»Unsere letzte Aussprache war sehr unerfreulich. Ich weiß gar nicht, ob ich in diese Beziehung noch investieren soll; der Altersunterschied macht sich eben doch bemerkbar. Kann sein, daß Vivian sich unter Freundschaft etwas anderes vorstellt als ich. Wie es nun weitergehen wird, weiß ich nicht — vielleicht geht es eben nicht mehr weiter.«
Wir schwiegen beide. Das Häuschen tauchte auf.
»Bevor wir dort sind, Witold«, sagte ich leise und schnell, »sag mir um Gottes willen noch rasch, wie diese Pamela ist!«
Witold liebte solche Fragen und grinste.
»Die hat Feuer im Arsch«, sagte er, und ich errötete. »Die Scarlett wollte mal Schauspielerin oder Sängerin werden, daraus ist nichts geworden. Nun ist sie halt Mutter und Apothekers Gattin.«
Nach einer kleinen Gedankenpause sagte er wie zu sich selbst: »Vor ein paar Jahren…«, er sprach nicht weiter. Ich sah ihn fragend an.
»Ach nichts«, er lächelte versonnen, und mir lief eine leichte Gänsehaut über die Arme.
Das Häuschen war nun gut zu sehen, ein weiteres Auto parkte auf der Wiese.
»Na, da sind ja deine Freunde«, sagte ich zu Witold, »wie klug, daß du mit der Wanderplanung noch gewartet hast.«
»Das sind sie nicht«, verbesserte mich Witold, »das ist nämlich Scarletts Auto. Vielleicht sind es die Kinder.«
Wir hatten Ernst und Kitty eingeholt. Ernst verzog das Gesicht, er teilte uns mit, der Sohn habe vor einer Woche den Führerschein gemacht, aber eigentlich nicht die Erlaubnis erhalten, mit dem Wagen seiner Mutter herumzukurven. Im Haus saßen Pamela Schröder, der berühmte Oleg und seine Schwester vor den Resten des Zwetschgenkuchens, der beachtlich geschrumpft war.
»Was ist los?« fragte Ernst.
Annette maulte: »Ach Papa, seit gestern habe ich so schreckliche Halsschmerzen, und im ganzen Haus ist nicht eine Lutschtablette.«
»So ist das halt bei Apothekers«, warf Witold ein.
Die Mutter der Sprößlinge war etwas gereizt. »Wenn es schon seit gestern früh so schlimm war, warum kommst du denn jetzt erst auf die Idee, nach Tabletten zu fragen?«
Oleg behauptete: »Sie wollte den Papa nicht an seinem freien Tag belästigen. Aber jetzt mußte ich sie einfach herbringen, so schlimm ist es geworden.«
Witold zwinkerte ihm zu.
Ernst seufzte: »Na, komm mein krankes Schätzchen, deine Schmerzen haben dich ja nicht daran gehindert, den Kuchen zu spachteln. Im Auto habe ich wahrscheinlich Medikamente.«
Pamela warf ihrem Sohn einen heftigen Blick zu: »Meinst du etwa, dieses Spiel wäre nicht allzu durchsichtig? Auf einmal machst du auf Bruderherz, nur weil du mit meinem Auto fahren willst!«
Oleg widersprach. Er hätte ja auch eine Spritztour nach Frankfurt machen können — dann hätten die Eltern das gar nicht gemerkt — und nicht ausgerechnet nach Bickelbach.
Annette und ihr Papa kamen wieder herein, setzten sich nebeneinander auf die Eckbank, und die Tochter kuschelte sich an den Vater. Ernst strahlte.
Oleg hatte inzwischen eine liebenswürdige Plauderei mit seiner Geschichtslehrerin begonnen, Witold durch mehrere Witze zum Lachen gebracht und seinem Vater die Erlaubnis abgeluchst, zwei Flaschen Wein für eine Party mitzunehmen.
Scarlett wollte, daß die Kinder noch im Hellen heimfuhren, da sie Olegs Fahrkünsten nicht so recht traute.
»Wenn ihr endlich ein Telefon in Bickelbach hättet, dann könnten wir ja von zu Hause anrufen, daß wir lebend angekommen sind«, bemerkte Oleg diplomatisch fordernd, da dies anscheinend ein altes Thema war.
Endlich zogen die Gören ab. Ich hatte die Hoffnung gehegt, daß wir jetzt zur Sache kämen. Aber die stolze Mutter nahm den Besuch ihrer Kinder zum Anlaß, ausführlich ihre Vorzüge zu schildern. Annette: Noch ein richtiges kleines Mädchen, so anhänglich und lieb, im Gegensatz zu ihren Freundinnen noch ohne Freund und diesbezüglich reizend kindlich. Mir stieg die Wut hoch. Aber nun kam das Söhnchen dran. Er spielte Schlagzeug in einer Schüler-Band, und wir vernahmen, daß ein echter Künstler in ihm steckte. Ich hatte Lust zu gehen. Aber schließlich war ich hier, um demnächst mit Witold zu wandern, da mußte ich so etwas vorerst ertragen. Es konnte heiter werden, wenn diese Frau die ganze Zeit von ihren verwöhnten Kindern sprechen wollte, die sie ja offensichtlich bedenkenlos allein ließ.
Witold war es, der unterbrach.
»Da der Familie Mommsen anscheinend irgend etwas dazwischengekommen ist, wollen wir jetzt mit der Lagebesprechung anfangen.«
Ernst grinste mir zu. »Vorsicht, Lehrer!« flüsterte er. Witold nahm aus einer Aktentasche Kartenmaterial und fotokopierte Bögen, die er verteilte.
»Ich habe für jeden Teilnehmer eine Liste gemacht, was er unbedingt dabei haben sollte, da ja nicht jeder so erfahren im Wandern ist wie wir beide«, er wandte sich an Kitty. »Ich hoffe, ihr habt alle einen Rucksack?«
Ich schüttelte den Kopf. Die anderen lasen ihre Listen.
In das Schweigen hinein vernahm man plötzlich Pamelas harte Stimme: »Rainer, das ist totaler Blödsinn. Wenn ihr auch nur den geringsten Wert darauf legt, daß ich mitkomme, dann werden keine Rucksäcke geschleppt!«
»Sondern?« fragte Witold.
»Mein Gott!« entfuhr es der Rothaarigen, »wir sind doch keine Schulklasse! Es wird wohl Möglichkeiten geben, unsere Koffer mit dem Auto zu transportieren. Ich jedenfalls fühle mich zu alt, um noch Wandervogel zu spielen. Am Ende denkst du auch noch an Zelt und Feuerchen machen, Rainer Engstirn, he?«
Witold beteuerte beleidigt, man werde selbstverständlich in Hotels übernachten, vielleicht ein einziges Mal in einer Jugendherberge mit Familienzimmern. Er breitete die Karte vor uns aus, seine Etappen waren mit orangenem Leuchtstift eingezeichnet.
Nun war es Ernst, der meuterte.
»Hör mal, Rainer, ist ja alles schön und gut. Aber wenn ich ans Elsaß denke, dann fällt mir in erster Linie gutes Essen und ein trockener Riesling ein. Warum sollen wir überhaupt so viel rumlaufen?«
Witold stöhnte. »Es ist doch nicht zu fassen! Wir planen gerade eine Wanderung, und dieser Mensch will überhaupt nicht laufen!«
Ernst Schröder war kein Spielverderber. Er mußte etwas lachen. »Rainer, klar will ich auch ein bißchen laufen, sonst schmeckt es mir doch gar nicht. — Und außerdem mußt du mein hohes Alter berücksichtigen!«
»Was sagt ihr dazu?« wandte sich Witold hilfesuchend an Kitty und mich.
»Ach, mir ist alles recht«, meinte Kitty, »ich kann lange wandern und auch einen Rucksack schleppen — das weißt du ja.
Aber ich finde es auch schön, in diesen herrlichen Gaststuben zu sitzen und Sauerkraut zu essen.«
Ich wußte nicht genau, was ich sagen sollte. Einerseits wollte ich Witold gefällig sein, aber andererseits fand ich es nicht erstrebenswert, mit einem schweren Rucksack über die Berge zu japsen.
»Ich bin keine trainierte Läuferin«, sagte ich.
»Also gut, also ohne Rucksack«, Witold sah seinen Freund forschend an, »aber dann müssen wir mit zwei Autos einen komplizierten Pendeldienst organisieren: mit Koffern und zwei Wagen jeden Morgen zum nächsten Ziel fahren, ein Auto dortlassen, mit dem anderen wieder zurück. Zu Fuß hinwandern und mit dem dortigen Auto das andere wieder holen — claro?«
Ernst lachte. »Rainer, du planst alles immer viel zu versiert und exakt. Wir können doch ganz einfach ins Blaue fahren. Am ersten Tag übernachten wir in Wissembourg und laufen dort ein bißchen in der Gegend herum, dann fahren wir nach Lust und Laune ein Stück weiter.«
Alle außer Witold nickten einverstanden. Er gab seufzend nach und räumte leicht gekränkt seine Karten und Wanderpläne wieder weg.
»Guck nicht so wie die Mater dolorosa«, sagte Scarlett.
Vermittelnd meinte Ernst: »Schaut mal zum Fenster raus, jetzt regnet es wie wild. Das könnte uns nächste Woche genauso passieren, dann ist es doch angenehm, wenn man Koffer, Auto und Hotel in Reichweite hat. Aber nun wollen wir endlich zum gemütlichen Teil kommen. Ich eröffne hiermit die Kaminsaison und mache ein Feuerchen, Pamela schmeißt uns dieweil was Gutes in den Backofen, und du, Rainer, machst mal den Rotwein auf.«