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Es war gräßlich. Kein Mauseloch weit und breit. Sollte ich wegrennen? Dann könnte er mich mühelos fangen, wie eine Einbrecherin, die Böses im Schilde führte. Ich schämte mich zu Tode, trat aber ans Licht und sagte: »Ich bin’s.«

Witold sah mich fassungslos an.

Ich stotterte: »Eigentlich wollte ich dich besuchen und fragen, wie die Beerdigung gewesen ist. Als ich aber das Auto vor der Tür sah und merkte, daß du Besuch hast, wollte ich nicht stören.«

Witold rang nach Worten.

»Soll ich das etwa so verstehen, daß du mich bespitzelst?«

»Nein, um Gottes willen, nein! Das würde ich nie tun! Aber irgend etwas zog mich in den Garten, wo ich damals stand, als es mit deiner Frau passierte.«

»Meinst du, der Täter kommt an den Ort seines Verbrechens zurück?«

Witold packte mich unsanft am Handgelenk und zog mich herein. Er schloß die Tür.

»Wie oft hast du schon da draußen gestanden?« Er war so böse, daß ich richtig Angst vor ihm bekam.

»Heute zum zweitenmal. Es überkam mich auf einmal so«, stammelte ich.

»Ich glaube dir kein Wort mehr.« Witold steckte sich eine Zigarette an und musterte mich mit einem unverhohlen feindseligen Ausdruck in den Augen.

»Wenn es noch einmal vorkommt, daß ich dich in meinem Garten erwische, rufe ich die Polizei und zeige ihnen deine großen Füße!«

Das war unfair. Ich weinte los. Weniger wegen der großen Füße als wegen seiner Gehässigkeit. Ich wußte aber, daß er bei Tränenausbrüchen weich wurde, daß er trotz seiner Entrüstung immer noch ein gelernter Frauentröster war. Richtig: Nach einigen Zigarettenzügen seinerseits und einigen Schneuzern meinerseits lenkte er ein.

»Thyra, du bist ein sehr einsamer Mensch. Nein, widersprich nicht; seit Beate nicht mehr lebt, kannst du dich wohl mit niemand mehr aussprechen. Vielleicht solltest du Anschluß an eine Frauen-Selbsterfahrungsgruppe suchen oder es mit einer psychologischen Beratung probieren…«

»Meinst du, ich hätte eine Schraube locker?« schluchzte ich.

Er legte den Arm um mich.

»Das haben wir doch alle. Sicher bin ich genauso neurotisch wie du. Nur interessante und sensible Menschen brauchen einen Psychologen. Ich werde demnächst auch einen aufsuchen, ich habe schon einen Termin.«

»Mir kann keiner helfen«, plärrte ich, »am besten, ich wäre tot!«

Witold streichelte meinen Rücken, was äußerst angenehm war. Schon, damit er nicht aufhörte, weinte ich weiter.

»Aber, aber! Hier ist ein Taschentuch. Wenn du in Zukunft vor meinem Haus stehst, dann schellst du, ganz egal, ob Besuch da ist. So einfach ist das!«

Ich beruhigte mich und fragte schließlich auch Witold nach der Beerdigung. Sofort verfinsterte sich sein Gesicht.

»Nun habe ich den ganzen Zirkus mit meiner Frau schon durchgemacht, jetzt muß ich alles noch mal mit Ernst durchstehen! Mein armer Freund war unselbständig wie ein Kind. Aber du weißt ja nicht, was man sich alles vom Bestattungsunternehmer anhören muß. ›Dem Leben einen würdigen Abschluß geben‹ heißt, möglichst viel Geld in einen Sarg investieren. Früher hätte Ernst so etwas abgelehnt und das Geld lieber einem Kinderdorf gespendet, aber jetzt war er so hilflos und unglücklich, daß er nur das Teuerste für seine tote Frau bestellt hätte.«

Über diese Seite der Angelegenheit hatte ich noch gar nicht nachgedacht. Wieviel Geld hatte man bei diesen drei Beerdigungen wohl insgesamt ausgegeben?

Wir saßen stumm nebeneinander. Witold rauchte, ich knüllte nervös sein nasses Taschentuch in meinen Händen.

»Die Kinder sind ins Kino gefahren«, sagt er auf einmal beiläufig, »ich war zu müde und hatte auch keine Lust dazu.«

»Die Kinder?« fragte ich.

»Na ja«, erklärte er, »vom Alter her gehört Vivian eher zu meinen Kindern als zu mir. Sie scheint in mir auch weniger den Liebhaber als den Papa zu suchen. Mein Gott, sie hat tausend Probleme, mit denen sie nicht fertig wird.«

Ich hätte gern gewußt, ob sie nun seine feste Freundin war oder nicht. Wie wir beide so traurig nebeneinander hockten, dachte ich, daß wir auch ein Ehepaar sein könnten, das nach dem Besuch seiner Kinder wieder schweigsam zusammensitzt.

Witold schien meine Neugierde in puncto Vivian zu ahnen.

»Ich bin zu alt für dieses Mädchen«, flüsterte er, »schließlich habe ich einen Beruf, auch den Haushalt und den Garten. Ich kann und mag nicht mehr die Nächte durchmachen — ich brauche meinen Schlaf.«

Tausend Gedanken schpssen mir durch den Kopf. Sollte ich ihm meine Liebe gestehen, sollte ich einen Versuch in diese Richtung wagen? Und wenn er dann in einem Anflug von Einsamkeit und Sentimentalität mit mir ins Bett gehen wollte?

Ich überlegte scharf, ob ich das überhaupt anstrebte.

Andererseits — wer nicht wagt, kann auch nicht gewinnen, ein alter Spruch. Ich lehnte mich ein wenig an ihn, ein zaghafter Test des Auslotens. Der Druck wurde nicht erwidert. Er ließ es geschehen, um nicht unhöflich zu sein, trachtete aber danach, sich nach Ablauf einer Toleranzminute durch Bewegung zu entziehen und nach einer weiteren Zigarette zu suchen.

Was sollte ich überhaupt über Möglichkeiten nachgrübeln, wenn sie doch von vornherein zum Scheitern verurteilt waren!

Er wollte mich nicht; nur meine platonische Verehrung tat ihm gut, und um sie zu erhalten, war er auch bereit, sich bei Gelegenheit tröstend und fürsorglich ins Zeug zu legen. Ich stand auf. Er tat es mir sofort nach, ohne mich auch nur mit der geringsten Geste zu weiterem Bleiben zu veranlassen. Wir gingen zur Tür.

»Also merk dir für die Zukunft: Ich bin immer für dich da.

Aber ich möchte nicht, daß jemand in meinem Garten steht und mich heimlich beobachtet. Allein bei diesem Gedanken könnte ich ausrasten!«, aber er lächelte ein wenig, um seinen warnenden Worten die Schärfe zu nehmen, und berührte federleicht mit seinen Lippen meine Wange. Ich verließ ihn.

Frau Römer fuhr nach Amerika. Ich bekam den Hund und fühlte mich durch seine Gegenwart ein wenig getröstet. Ich sprach viel mit ihm, wie es einsame Menschen zu tun pflegen; ich sprach auch mit den Toten, mit Beate, meiner Mutter, sogar mit Scarlett und klärte sie über meine Verwundungen und meine trübe Seelenlage auf.

Eines Abends rief Witold an; ich hatte ihn seit damals, als er mich im Garten gestellt hatte, weder gesehen noch gesprochen.

Im nachhinein war mir die Peinlichkeit dieser Situation immer deutlicher geworden, und ich hatte auf einmal das Bedürfnis, ihn nie wieder zu treffen.

Er sprach ohne lange Prämissen.

»Eben war der Computer-Polizist wieder hier. Ich rufe eigentlich nur an, um dich zu warnen. Es könnte gut sein, daß er auch bei dir noch auftaucht.«

»Gibt es neue Erkenntnisse? Muß ich auf irgend etwas besonders achten?« fragte ich.

»Na ja, wir haben ja schon darüber gesprochen. Du hattest mir zugesagt, nichts über mein nächtliches Treffen mit Scarlett und nichts über deine und meine Beteiligung an Hilkes Tod zu sagen. Kann ich mich darauf verlassen?«

»Klar, kannst du. Im Fall Hilke beruht das ganz auf Gegenseitigkeit.«

Bereits eine halbe Stunde nach diesem Gespräch war der Ladenburger Kriminalist bei mir. Ich sperrte den maulenden Hund ins Schlafzimmer. Der Mann war höflich und kühl. Er habe einige Fragen, denn es gebe in drei Mordfällen noch ungelöste Probleme, zu denen mir unter Umständen etwas einfallen könne.

Zuerst fragte er mich eingehend über mein Verhältnis zu Beate aus, obgleich doch gerade dieser Fall nicht in seinem Kompetenzbereich lag. Ich sollte überdies präzise schildern, was ich über den Unfall wußte.

»Ich kann doch nur sagen, was in allen Zeitungen stand«, meinte ich.

»Nun, vielleicht doch noch mehr als das. Ich könnte mir denken, daß Ihre Freundin mit Ihnen telefoniert und Ihnen von einem bevorstehenden Picknick erzählt hat. Es ist immerhin möglich, Frau Hirte, daß Sie eine bestimmte Person decken wollen, beispielsweise Herrn Engstern. Immerhin wußten Sie als einzige, daß Ihre Freundin in ihn verliebt war, das scheint sie nämlich sonst keinem verraten zu haben.«