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Zu Hause bekam ich einen Heulkrampf, der nicht enden wollte.

Meine Zähne klapperten, ich war völlig erschöpft, gleichzeitig wach und glasklar. Ich konnte mir nicht vorstellen, in wenigen Stunden im Büro zu sitzen und zu arbeiten, und doch war es nötig, denn ich war sonst nie krank und durfte auf keinen Fall jetzt auffallen. Ich ließ mir ein heißes Bad ein, legte mich hinein, um aufzutauen, um das Klappern meiner Zähne zu dämpfen. Kaum war ich im warmen Wasser, als mir mit Entsetzen einfiel, die Polizei könne die Adresse nicht richtig verstanden haben, Witold würde vielleicht immer heftiger bluten, am Ende sterben — verbluten durch meine Schuld, ohne mich jemals wieder angesehen und gelächelt zu haben. Ich mußte mich vergewissern, bei ihm anrufen. Aber ich hatte immer die fixe Idee mit der Fangschaltung. Also raus auf die Straße, in eine Telefonzelle und von dort anrufen! Wenn mich aber jetzt jemand aus der Nachbarschaft mitten in der Nacht in einer Telefonzelle sah, dann mußte das unter allen Umständen Verdacht erwecken. Aber ich konnte doch Witold nicht verbluten lassen!

Ich quälte mich aus der Wanne, trocknete mich kaum ab, zog den Bademantel über und nahm die Wohnungsschlüssel meiner Nachbarin. Sie war im Urlaub, und ich goß täglich ihre Blumen. Ich ging über den Flur, schloß auf, nahm das Telefon, wählte Witolds Nummer. »Ja, wer ist da?« fragte eine fremde Männerstimme. Ich legte auf, alles war in Ordnung, Witold wurde jetzt verarztet und in ein Bett gebracht. Ich war ein wenig erleichtert, schloß die fremde Wohnung wieder ab, legte mich aufs neue in die warme Wanne.

Wenn aber jemand gesehen hat, daß bei der Nachbarin Licht angeht, wo sie doch verreist ist — schoß es mir durch den Kopf —, dann muß das doch auch Befremden auslösen! Und wenn sie eine Fangschaltung haben, dann ist es erst recht auffällig, wenn aus der Wohnung einer Frau angerufen wird, die gerade in Italien ist.

Und, o Gott! In meiner Handtasche befanden sich ein fremdes Glas und vor allem die Mordwaffe. Ich hatte keine Ruhe mehr in der Wanne. Raus, zum zweiten Mal abtrocknen, Bademantel wieder an. Das Glas wickelte ich in ein Handtuch und schlug damit ein paarmal auf den Küchentisch. Die Scherben kamen in den Mülleimer, und den würde ich morgen ausleeren. Sollte der Revolver auch gleich diesen Weg gehen?

Das wäre allerdings sehr unvorsichtig, den mußte ich auf raffiniertere Art loswerden.

Schließlich überlegte ich mir aber, daß mir keine unmittelbare Gefahr drohte. Niemand konnte mich mit dieser Sache in Verbindung bringen, niemand kannte mich in Ladenburg. Witold wußte nicht, wer ich war, hatte mich bewußt nur dreimal gesehen, davon zweimal ohne Interesse, das dritte Mal unter Schock. Außerdem würde er sich wirklich nicht an alles erinnern können, die zwei Schüsse von mir hatte er nicht mehr mit Bewußtsein mitgekriegt.

Was sollte die Polizei von alldem halten? Hatte ich darüber hinaus Fehler gemacht, irgend etwas liegen gelassen? Nein, ich rauche nicht und lasse keine Zigarettenstummel als Beweis am Tatort, ich verliere auch keine Taschentücher mit Monogramm.

Siedendheiß fiel mir aber ein: meine Spuren im feuchten Garten, am Ende sogar auf dem Teppich. Ich hatte Turnschuhe angehabt, um besonders gut schleichen zu können. Sonst trage ich sie nie, sie sind ebenso wie der mausgraue Jogginganzug von der Kur übriggeblieben. Die müssen weg! dachte ich. Ich nahm sie sofort und tat sie in den halbvollen Rotkreuzsack.

Nächste Woche würde er abgeholt. Den Revolver legte ich in einen Koffer in der Rumpelkammer und beschloß, mir am nächsten Tag ein besseres Versteck auszudenken.

2

Was tut man, wenn man nicht geschlafen hat, wie ausgespuckt aussieht und trotzdem frisch und munter im Büro erscheinen soll? Ich wusch mir die Haare, zog meine freundlichsten Kleider an, verwendete viel Zeit für ein makelloses Make-up.

Zum Glück war Frau Römer noch länger krankgeschrieben, und ich blieb vorerst in ihrem Zimmer (auch ohne den Dieskau), wo ich nicht so sehr den neugierigen Blicken der Kollegen ausgesetzt war. Aber schon früh trat der Chef ein.

»Nein, wie sehen Sie heute gut aus, man merkt doch gleich, daß Sie aufblühen, wenn es Frau Römer wieder besser geht.

Der Dieskau und die täglichen Krankenhausbesuche waren sicher eine große Belastung für Sie. Aber heute sehen Sie aus wie das blühende Leben!«

»Ihnen entgeht ja nie etwas«, konterte ich möglichst locker, dabei trat mir der Schweiß aus allen Poren. Hatte ich die Nacht über mit den Zähnen geklappert, so wurde ich jetzt reichlich durch Hitzewellen entschädigt.

»Ich kenn’ doch meine Pappenheimer«, versicherte der Chef, »aber jetzt haben Sie sicher ein bißchen mehr Zeit und können sich mit diesem Schadenfall beschäftigen«, und er legte mir väterlich-gütig eine Akte auf den Schreibtisch. Dann ließ er mich allein. Ich hatte unterwegs die Rhein-Neckar-Zeitung gekauft, aber noch keine Gelegenheit gefunden, sie aufzuschlagen. Zum Glück stand noch kein Wort über die Ereignisse der vergangenen Nacht darin.

Als ich mittags in der Kantine auftauchte, hörten zwei junge Stenotypistinnen auf zu schwatzen, sahen mich und kicherten unterdrückt. Sie hatten über mich geredet, das war klar. An und für sich hatte ich zu den meisten Personen unserer Firma ein kollegiales, aber nicht allzu enges Verhältnis. Die Azubis und jungen Angestellten hatten ein wenig Angst vor mir, weil ich ihnen keine Schlampereien durchgehen ließ. War irgend etwas nicht korrekt, so mußten sie es eben noch einmal machen. Im Grunde konnten sie mir dankbar dafür sein, denn wenn man sich nicht beizeiten angewöhnt, diszipliniert zu arbeiten, wird es später immer damit hapern. Was Manschen nicht lernt und so weiter. Sicher fanden mich einige aber allzu streng und hetzten gelegentlich über mich.

Ich wußte auch jetzt, daß sie über meine Kleidung sprachen.

Diese jungen Dinger hatten natürlich ein Auge dafür, daß ich mich in der letzten Zeit um mehr Jugendlichkeit bemühte. Ich mußte wahrscheinlich in der Zukunft wieder etwas unauffälliger auftreten, im Nu hatten die einem etwas angedichtet. Mit Klatsch habe ich mich nie abgegeben, sogar meine jungen Kolleginnen scharf unterbrochen, wenn sie mir »wer mit wem« erzählen wollten. Durch die kompetente Frau Römer wurde ich dennoch über wichtige Tatsachen informiert; da sie ein gütiger und alter Mensch war, erlaubte ich ihr schon, mir zuweilen das Neueste zuzutragen.

War ich in der letzten Zeit in meiner strengen Rolle unglaubwürdig geworden? Leuchtete mir die Liebe verräterisch aus den Augen? Beate hatte neulich eine freche Bemerkung gemacht, sie hatte eine Nase für weibliche Gefühle.

Ich stand diesen Tag irgendwie durch, holte mir in der Apotheke ein leichtes Beruhigungsmittel und legte mich früh ins Bett. Aber an Schlafen war wieder nicht zu denken. Blutige Bilder tauchten vor mir auf, Hilkes grüne Bluse, die langsam schwarz wurde, der verletzte Witold. Ich hatte die Frau umgebracht! Witold war kein Mörder. Eine schauerliche Möglichkeit — darauf war ich bisher nicht gekommen — war, daß sie auch durch meinen Schuß nicht tot war.

Am nächsten Tag stand in mehreren Zeitungen, auch in der Ladenburger, die nur einmal wöchentlich erschien: MYSTERIÖSER MORD IN EINEM LADENBURGER LEHRERHAUS

Unter bis jetzt nicht aufgeklärten Umständen wurde gestern kurz nach ein Uhr nachts von der Polizei die Leiche der dreiundvierzigjährigen Hausfrau Hilke E. gefunden. Der Ehemann lag mit einem Durchschuß im Bein bewußtlos am Boden, Er war bislang vernehmungsunfähig. Sowohl die Tote als auch der Verletzte hatten zuvor reichlich Alkohol zu sich genommen. Die Tatwaffe fehlt.

Im Garten und auf dem Teppich fanden sich Spuren, die auf eine weitere Person schließen lassen. Der ältere Sohn befindet sich zur Zeit auf einer Urlaubsreise durch die Türkei und kann nicht erreicht werden, der zweite leistet seinen Zivildienst in einem Heidelberger Krankenhaus ab, wo er in der fraglichen Zeit Nachtdienst hatte. Gesucht wird ein auffallend schlanker Mann, Schuhgröße 41, der abends in der betreffenden Straße gesehen wurde.