»Aha, jetzt bin ich auf einmal der Herr Faltermann. Die Gnädige will sich nicht mit einem Vertreter duzen. Die Beate war ein ganz anderer Mensch als du, die kannte keinen Dünkel und keine Vorurteile. Und in diesen lauen Typ war sie nie im Leben verliebt«, er überlegte kurz, »das könnte ich mir viel eher von dir vorstellen.«
Flammende Röte stieg mir ins Gesicht, und er sah es.
»Na, nichts für ungut, Rosi. Ich wollte die höhere Tochter nicht beleidigen. Eigentlich bin ich nur wild geworden, weil mich die Bullen nerven. Und das verdanke ich wahrscheinlich dir. Die denken, ich hätte mich mit Beate zum Sektfrühstück verabredet, sie hätte mir dabei eröffnet, daß sie einen anderen liebt, und ich hätte sie dafür abgemurkst. — Sie wissen nämlich auch, daß ich mit Beate schon einmal früher auf diesem Turm war, das hast du ihnen wohl auch erzählt.«
»Kann ich jetzt gehen?« fragte ich; mir ging es wirklich wieder ganz schlecht, ich bekam wohl einen Rückfall.
»Gleich«, sagte Jürgen, »nimm’s nicht so tragisch, ich bin eine ehrliche Haut und sage, was ich denke. Eine Frau in deinem Alter ohne Mann und Kinder hat wahrscheinlich Phantasien über anderer Leute Liebesleben. Steck also deine Nase nicht mehr in Dinge, die dich nichts angehen. Die Beate hätte sich weder aus unglücklicher Liebe umgebracht, noch hätte ich ihr etwas angetan, wenn sie mir den Laufpaß gegeben hätte. Ist das ein für allemal klar?«
Ich nickte, und er ließ mich endlich los. Ich zahlte an der Theke und machte, daß ich wegkam.
Im nachhinein fiel mir natürlich so manches ein, was ich ihm hätte sagen können. Wenn er mit den Phantasien alter Jungfern anfing, hätte ich kontern können, daß Beate mir den Qualitätsunterschied von ihm und Witold klargemacht hatte.
Wie soll man einen großen starken Mann umbringen (der einen mit zwei Fingern festhalten kann), wenn man keinen Revolver zur Verfügung hat? Gift? Und woher das Gift nehmen? Und wie es ihm eintrichtern? Ein neuer Revolver mußte her. Wie kommt man an so was ran? Ein Profi mußte her, ein Killer! Das war die Lösung. Ach, auch absolut indiskutabel, die wollen doch — laut Fernseh-Krimi — mindestens 100000 DM haben, woher sollte ich die nehmen?
Und wie sollte ich einen Killer finden, ich, die anständige Rosemarie Hirte von der Rechtsschutz-Versicherung? Ich schenkte ihm großmütig das Leben.
Außerdem hatte dieser Schuft mir die Chance genommen, nach der Beerdigung mit Witold zu sprechen. Immerhin war es möglich, daß Witold nach diesen traurigen Stunden mit einer Menschenseele reden wollte, aber nicht vor allen Verwandten mit Vivian in Kontakt treten mochte. Er hatte mich bestimmt gesucht. »Thyra«, hätte er gesagt, »komm, du Getreue, gehen wir noch zu dir und plaudern ein wenig!« Vielleicht hatte er sogar gesehen, daß ich mit diesem ekelhaften Jürgen Faltermann abgezogen war.
Ich vergrub mich in mein Bett und hörte die Brahmslieder.
»Auch der Küsse Duft mich wie nie berückte, die ich nachts vom Strauch deiner Lippen pflückte.« Witold war ein guter Psychologe. Er wußte, daß sich eine alte Jungfer bei solchen Worten ausweinen kann. Mein ganzes Leben lang hatte ich nicht soviel geweint wie jetzt, im beklagenswerten Alter von zweiundfünfzig Jahren, wo ich mich vielleicht zum ersten und einzigen Mal verliebt hatte, aber leider zu spät.
Konnte ich es mir leisten, geduldig zu warten, auszuharren, bis Vivian sich eine frische Liebe zulegte? Jeder Tag machte mich unwiederbringlich älter und häßlicher. Vielleicht war noch kurzfristig etwas zu retten — Haare färben, teures Make-up, Vitamine und Hormone —, aber man konnte die Tage zählen, wo auch damit nichts mehr auszurichten war.
Vor fünf Jahren hätte ich einen Mann erwürgen sollen, das wäre nur recht und billig gewesen. Ungern dachte ich an dieses Erlebnis zurück, allein bei der Vorstellung an jenen Menschen stieg mir die Schamröte ins Gesicht. Die letzten Urlaube hatte ich meistens mit einer zähen Reisegesellschaft verbracht:
»Ältere Herrschaften mit etwas Geld besichtigen Ruinen und baden anschließend an der türkischen Riviera« — so etwa hießen meine langweiligen Unternehmungen.
Aber früher war ich gern ganz allein in ausländische Badeorte gefahren und hatte im Prinzip nichts gegen einen gepflegten Ferienflirt einzuwenden. Dieser junge Mann damals, der fast akzentlos deutsch sprach, hatte anfangs Charme und Witz entwickelt, und ich war durchaus einverstanden gewesen, daß er abends in meinem Hotelzimmer blieb. Nach zwei Tagen hatte er mich in eine teure Boutique geführt, weil er fand, daß ich mir ein maritimes Kleidungsstück zulegen sollte. Angetan von seinem sachkundigen Geschmack, ließ ich mich beraten und erstand ein nicht eben billiges Matrosenkleid, dunkelblau mit großem weißen Kragen. Ohne seine Hilfe hätte ich mich nie zu diesem Kauf entschlossen. Es stand mir phantastisch. Groß und schlank wie ich bin, konnte ich diesen Stil hervorragend tragen und wunderte mich bloß, daß ich nicht selbst auf so eine phänomenale Idee gekommen war.
Der Laden vertrieb auch Herrenkleidung. Nachdem der Kauf des Matrosenkleides beschlossene Sache war, wählte mein Begleiter einen ecrufarbenen Seidenanzug für sich aus und zog ihn probehalber an. Er machte mindestens eine so gute Figur darin, wie zuvor ich in meinem Kleid. Ich nickte ihm anerkennend zu. Da zeigte er mir diskret das Preisschildchen und gestand, daß dieser Kauf über seine Verhältnisse gehe und ich ihm dabei unter die Arme greifen müsse. Ich schüttelte sofort den Kopf.
»Wenn du dir diesen Anzug nicht leisten kannst, mußt du eben darauf verzichten«, sagte ich sachlich, aber nicht unfreundlich.
Darauf erwiderte mein Freund mit erschütternder Lautstärke:
»Dann kannst du dir auch keinen jungen Liebhaber leisten.«
Die Verkäuferin konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Ich bezahlte das Kleid, ließ es im Hotelschrank hängen, packte fahrig und fuhr nach Hause.
Wie gern hätte ich diesen bewundernswert gemeinen Gigolo ermordet. Lang dachte ich darüber nach, wie man es hätte anstellen müssen. Im Hotel wäre es nicht leicht gewesen, aber einen Liebhaber konnte man ebenso an verschwiegene Orte locken wie die beste Freundin: Ich hätte ihn von einer Klippe stoßen können.
Frau Römer rief mich freudestrahlend im Büro an. Ihr Rentenantrag war bewilligt worden, und sie brauchte nie mehr in die Versicherung zurückzukommen.
»Morgen schaue ich mal rein und räume meinen Kram aus dem Schreibtisch; im Schrank ist auch noch ein Schirm von mir.«
Ich bot ihr an, die Sachen in den nächsten Tagen vorbeizubringen, schließlich hatte sie kein Fahrzeug, und ihr rechter Arm war stark angeschwollen.
Also begann ich, ihre Habe in einer Plastiktüte zu verstauen.
Nicht nur der Schirm war im Schrank, es fanden sich auch ein Paar Hausschuhe, eine malvenfarbene Strickjacke, coffeinfreier Pulverkaffee, eine silbrige Kaufhaustasse und eine angebrochene Dose mit verdorbener Kondensmilch. In den Schubladen hatten sich Papiertaschentücherpackungen angesammelt, Medikamente, Bonbons, Nähzeug, Prospekte, Sicherheitsnadeln und eine Ersatzbrille.
Ich besah mir die vielfältigen Medikamente. Da gab es Nasenspray, Kopfschmerz- und Migränemittel, Salbe für Sportverletzungen und eine volle sowie eine angebrochene Packung mit einem Digitalispräparat. Ich wußte, daß ihr Herzleiden mit einem Mittel aus dem hochgiftigen Fingerhut behandelt wurde. Mein Interesse war geweckt. Ich las die Gebrauchsanweisung. Digitoxin hieß der gefährliche Bestandteil in der interessanten Pille. »Für myocardiale Insuffizienz, rezidivierende supraventriculäre Tachycardien, Vorhofflimmern und Vorhofflattern infolge von Herzinsuffizienz« — das klang mir wie Musik in den Ohren. Ich beschloß, Frau Römer die volle Packung nicht auszuhändigen, sondern prophylaktisch aufzuheben. Man wußte ja nicht, wofür man so ein starkes Gift einmal brauchen konnte.
Zu Hause wuchs meine Neugierde. Ich beschloß, ein kleines Experiment zu machen: Pralinen füllen mit Gift. Ich würde schon eine geeignete Abnehmerin finden, unter Umständen sogar Vivian.