Ich fragte nach der Beerdigung.
»Kommenden Mittwoch«, antwortete Witold, »die Obduktion hat übrigens ergeben, daß Scarlett ertrunken ist.
Wie wir schon dachten, hatte sie einen Herzanfall, wurde bewußtlos und ertrank.«
»Witold, wie geht es dir?« wollte ich wissen.
»Den Umständen entsprechend«, sagte er kurz.
Ich entschloß mich zu einer Bemerkung.
»Du hast mit Scarlett noch nachts eine Zigarette geraucht«, begann ich, »da es aber sicher unwichtig in diesem Zusammenhang ist, habe ich der Polizei nichts erzählt.«
Witold gab einen Laut von sich, der ziemlich waidwund klang.
»Thyra, ein für allemaclass="underline" Du brauchst mich nicht zu beschützen. Ich kann auf mich selbst aufpassen.«
»Warum hast du dann nichts davon gesagt?«
»Aus Respekt vor der Toten und natürlich vor Ernst. Es war so schon schlimm genug für ihn. Soll er nun auch noch Zweifel kriegen, ob seine Frau ihn mit seinem Freund betrogen hat?«
»Aber sie hat«, konstatierte ich.
Ich hörte Witolds Feuerzeug klicken und dann das heftige Ein- und Ausatmen.
»Purer Quatsch«, sagte er zornig, »wir haben ziemlich lange draußen gesessen und geredet, aber das war’s auch.«
»Warum seid ihr denn dann noch ins Auto gestiegen?« fragte ich.
Witold erregte sich.
»Wenn das ein Verhör sein soll, dann würde ich an deiner Stelle erst mal vor der eigenen Tür kehren. Wir sind ins Dorf gefahren, um Zigaretten zu holen. Tschüs!«, er legte auf, wütend.
Nach zehn Minuten rief er wieder an.
»Thyra, nimm’s mir nicht krumm, ich bin dabei, die Nerven zu verlieren. Natürlich ist es nett von dir gewesen, nichts über unseren nächtlichen Treff zu verraten. Ich danke dir dafür. — Hast du denn gehört, als Scarlett wieder zurückkam?«
Aha, die lange Zeit im Auto reichte nicht für einen kleinen Trip zum Zigarettenautomaten. Witold befürchtete wohl, daß ich durchaus ahnte, daß im Auto nicht bloß geraucht worden war.
»Natürlich habe ich sie nicht gehört«, versicherte ich, »ich bin wohl gegen zwölf fest eingeschlafen.«
Er schien beruhigt zu sein, sprach über etwas anderes und fragte schließlich, ob ich zur Beerdigung käme.
»Um wieviel Uhr ist sie denn?« wollte ich wissen.
»Um vierzehn Uhr ist die Trauerfeier in der Kapelle vom Ladenburger Friedhof, soviel ich weiß.«
»Das wird nicht gehen, ich kann nicht schon wieder freinehmen«, erklärte ich, denn ich hatte kein Verlangen, in so kurzer Zeit eine zweite Totenfeier mitzumachen. Wir verabschiedeten uns freundlich.
Ich mußte wieder ins Büro, obgleich es mir reichlich schwer fiel. Nichts von meiner Arbeit war delegiert oder gar vom Chef selbst übernommen worden, alles häufte sich auf meinem Schreibtisch, was ich in dieser Woche zu tun gehabt hätte.
Wäre ich doch ganze drei Wochen weggefahren, dann wäre das nicht möglich gewesen! Ich war für die nächste Zeit mit Überstunden eingedeckt. Langweilige Aktenberge würden meine Büro- und Freizeit ausfüllen. Die Gedanken an Verliebtheit, gutes Essen und Wandern waren weit weg, aber auch die Erinnerung an tote Frauen, an Gefahr und Nervenkitzel wurde von meinem Berufsleben ziemlich verdrängt. Früher hatte es mir nicht viel ausgemacht, auch mal abends einen wichtigen Fall zu bearbeiten. Wahrscheinlich durchlief ich jetzt gerade einen Schub des Alterns oder den endgültigen Beginn der Menopause, denn es fiel mir unendlich schwer, zeitig aufzustehen, den Tag über konzentriert zu arbeiten und noch am späten Abend Wäsche aufzuhängen und meine Tasse zu spülen. Fast vergaß ich, täglich an Witold zu denken, dem noch vor kurzem mein erster innerlicher Gruß am Morgen und mein letzter am Abend gegolten hatte.
Nach etwa fünf Tagen, die mit mühseliger Arbeit ausgefüllt waren, rief er an. Witold war aufgeregt. Kaum brachte er seine übliche freundliche Einleitung, mit der er immer seine Gespräche begann und die nur der Frage nach meiner Befindlichkeit galt, zustande.
»Erinnerst du dich, Thyra, daß man früher immer von ›Kommissar Zufall‹ sprach? Heute ist dieser erfolgreichste aller Polizisten durch ›Kommissar Computer‹ ersetzt worden.
Jedenfalls gibt es nun viele junge Kriminalisten, die ihren Computer pausen- und gnadenlos mit Daten, Fakten, Personen und Untaten füttern und auf diesem Wege zuweilen Zusammenhänge entdecken, auf die sie sonst nicht gekommen wären.«
Ich lauschte angespannt. »Na und?« hauchte ich.
»Also, ich wurde mal wieder zur Ladenburger Polizei zitiert.
Nach Hilkes Tod war ich häufig dort, aber in der letzten Zeit herrschte Funkstille.
Nun, um es nicht zu spannend zu machen: Die elsässische Polizei hat den Fall Pamela Schröder abgeschlossen und ihren Ladenburger Kollegen weitergegeben. Und in Ladenburg sitzt also ein Computerfreak. Auch ohne technische Hilfe war ihm bereits aufgefallen, daß die Ehefrauen von zwei befreundeten Männern innerhalb kurzer Zeit unter relativ unklaren Umständen gestorben sind. Aber jetzt wird es interessant. Er kennt einen Kollegen an der Bergstraße, der Beates Fall bearbeitet hat und der ebenfalls computerbesessen ist. Sie dachten beide, daß alle diese Fälle in räumlicher Nähe stattfanden und daß alle drei Frauen weder alt noch krank waren. Thyra, das gleiche habe ich neulich auch zu dir gesagt, und ich bin kein Kommissar!«
»Ich verstehe überhaupt nicht, was du mit dem Computer willst«, sagte ich.
»Das kommt doch gerade. Also, die beiden Kriminalisten fütterten ihre Computer mit allen Personen, die mit diesen drei toten Frauen zu tun hatten. Natürlich haben sie auch noch viele andere Spuren verfolgt, die im Sande verliefen. Na, jedenfalls stellten sie fest, daß ich alle drei gekannt habe, zwei davon sehr gut. Daß ich mit Vivian befreundet war, wußten sie übrigens genau, sie müssen mich gelegentlich observiert haben.«
»Ja, aber was für Schlüsse ziehen sie nun daraus?«
»Thyra, sie haben mir natürlich nicht unter die Nase gerieben, daß sie mich für einen begnadeten Frauenmörder halten. Aber vielleicht denken sie doch in diese Richtung.
Jedenfalls werde ich wieder beobachtet, das habe ich heute deutlich gemerkt.«
»Haben sie auch etwas über mich gesagt?«
»Sie sagten, daß beispielsweise auch Ernst Schröder diese drei Frauen gekannt habe — er steht nicht anders da als ich. Sie werden sich bestimmt mit ihm beschäftigen. Vermutlich bin ich aber noch mehr verdächtig, weil die Serie mit meiner Frau begann.«
»Und was war mit mir?« fragte ich wieder.
»Namentlich haben sie dich nicht erwähnt. Tatsächlich hast du Hilke ja nicht gekannt. Aus meinem Umkreis haben viele Leute sowohl Scarlett als auch Hilke gekannt, jedoch nicht Beate. Sie konzentrieren sich vermutlich erst mal auf diejenigen Menschen, die mit allen drei Toten in Beziehung standen, und das sind höchstwahrscheinlich nur Ernst und ich.«
»Meinst du, daß sie mich auch sprechen wollen?«
Witold überlegte kurz, im Augenblick dachte er hauptsächlich an sich selbst.
»Was weiß ich? Vielleicht unter ›ferner liefen‹. Aber man wird bei dir kein Motiv finden.«
»Witold, um Gottes willen, von wo rufst du an?«
»Von einer Zelle, ich bin doch nicht verrückt. — Bei mir liegt theoretisch ein Motiv vor, meine Frau umgebracht zu haben: Ich konnte ihren Suff nicht mehr ertragen. Aber bei den zwei anderen? Beate hatte nichts gegen meine Beziehung zu Vivian, niemand kann glauben, ich hätte sie aus dem Weg räumen müssen, um dieses Mädchen zu kriegen. Und falls man mir unterstellt, ein Auge auf Scarlett geworfen zu haben, dann hätte ich ja viel eher ihren Mann ermorden müssen.«
»Geht man etwa davon aus, daß es sich in allen Fällen um Mord handelt?« fragte ich, nun auch äußerst irritiert.
»Das sagen sie nicht so direkt. Sie meinen nur, es gebe allzu viele Ungereimtheiten. Wie würdest du dich denn an meiner Stelle verhalten? Weder bei Hilke noch bei Scarlett habe ich ein reines Gewissen.«
»Du solltest dir das auf keinen Fall anmerken lassen«, riet ich.