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Es entstand eine Pause, Richard grübelte.

»Du kannst ja was für Greenpeace überweisen«, schlug er vor.

»Ah ja? Ich wußte gar nicht, daß Beate sich dafür interessiert hat.«

»So direkt nicht«, wich er aus, »aber Greenpeace ist eine gute Sache, und meine Mutter war o.k.«

Ich fragte, wie es seinen Schwestern ginge.

»Der Opa war bis vor kurzem hier, er meinte, er müßte uns arme Kleinkinder versorgen, aber natürlich war es umgekehrt.

Lessi wohnt auch noch hier, ich nur manchmal. Vivian ist wieder in Frankfurt. Wie es uns geht — natürlich schlecht. So was verkraftet man nicht so fix.«

Ich fragte, ob Beates Wohnung verkauft würde. Vorläufig nicht, sagte er, ihre ganzen Sachen seien ja auch drin, das sei alles noch nicht geklärt.

»Unser Vater kümmert sich auf einmal um uns, wie er das die letzten zehn Jahre nie getan hat«, erzählte Richard mit mildem Vorwurf. Ich verabschiedete mich und versprach eine Spende für Greenpeace.

Immerhin hatte ich erfahren, daß Vivian wieder in Frankfurt wohnte, schließlich hatte das Semester auch begonnen.

Wahrscheinlich konnte sie sich mit Witold kaum täglich treffen, denn eine Stunde Fahrzeit hin und eine zurück waren an einem normalen Arbeitstag zu aufwendig. Oder machte das der Jugend nichts aus? Vivian hatte bisher kein Auto besessen, es war möglich, daß sie jetzt Beates Polo fuhr.

Ich rief Witold an. Er klang weinerlich. Gerade habe er eine starke Erkältung hinter sich, die jugoslawische Putzfrau überraschte ihn ständig mit fettem Essen, obgleich sie doch gar nicht kochen sollte, und in der Schule sei er mit wahnsinnig viel Arbeit eingedeckt. Demnächst gebe es Herbstferien, und eigentlich hätte er ein paar Tage mit Vivian verreisen wollen.

»Warum nur ›eigentlich‹?« fragte ich aufs äußerste interessiert.

»Manchmal denke ich schon«, seufzte der arme Witold, »daß ich ein alter Mann bin. Diese jungen Mädchen sind so sprunghaft. Wir hatten den schönen Plan, eine Woche im Elsaß zu wandern. Nun ruft sie plötzlich an, daß sie mit einer Freundin nach Amsterdam fährt, weil dort eine Party stattfindet! Ich bitte dich, Thyra, sie läßt mich wegen einer Party sitzen! Na ja, ›sitzenlassen‹ ist vielleicht etwas übertrieben ausgedrückt«, korrigierte er sich, »ich habe im Prinzip ja Verständnis für spontane Entschlüsse. Aber ich habe diese Wanderungen durch die Vogesen schon in allen Einzelheiten ausgearbeitet…« Mir gefielen seine enttäuschten Worte sehr, aber ich mußte höflicherweise mein Bedauern zum Ausdruck bringen. Immerhin bot sich die Gelegenheit, ihm ersatzweise einen herbstlichen Wandertag mit einem älteren Semester, wie ich scherzhaft sagte, anzubieten.

»Schade, daß du nicht Urlaub hast«, bedauerte Witold charmant, »ich überlege nämlich, ob ich diese gut ausgearbeitete Wanderung nicht mit einer Gruppe von Kollegen und Freunden…«, ich unterbrach ihn geistesgegenwärtig und behauptete, ich könne jederzeit Urlaub nehmen.

»Wirklich?« es kam gedehnt, »dann warte aber noch ab, Thyra, bevor du den Urlaub einreichst. Mir schwebt so eine Gemeinschaft von acht bis zehn Leuten vor, die ich alle noch nicht gefragt habe. Ich gebe dir Bescheid, sobald ich Näheres weiß!«

Begeistert war er nicht gerade gewesen, aber das konnte man auch nicht erwarten, wenn er die Wanderung jetzt nur aus Trotz machen wollte und es eigentlich eine Liebesreise mit Vivian hätte sein sollen.

Vivian! Ich führte ein innerliches Zwiegespräch mit ihr, wobei ich mich seltsamerweise in Beates Rolle versetzte.

»Ganz richtig, Vivian«, sagte ich zu ihr, »fahr nach Amsterdam! In deinem Alter ist es viel angemessener, mit Gleichaltrigen ausgelassen zu sein, als mit einem doppelt so alten Lehrer durch die Vogesen zu stapfen. Überhaupt, laß die Männer zappeln! Laß sie leiden! Wer weiß, wie du selbst noch an ihnen leiden mußt!«

Ich sah Vivians Schicksal vor mir: Sie war kein mütterlicher Typ, diese ausgeflippte Kunststudentin. Sie würde wahrscheinlich keine bürgerliche Heirat anstreben, keine Kinder haben. Sie würde eine alte Schachtel werden wie ich, wenn auch mit einer weit bewegteren Vergangenheit.

Auf einmal schien mir Vivian keine Gefahr mehr zu sein, ich wunderte mich, warum ich je mit dem Gedanken gespielt hatte, sie aus dem Weg zu schaffen.

Ohne auf Witolds Rückruf zu warten, trug ich dem Chef meine Urlaubswünsche vor: Nächste Woche wollte ich frei nehmen, um mit Freunden im Elsaß zu wandern.

»Geht nicht, Frau Hirte«, sagte er bestimmt, »da sind doch Herbstferien, und Herr Müller und Frau Flori sind dann im Urlaub. Außerdem wissen Sie doch selbst am besten, daß wir in der nächsten Woche mehrere Terminsachen fertig kriegen müssen. Im September habe ich Ihnen nahegelegt wegzufahren, da wollten Sie ja nicht. Sorry!«

Damit war die Sache für ihn abgetan, er nahm seine Arbeit wieder auf und erwartete meinen Abgang. Ich gehorchte aus Gewohnheit.

In meinem Zimmer überkam mich die Wut. Jahrelang hatte ich unentgeltlich und jederzeit Überstunden gemacht, hatte nie eigene Wünsche geäußert, hatte dem Alten stets den Rücken frei gehalten und ihn auf loyale Weise unterstützt. Ein einziges Mal wollte ich auch etwas — da wurde es natürlich versagt. Was sollte eigentlich sein fortlaufend liebedienerisches Geschwätz?

Es war sein Mittel, mich rücksichtslos auszubeuten.

Ich malte mir genießerisch aus, wie der Chef in sein Zehn-Uhr-Brötchen beißen würde, das immer in seiner rechten, untersten Schreibtischschublade lagerte. Rattengift! Qualvoll würde er eingehen. Aber im Falle seines Ablebens bekam ich erst recht keinen Urlaub, weil man mir dann alle seine unerledigten Aktenberge zur Bearbeitung zuschieben würde.

Ich suchte ihn ein zweites Mal auf.

»Wenn Sie so wenig auf meine Interessen eingehen, wo ich mich seit vielen Jahren für die Ihren stark machte, dann werde ich meine Stellung hier kündigen«, es gelang mir, ganz kalt und prononciert zu sprechen, obgleich ich vor Mordlust schäumte.

Der Chef erschrak richtig.

»Um Gottes willen, Frau Hirte! Es läßt sich sicher ein Weg finden, Sie haben mich mißverstanden! Bisher bin ich noch allen Angestellten großzügig bei der Urlaubsregelung entgegengekommen!«

Ja, dachte ich, wenn man seinen Plänen zustimmte, hat er generös amen gesagt.

»Frau Hirte, das ist nicht Ihr Ernst mit der Kündigung! In letzter Zeit ist einiges auf Sie zugekommen; ich habe vom Tod Ihrer Freundin gehört. Sie kriegen diesen Urlaub auf alle Fälle, und wenn ich persönlich einen Teil Ihrer Arbeit übernehmen müßte!«

Das war zwar geschafft, aber ob aus der Wanderung überhaupt etwas wurde? Ob Witold am Ende zwar mit seinen Freunden wanderte, mir jedoch absagte? Aber eigentlich hätte er dann gar nicht davon anzufangen brauchen.

Ein weiteres Problem beschäftigte mich. Diese anderen Freunde und Kollegen von Witold —, ob die mich akzeptierten?

Und schließlich machte mir das Wandern an und für sich auch Sorgen; ich war unsportlich und untrainiert, vielleicht auch die Älteste in diesem Verein. Wenn das eine Gruppe ehrgeiziger und ausdauernder Athleten war, denen es gar nichts ausmachte, täglich acht Stunden in zügigem Tempo über Berg und Tal zu marschieren, womöglich mit einem schweren Rucksack auf dem Buckel, konnte ich da mithalten? Nein!

Ich hoffte inbrünstig, daß Ernst Schröder mit von der Partie wäre; erstens, weil ich ihn als einzigen von Witolds Freunden kannte, zweitens, weil ich ihn als korpulent, bequem und phlegmatisch in Erinnerung hatte, vielleicht sogar älter als ich.

Mit diesem freundlichen Dicken im Gefolge würde wahrscheinlich kein Überlebenstraining angestrebt.

In Gedanken beschäftigte ich mich hoffnungsvoll mit meiner Wanderkleidung. Ein bißchen kam es mir vor, als hätte ich den lieben Gott erfolgreich erpreßt und es stünde mir eine gute und fröhliche Zeit bevor.

Die Erfolgsmeldungen häuften sich. Schon am übernächsten Tag rief Witold an. Er hätte eine Gruppe interessierter Wandersleute aufgetrieben, und man wolle sich am kommenden Sonntag in Schröders Wochenendhäuschen in Bickelbach treffen, um alles Weitere zu besprechen. Ich wüßte ja, wo die Hütte wäre, und sollte um vierzehn Uhr dort sein, bei schönem Wetter wolle man noch ein Stündchen Spazierengehen. Witold war liebenswürdig und schloß mit den Worten: »Ich freue mich, daß du dabei bist. Also bis übermorgen!«