Nun lag ich da und wußte, daß ich wieder krank werden würde. Diesmal fand man eine Leiche in meiner unmittelbaren Nähe. Das eine Handtuch war naß, Scarlett aber lag in der Wanne und hatte es nicht benutzt; das zweite Handtuch fehlte ganz — war das nicht überaus verdächtig? Ob mich jemand nachts im Garten gesehen hatte? Vielleicht hatte Ernst seiner Frau nachspioniert? Sah man einem Körper an, daß er einen Elektroschock erlitten hatte — gab es Spuren? Bei Starkstromverletzungen, das wußte ich, kam es zu schweren Verbrennungen. An Scarlett war mir äußerlich nichts aufgefallen, aber ich war weder Arzt noch von der Kripo. Auf keinen Fall durfte ich als erste aufstehen und die Leiche finden.
Witold würde Kitty wieder frühzeitig wecken. Sie würde dann ins Bad huschen, und ich mußte von ihrem grauenhaften Schrei geweckt werden.
Ich lag im Bett, es wurde langsam hell, ich wartete auf Witolds Klopfen und auf Kittys Schrei, aber es war schließlich acht, und nichts rührte sich.
Während die Minuten dahinschlichen, überlegte ich, ob ich Witold überhaupt noch wollte. Ich hatte solche Opfer für ihn gebracht, meine Freiheit, mein soziales Ansehen und auch alle meine bisherigen Lebensgewohnheiten aufs Spiel gesetzt.
Wenn er mich plötzlich — was unwahrscheinlich war, lieben würde, mit mir Tisch und Bett, Geld, Urlaub, Freunde und Gewohnheiten teilen wollte, war das eigentlich erstrebenswert?
Alles kam mir fragwürdig vor; er war mir im Grunde unendlich fremd. Verzweiflung überfiel mich; warum hatte ich drei Frauen umgebracht? Die erste mehr oder weniger aus Versehen, da konnte ich mir nicht viel vorwerfen. Eine schlimme Sache war der Mord an Beate, total überflüssig. Ich mochte nicht daran zurückdenken. Aber die heutige Tat — das Ertränken einer Hexe — erfüllte mich mit einer gewissen Genugtuung. Diese Frau hatte mich im Gegensatz zu den anderen aufs tiefste beleidigt.
Kitty rührte sich. Ich mußte mich fest schlafend stellen. Aus der Matratzenbewegung war zu schließen, daß sie sich aufsetzte, die Füße aus dem Bett schwang, wahrscheinlich auf die Uhr sah. Ich wußte, daß es halb neun war. Sie gab einen winzigen Laut der Verwunderung von sich, reckte und streckte sich und tappte auf bloßen Füßen ins Bad.
Der erwartete Schrei kam nicht, dafür eine von ihr bisher nicht benutzte resolute Lehrerinnenstimme: »Thyra, komm sofort!«
Das Kommando war durchdringend laut, so daß ich gehorchen mußte. Mit fahlem Gesicht und Übelkeit im Magen begab ich mich an den Ort meines Verbrechens. Die Fenster im Bad waren völlig beschlagen. Kitty hielt Scarletts Kopf aus dem Wasser.
»Pack an!« befahl sie, »halte sie unter dem rechten Arm, wir legen sie über den Wannenrand, damit das Wasser aus der Lunge laufen kann.«
Der schlaffe Oberkörper wurde mit vereinten Kräften über den Rand gehängt, lauwarmes Wasser tropfte in Mengen auf den Boden.
»Hol sofort die Männer! Ich halte sie in dieser Lage«, ordnete Kitty weiter an.
Ich raste ins Zimmer neben uns und machte auf, ohne anzuklopfen. Witold rasierte sich vor dem Waschbecken, Ernst schlief noch.
»Komm sofort, ein schrecklicher Unfall!« schrie ich; nicht Kitty, sondern ich war hysterisch geworden. Witold ließ den Rasierpinsel fallen, wischte den Schaum mit einem Handtuch weg und sauste mit nacktem Oberkörper ins Nachbarzimmer, ich hinter ihm her. Ernst Schröder war zwar wach geworden, konnte aber nicht so schnell reagieren.
Kitty kommandierte im Badezimmer: »Ernst soll mir helfen, sie aufs Bett zu tragen, damit ich sofort mit der Mund-zu-Mund-Beatmung anfangen kann. Rainer, du rufst Notarzt und Rotkreuzwagen!«
Ernst kam nun auch verschlafen hereingetorkelt und kriegte einen solchen Schock, daß er stolperte und hinfiel. Trotzdem jagte Kitty Witold zum Telefonieren hinunter, weil er als einziger gut französisch sprach. Ich mußte mit Kitty die Leiche packen und zum Bett tragen; Ernst Schröder rappelte sich indes wieder hoch und half.
Kitty warf eine Decke über die tote Nackte und begann zielsicher mit der Beatmung. Ernst hatte Scarletts Hand genommen und sagte immer wieder: »Sie ist nicht tot.«
Tatsächlich war das Badewasser noch nicht kalt, und daher war wohl auch der Körper nicht starr und unterkühlt.
Irgendwann flitzte Witold die Treppe wieder hoch und löste Kitty bei ihrer Tätigkeit ab. Scarlett sah schrecklich aus, aber zum Glück brauchte ich sie mir nicht anzusehen. Ich wußte, daß die fieberhaften Bemühungen vergeblich waren.
Bemerkenswert schnell hörte man das Martinshorn. Zwei Rotkreuzhelfer und ein Arzt kamen im Galopp mit einer Trage, Sauerstoffgerät, Infusion und Arzttasche. Der Arzt befahl jedoch nach wenigen Handgriffen, die Tote in den Rettungswagen zu bringen. Sie wurde auf die Bahre gelegt, blitzschnell angeschnallt und wiederum in unglaublicher Geschwindigkeit in die Ambulanz gebracht. Dort wurden die Türen geschlossen, und der Arzt begann mit der Reanimation.
Wir standen wortlos herum, konnten nicht sehen, was sich im Inneren des Wagens tat, hatten aber das Gefühl, daß der Sanitätswagen jetzt eigentlich unter Sirenengeheul losfahren mußte. Nur ich wußte, daß er es wegen der Unmöglichkeit einer Wiederbelebung nicht tun würde. Gleichzeitig aber klapperten mir alle Knochen vor Angst, wenn ich an die Konsequenzen einer erfolgreichen Auferstehung dachte.
Nach einer Viertelstunde trat der Arzt mit ernster Miene aus dem Wagen, und man konnte an seinem Gesicht ablesen, was er zu sagen hatte. Er fragte auf Französisch, mit wem er reden könne.
Witold erklärte, Ernst Schröder sei der Ehemann der Verunglückten, spreche aber leider fast gar kein Französisch.
Der Arzt wandte sich trotzdem an Ernst und sagte in mühseligem Deutsch: »Es tut mir leid, mein Herr, man kann nichts machen.«
Zu Witold gewandt, sagte er, daß er noch einige Fragen habe.
Keiner von uns war angezogen. Ich war im Jogginganzug, Kitty im Schlafanzug, Witold nur in der Pyjamahose, Ernst in einem Bademantel. Wir gingen ins Haus. Kitty lief hinauf und holte für Witold einen Pullover. Ich ging nach ihr in unser Zimmer, holte das nasse Hotelhandtuch wieder aus dem Koffer und warf es in eine Badezimmerecke, rollte den Lockenstab in schmutzige Wäsche und vergrub ihn wieder gut auf dem Grunde des Koffers.
Dann zog ich mich rasch an und ging wieder zu den anderen.
Auf dem Flur entdeckte ich den Sicherungskasten. Mit einem Taschentuch öffnete ich ihn und drückte die herausgesprungene Sicherung wieder ein.
Der Arzt wollte wissen, ob Pamela herzkrank gewesen sei oder an einer anderen chronischen Krankheit gelitten habe, ferner ob sie regelmäßig Medikamente einnehme. Zu meiner Verwunderung sagte Ernst, seine Frau habe einen angeborenen Herzfehler gehabt, der jedoch nicht behandlungsbedürftig gewesen sei. Allerdings habe sie körperliche Belastungen — wie zum Beispiel anstrengendes Wandern — gemieden. Aber sie sei im Grunde kaum krank gewesen, wenn man von Bagatellen absehe.
Der Arzt schrieb alles auf, Witold dolmetschte hin und her.
Schließlich meinte der Mediziner, die Todesursache sei nicht eindeutig festzustellen, da er die Tote ja nicht als Patientin kenne. Er könne keinen Totenschein ausstellen, sondern müsse in einem solchen Fall eine Obduktion anordnen und auch routinemäßig die Polizei einschalten.
Schließlich verabschiedete er sich, fragte aber zuvor, ob er Ernst noch eine Beruhigungsspritze geben solle. Witold erklärte, Monsieur sei selbst Apotheker und mit jeglichen Medikamenten bestens ausgerüstet.
Der französische Arzt zog bei dem Wort »Apotheker« prüfend die Augenbrauen hoch und musterte Ernst kritisch. Als er wegfuhr, war es fast zehn. Die Leiche war von den Sanitätern, die in der Ambulanz keine Toten transportieren durften, wieder aus dem Wagen genommen und in ein kleines Nebenzimmer im Erdgeschoß gebracht worden. Ernst begab sich zu der Toten, die demnächst abgeholt werden sollte, saß neben ihr und versteinerte.