Sollte ich — wie früher die Frau meines Chefs — einen anonymen Brief schreiben, zum Beispiel an Jürgen: »Beate betrügt Sie«? Aber im Zweifel würde Beate den Jürgen sofort fallen lassen, wenn sie es nicht bereits getan hatte. Und Jürgen wiederum hatte schließlich eine Ehefrau, er konnte keinerlei Rechte auf Beates Treue geltend machen. Was standen mir noch für Mittel zur Verfügung, Beate auszuschalten? Welche Drohung könnte sie ernst nehmen? Sie war nicht so leicht einzuschüchtern. Mit anonymen Briefen würde sie ganz einfach zur Polizei gehen.
Meine hilflose Wut auf Beate steigerte sich unaufhaltsam.
Ich hätte sie auf der Stelle erwürgen können. Erwürgen?
Warum eigentlich nicht?
Von da an konnte ich an nichts anderes mehr denken.
Beate, meine einzige Freundin! Ich werde dir nicht weh tun, Beate, dich nicht quälen. Du sollst schnell sterben, ohne daß lange gezittert und gefackelt wird. Ich werde dir nicht wie in einem Kriminalfilm lange Reden halten, bevor ich abdrücke.
Kopfschuß, das ist es, sofort bewußtlos, Hirnblutung und aus.
Wie gut, daß ich die Waffe nicht weggeworfen hatte. Aber es galt natürlich zu überlegen: Wie, wo, wann — ich durfte mit der Tat nicht in Verbindung gebracht werden. In diesem Fall hatte das Opfer eine Beziehung zu mir, ich würde sicher befragt werden. Mein Motiv, das war natürlich ein großes Glück, konnte dagegen niemand erraten.
Ich mußte mich mit Beate irgendwo treffen, wo keine Menschen waren; niemand durfte wissen, daß ich mit ihr zusammenkam, und niemand durfte mich sehen. Das würde nicht ganz leicht werden; angenommen, ich würde mich telefonisch mit ihr verabreden, so war es ziemlich sicher, daß Beate in ihrer redseligen Art irgend jemand von der Volkshochschule, ihren Kindern, Freunden, Nachbarn oder am Ende Witold etwas davon sagte. Mein Vorteil war allerdings, daß sie mir völlig vertraute und ich sie überall hinlocken konnte; günstig war außerdem, daß ich ihre Gewohnheiten ganz gut kannte, ihre Bürozeiten und sogar die Kurse, die sie jetzt nach den Sommerferien wieder fleißig besuchte.
Vielleicht würde es nicht auf Anhieb klappen, dann müßte ich es eben immer wieder versuchen. Wichtig war, daß Beate arglos blieb.
Nach schlaflosen Nächten hatte ich einen Einfall. Fast jeden Samstag ging Beate morgens erst einkaufen und dann ins Hallenbad und blieb dort eine Stunde. Auch dahin hatte sie mich schon das eine oder andere Mal mitgeschleift, aber ich fand wenig Gefallen daran, mit roten Augen und chlorstinkender Haut mein Wochenende zu beginnen. Nun, ich könnte versuchen, Beate bei ihrem Wagen auf dem Hallenbadparkplatz abzupassen und mit ihr irgendwohin zu fahren. Doch der erste Versuch ging fehl, Beates Auto stand nicht auf diesem Platz. Ich umkreiste ihre Straße und sah Witolds Wagen wieder dort parken. Mitleid ist nicht angebracht, sagte ich mir, sie hat es nicht anders verdient. Im übrigen konnte ich warten, erstens auf eine gute Gelegenheit und zweitens auf Witolds Liebe.
In der nächsten Woche hatte ich Glück. Inzwischen war mein Plan auch ausgereift. Ich hatte einen Korb mit Picknicksachen bei mir und wollte Beate zu einem spontanen Ausflug überreden.
Ich wartete in meinem Wagen. Von weitem konnte ich den Ausgang des Hallenbades beobachten. Als Beate schließlich gegen elf Uhr auftauchte, schlüpfte ich schnell heraus und postierte mich vor ihrem Polo.
»Grüß dich, Rosi!« rief Beate, sichtlich überrascht, »was machst du denn in dieser finsteren Gegend?«
»Ach, ich sah dein Auto hier, und da kam mir eine Idee!«
Beate verstaute Bademantel und eine Handtuchrolle auf dem Rücksitz.
»Laß hören«, sagte sie gutgelaunt.
»Na ja, die Idee hatte ich genau genommen schon zu Hause.
Weißt du, ohne Hund komme ich gar nicht mehr raus, was mir irgendwie fehlt. Was hältst du von einer kleinen Tour: Wir gehen spazieren und picknicken zusammen, hier im Korb ist alles dafür da.«
»Wirklich, Rosi, in letzter Zeit verblüffst du mich immer wieder! Früher war ich die Spontane und nicht du, aber mit zunehmendem Alter werde ich immer unflexibler. Also, steig mal ein, ich muß kurz überlegen.«
Wir setzten uns in ihren Wagen. Beate sah auf die Uhr.
»Erst fahren wir mal heim«, schlug sie vor, »ich möchte meine Einkäufe in den Kühlschrank räumen, den Badeanzug aufhängen und mir die Haare trocknen.«
Gerade das wollte ich nicht. Zu Hause hätte uns gleich Lessi oder sonst jemand von ihrer Brut die Tür aufgemacht, außerdem konnte mich die halbe Stadt vorher im Auto neben Beate sehen.
»Ach weißt du«, erwiderte ich, »dann lohnt es sich eigentlich nicht mehr so recht. Ich habe auch nicht beliebig viel Zeit.
Deine Haare trocknen doch in der Sonne auch ganz flott, und wenn dein Auto im Schatten steht, wird dein Gemüse nicht in zwei Stunden verderben. Oder hast du etwas Tiefgefrorenes dabei?«
Beate schüttelte den Kopf. Sie zögerte. Wieder sah sie auf die Uhr.
»Na gut, zwei Stunden, aber nicht mehr. Dem Gemüse schadet es wirklich nicht, und dem Sauerbraten wahrscheinlich auch nicht. Wo ist denn dein Auto?«
Ich sagte, es stände in der Nähe, aber wir könnten ja gleich mit ihrem losfahren, wo wir nun schon drinsaßen.
»Klar, und wohin?« Beate startete.
»Na, in den Wald«, schlug ich vor, »es ist so zauberhaftes Wetter, wer weiß, wie lange es noch anhält. Altweibersommer, das passende Wetter für uns beide.«
»Ich wüßte was Hübsches, ja, dahin fahren wir«, sagte Beate. Nun wollte ich nicht mehr widersprechen, aber wenn es ein vielbesuchter Ort war, würde es heute wieder nichts mit meinen Plänen.
Das Hallenbad lag am Ortsende, und wir brauchten nicht mehr durch die Stadt zu fahren, die gerade von einkaufenden Menschen verseucht war. Das war ein Teil meines Planes.
Beate nickte zwar einmal einer Frau zu, aber es schien nur eine flüchtige Bekanntschaft zu sein. Sie fuhr die Berge hoch bis zu einem Waldparkplatz.
»Ist dein Korb schwer?« fragte sie, »ich könnte nämlich, wenn es auch verboten ist, den Weg für die Holzabfuhr noch ein Stück weiter fahren, dann müssen wir nicht so schleppen.«
Das war ideal.
»Na ja«, gab ich zu, »ich habe eine Thermoskanne mit Kaffee und eine Flasche Sekt (die ich für Witold gekauft hatte), das wiegt schon etwas.«
Beate lachte. »Der Sekt wird auf diesem Holperweg ja schön durchgerüttelt, und warm ist er sicher auch; aber es war lieb gemeint von dir, Rosenresli!«
Sie fuhr langsam den Buckel hoch, bog zum Parken in einen Trampelweg ein und versteckte den Wagen hinter einer buschigen Kiefer auf einem Stück Waldwiese.
»Auf geht’s!« rief sie. »Zwanzig Minuten sind schon rum.
Übrigens kannst du Gedanken erraten: Ich habe Hunger und Durst vom Schwimmen. Ehrlich gesagt, habe ich heute nicht gefrühstückt, denn ich muß dringend ein paar Pfund abwerfen.
Aber mit einem leckeren Picknick führst du mich total in Versuchung.«
Beate deutete auf einen hohen Aussichtsturm.
»Da müssen wir rauf. Ich war vor kurzem mal mit Jürgen dort, man hat einen zauberhaften Blick auf die Rheinebene.«
Ob das gut war? Ich hatte den Revolver in meiner größten Handtasche, verborgen in einem Reißverschlußfach. Fast hoffte ich, es würde alles nicht klappen, es wären Spaziergänger zu sehen oder ein Försterjeep zu hören.
Der Ausblick vom Turm war herrlich. Im blauen Dunst sah ich in der Ferne Mannheim funkeln, im Südwesten mußte Ladenburg liegen. Ich suchte die unmittelbare Umgebung nach Menschen ab, sah aber nichts. Auf dem Waldparkplatz hatten zwei Autos gestanden.
»Her mit dem Sekt!« forderte Beate.
Ich breitete auf dem sonnenwarmen Boden des Turms ein rotkariertes Küchentuch aus. ›Henkersmahlzeit‹ dachte ich.
Beate musterte alles neugierig.
»Gegrillte Hähnchenteile und Baguette, Schinken und Melone, Weintrauben und Käse! Rosi, du bist ein Genie!«
Sie machte geübt den lauwarmen und mächtig sprudelnden Sekt auf. Beate fand diesen Schönheitsfehler lustig. Sie trank zwei Gläser schnell herunter, griff dann nach den Melonenscheiben und einem Hühnerbein. Ich tat auch so, als würde ich essen, aber die trockene Hühnerbrust blieb mir fast im Halse stecken. Ich mußte jetzt eigentlich den Revolver hinter Beates Rücken auspacken und meine lebenslustige Freundin — meine einzige — kaltblütig erschießen. Das konnte ich einfach nicht.