinbar mühelos bereitetes Essen auf den Tisch stellen. Überhaupt mußte alles so wirken, als sei es nicht extra für ihn arrangiert, sondern als sei es bei mir immer wie im Paradies. Ich lief zur Kosmetikerin, kaufte mir einen weinroten Samtrock und eine heraldisch gemusterte Bluse aus Crepe de Chine. Ich besorgte Kerzen, Sekt, eine neue Tischdecke, Parfüm.
Aber am meisten grübelte ich in langen Bürostunden über das Essen. Beate konnte ich nicht gut um Rat fragen; die hätte sofort einen idiotensicheren Vorschlag parat gehabt. Ich beschloß, ein Lachssteak zu braten — das ging schnell und mußte mir gelingen. Dazu grüne Nudeln, eine Butter-Estragon-Sauce und Salat. Die Soße bereitete ich versuchsweise schon zwei Tage vorher, und es klappte auch. Mein Gott, war ich aufgeregt.
Donnerstag kurz vor acht, ein letzter Blick in den Spiegel.
Viel zu fein! dachte ich plötzlich. Es soll doch alles lässig, locker wirken. Er wird im Pullover kommen, und ich stehe da wie eine aufgeputzte Provinzlerin. Ich riß mir Bluse und Rock wieder vom Leibe und stand in Unterrock und Panik vorm Kleiderschrank. Beate hätte das gemeistert, egal wie. Ich zog Hosen an und wieder aus, Blusen, Röcke, alles flog zu Boden.
Nein, es war einfach zu spät, in fünf Minuten konnte er kommen. Ich raffte die feinen Sachen vom Teppich und fuhr hektisch hinein, Hitze schwappte mir ins gepuderte Gesicht, sicher würde bald die Schminke auf den hellen Kragen tropfen.
Die vielen ungeeigneten Klamotten warf ich in den Schrank, schloß ab, eilte ans Fenster und spähte nach seinem Auto.
Dazwischen hetzte ich in die Küche: Alles vorbereitet, aber bevor er da war, konnte ich ja nicht gut den Fisch braten.
Witold kam pünktlich aufs akademische Viertel, in der Hand einen unpersönlichen Nelkenstrauß mit Asparagus, wo er doch in seinem Garten wirklich etwas Originelleres hätte pflücken können.
»Ich hoffe, ich bin nicht zu spät. Kommt Ihre reizende Freundin auch? Ein paar Näglein zum Besteck…«, und er überreichte mir etwas steif seine fünf gelben Nelken und behielt das zerknüllte Papier in der Hand. Zu diesem Strauß hätte meinerseits ein »aber das wäre doch nicht nötig gewesen« gepaßt. Ich unterließ es, bedankte mich und bemerkte maliziös, daß Beate einen Freund hätte, der sie unter der Woche völlig in Beschlag lege. Witold lächelte dazu: Entweder wußte er das bereits, oder es war ihm egal, oder er konnte sich vorzüglich beherrschen.
Ich goß Sherry ein, sauste in die Küche, setzte Nudelwasser auf. Eigentlich war ich nicht overdressed, fand ich.
Witold war sehr neutral angezogen, ohne Schlips, aber mit einem sommerlich hellen Jackett zu Edeljeans. Wir waren ein wenig befangen.
»Liegt die Waffe im Vater Rhein?« wollte er plötzlich wissen.
Nein, das tat sie nicht, aber ich antwortete: »Ja, natürlich, schon seit Wochen!«
Er sollte sich bloß nicht über mich aufregen, ich hatte den Revolver zwar nicht vergessen, aber den Auftrag noch nicht ausgeführt, weiß der Himmel, warum.
Das Essen war mir sogar gelungen. Witold lobte es mit beleidigender Höflichkeit, aß allerdings wenig und trank auch nicht viel. Die zauberische Stimmung damals bei Handkäs und Apfelwein kam nicht wieder auf, es war alles ein wenig künstlich.
Ich versuchte, Charme zu produzieren, berührte ihn beim Sprechen einmal am Arm, so wie ich das bei anderen Frauen beobachtet hatte, war aber sehr verkrampft. Nach dem Essen saßen wir auf meinen zugegebenermaßen ungemütlichen Sesseln, und ich wollte Sekt aufmachen. Witold wehrte ab. Er habe zum Essen ja schon Wein getrunken und vorher den Sherry, schließlich müsse er noch heimfahren. Außerdem sei morgen erst Freitag und für ihn fast der härteste Tag.