Witold überlegte offensichtlich, ob er einen Psychiater oder die Polizei anrufen sollte.
»Warum hast du eigentlich den Wahn, mich vor dem Fallbeil retten zu müssen?« fragte er mich streng, aber doch in einer fernen Kammer seines Herzens gerührt, daß ich seinetwegen diesen Polizistenmord begangen hatte.
»Ich habe dich vom ersten Blick an geliebt«, flüsterte ich.
Witold war sichtlich bestürzt. Nun stand er vor der schrecklichen Aufgabe, mich, die ihn liebte und schützen wollte, an die Justiz oder die Nervenheilanstalt auszuliefern.
»Was soll ich denn machen?« fragte er mich und sich, »womit hast du ihn überhaupt erschossen? Etwa mit dem gleichen Revolver wie Hilke…?«
Ich nickte. Dann murmelte ich erklärend: »Wahrscheinlich habe ich ihn aufgehoben, um mich selbst damit umzubringen.
Das Leben hat keinen Sinn für mich, weil du mich niemals lieben wirst.«
Witold konnte nicht gegen seine Natur. Er nahm meine Hand. »Thyra, sag so was nicht! Du weißt, daß ich dich sehr gern mag und dir helfen will.«
Er warf wieder einen abwägenden Blick aufs Telefon.
»Der Hund macht mich wahnsinnig«, schimpfte er, als wieder ein langgezogener Heulton aus dem Schlafzimmer drang. Ich ging hin und ließ den Dieskau heraus. Er begrüßte Witold aufgeregt und wollte zum Badezimmer laufen. Ich hielt ihn zurück.
»War der Polizist mit dem Auto da?« fragte Witold, »wahrscheinlich weiß man auf der Wache, daß er hier ist, und sie werden ihn bald vermissen.«
Er sah auf die Uhr.
»Merkwürdig, daß der Bursche überhaupt so spät noch unterwegs war, es ist ja gleich neun. Bei mir ist er gegen halb acht gegangen.«
Unschlüssig ging er auf und ab.
»Ich seh’ mal in seinen Taschen nach, ob er Wagenschlüssel bei sich hat.«
Witold ging mit Überwindung zurück ins Badezimmer. Er kam mit einer Brieftasche, Schlüsseln, einem Taschentuch und einem Notizblock zurück.
»Ich erinnere mich jetzt, er war bei mir auch mit dem Wagen da, er muß ihn unten stehen haben, ich schau’ mal nach«, sagte er und ging hinunter. Ich hatte die Befürchtung, daß er von einer Telefonzelle aus den Notruf betätigen wollte. Aber Witold kam schnell wieder, einen jungenhaften und verschwörerischen Ausdruck im Gesicht.
»Ich habe den Wagen eine Ecke weiter geparkt, aber es ist gar kein Polizeiauto«, sagte er atemlos, »und nun werden wir überlegen, was weiter zu tun ist.«
Ich hatte inzwischen die Notizen des Toten gelesen, soweit man seine Kürzel und Wortfetzen deuten konnte. Er hatte nach dem Besuch bei Witold geschrieben »R. Hirte aufsuchen.
Verdacht durch Engsterns Aussage — Hühnerbein«. Ich zerriß das Blatt und spülte die Fetzen ins Klo, damit Witold es nicht las. »Man muß die Leiche beseitigen«, schlug ich vor.
»Ganz einfach«, sagte Witold, »nichts leichter als das. Wir nehmen die Leiche und legen sie auf die Straße.«
Er blies Rauch in den Lampenschein.
»Wie stellst du dir das eigentlich vor? Da spiele ich nicht mit! Ich kann dir einen Rechtsanwalt empfehlen, ich kann dir Geld leihen, aber ich kann keine Leichen beseitigen!«
Ich hatte auch keine gute Idee. Schließlich wohnte ich mitten in Mannheim, in einem Mehrfamilienhaus in einer belebten Straße. Aber der Tote mußte verschwinden, das war mein größtes Bestreben.
Witold überlegte auch.
»Verheiratet ist er nicht, aber wahrscheinlich hat er eine Freundin, die auf ihn wartet. Vielleicht ruft sie auf der Wache an, wenn er nicht pünktlich kommt.«
Ich fügte hinzu: »Vielleicht ist sie aber auch daran gewöhnt, daß er spät kommt, und außerdem lebt er am Ende allein. Alles ist möglich.«
»Ich rufe jetzt an«, entschloß sich Witold, »Thyra, wir sind doch keine Gangsterbande. Das Unrecht wird schlimmer, je länger wir warten«, er stand wieder auf.
»Ich habe das nur für dich getan«, warnte ich ihn, »wenn sie mich befragen, muß ich auch alles über dich sagen.«
»Es kommt doch sowieso heraus. Es war ein großer Fehler, daß ich versucht habe, mich bei Hilkes Tod auf diese Art aus der Affäre zu ziehen. Thyra, es hat keinen Zweck.«
Ich weinte, aber es schien diesmal nicht den erwarteten Eindruck zu machen. Immerhin hatte er das Telefon bis jetzt noch nicht angerührt.
»Man könnte den Toten in den Keller tragen«, fiel mir plötzlich ein, »sein Auto kann man in eine Einfahrt stellen, wo früher die Kohle abgeladen wurde. Dann könnte man ihn ziemlich unbemerkt in sein Auto legen und wegfahren.«
»Thyra, die Leiche wird auf jeden Fall untersucht, und dann stellt man natürlich fest, daß er mit demselben Revolver getötet wurde wie meine Frau.«
Witold stutzte. Mit Schrecken fiel ihm ein, daß nun der Verdacht durchaus wieder auf ihn fallen könnte.
»Hättest du doch den Revolver weggeworfen!« schrie er mich an.
Ich wurde nun ruhig.
»Wenn er im Auto liegt, fährst du mit ihm zu einem Steinbruch und läßt das Auto runterfallen und explodieren. Ich fahre mit meinem Wagen hinterher und nehme dich wieder mit zurück.«
»Sag mal, wie viele Krimis…« Aber er schien doch über meinen Vorschlag nachzudenken.
»Es geht nicht. Schon auf der Treppe können wir gesehen werden!«
»Wenn wir bis Mitternacht warten, ist es völlig problemlos.
Meine Nachbarin geht früh ins Bett, die Alten unter mir erst recht, das junge Paar ist sowieso verreist…«
»Ich habe Hunger«, sagte Witold unvermutet. Ich wertete das als positives Zeichen.
»Was soll ich dir machen? Käsebrot, Eier?«
»Ja, ein Brot. Von mir aus Brot mit einem Spiegelei darauf.«
Ich ging in die Küche und ließ Butter in der Pfanne heiß werden. Der Geruch verursachte mir einen Magenkrampf.
Doch ich bin zäh, brachte nach fünf Minuten das Gewünschte auf den Tisch und fragte, was Witold trinken wollte. Er hörte nicht hin, schien nachzudenken und mechanisch zu essen.
Nun wagte ich mich noch einmal ins Bad. Ich wischte wieder gründlich auf und betrachtete mir dann den Toten. Die Kopfwunde hatte nicht allzulange geblutet, nur der kleine Frotteeteppich vor der Badewanne war blutgetränkt. Auch das Hirn war nicht ausgetreten oder sonstige schleimige Substanzen.
Der erste Mann, den ich umgebracht hatte! Ich sah ihn mir eingehend an; er war relativ klein, drahtig und sportlich. Hätte er sich nicht in vollkommener Sicherheit gewähnt, wäre mir die Überrumpelung niemals geglückt. Ein wenig spürte ich jetzt Stolz und Erleichterung, wenn auch die Angst und der stets lauernde körperliche Zusammenbruch noch im Vordergrund standen.
Inzwischen hatte Witold aufgegessen. Er hatte es geschafft, daß mein kleines Zimmer schon in kurzer Zeit voller Qualm war. Aber ich verlor kein Wort darüber, da er ernsthaft zu überlegen schien, wie man die Leiche verschwinden lassen könnte.
»Die Idee mit dem Steinbruch ist nicht so übel«, sagte er, »wenn man die Leiche ungesehen ins Auto geschafft hat, ist alles andere gar nicht so problematisch.«
»Man müßte ihn jetzt schon etwas zusammenfalten«, schlug ich vor, »ich weiß nämlich nicht, wie schnell er steif wird.«
Witold ekelte sich bei meinen praktischen Worten, aber es leuchtete ihm ein. Er stand auf, und ich folgte ihm ins Badezimmer.
»Hast du einen großen Müllsack?« fragte er. Meine Müllsäcke waren leider klein, passend für meinen Küchenmülleimer, denn bei mir fielen ja keine Gartenabfälle an. Ich wickelte die blutige Badematte um den Kopf des Toten und stülpte die größte Plastiktüte darüber.
»Ich könnte ja einen Bettbezug nehmen«, schlug ich vor, »wenn uns dann jemand auf der Treppe sehen sollte, sieht es wie ein großer Wäschesack aus.« Witold sagte nur: »Wir probieren es mal.« Ich holte meinen schlechtesten Bezug aus dem Schrank. Gemeinsam brachten wir den Toten in eine zusammengekauerte Stellung, die er ansatzweise schon vorher eingenommen hatte, und schoben ihn in den Bettbezug. Es war ein sehr unhandliches Bündel. Witold hob es probeweise hoch; er konnte dieses Paket zwar tragen, aber wie ein Sack voll Wäsche sah es nicht aus.
»Wir müssen noch etwas warten«, sagte ich, »es ist erst elf, da laufen noch zu viele Leute auf der Straße und vielleicht sogar auf der Treppe herum.«