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»Nun, das ist ja eine Erleichterung!« rief Tolpan fröhlich. »Wenn wir jetzt noch Licht hätten. Ich...«

Sein Satz wurde von einem würgenden Gurgeln abgeschnitten. Caramon hörte etwas aufschlagen, dann das Knacken von Holz und ein Geräusch, als ob etwas über den Boden geschleift würde.

»Tolpan!« schrie er.

»Caramon!« kreischte Tolpan. »Es ist ein Baum! Ein Baum hat mich erwischt! Hilfe, Caramon! Hilfe!«

»Soll das ein Witz sein, Tolpan?« fragte Caramon streng. »Lustig ist das hier wirklich nicht...«

»Nein!« kreischte Tolpan. »Er hat mich erwischt und zieht mich jetzt irgendwohin!«

»Was... wo?« rief Caramon. »Ich kann in dieser verdammten Dunkelheit nichts erkennen! Tolpan?«

»Hier! Hier!« jaulte Tolpan wild. »Er hat mich am Fuß erwischt und versucht jetzt, mich in zwei Teile zu zerreißen!«

»Schrei weiter, Tolpan!« rief Caramon und stolperte in der rauschenden Dunkelheit umher. »Ich glaube, ich bin in deiner Nähe...«

Ein riesiger Ast prallte gegen Caramons Brust, warf ihn zu Boden und schlug ihm die Luft aus dem Körper. Er lag da, versuchte Luft zu schnappen, als er zu seiner Rechten wieder ein Knacken vernahm. Während er blindlings mit seinem Schwert in diese Richtung schlug, rollte er sich zur Seite. Etwas Schweres stürzte direkt dorthin, wo er eben noch gelegen hatte. Er rappelte sich auf, aber ein anderer Ast krachte gegen sein Kreuz und ließ ihn mit dem Gesicht auf den trockenen Waldboden aufschlagen.

Der Schlag auf seinen Rücken traf seine Nieren und ließ ihn vor Schmerz aufkeuchen. Er versuchte, sich wieder aufzurappeln, aber sein Knie pochte schmerzhaft, und sein Kopf drehte sich. Er konnte Tolpan nicht mehr hören. Er konnte außer den knackenden, raschelnden Geräuschen der Bäume, die immer näher rückten, überhaupt nichts mehr hören. Irgend etwas kratzte an seinem Arm. Caramon zuckte zusammen und kroch außer Reichweite, nur um zu spüren, daß etwas nach seinem Fuß griff. Verzweifelt hackte er mit dem Schwert danach. Fliegende Holzspäne stachen in sein Bein, aber offenbar hatte er seinem Angreifer keinen Schaden zugefügt.

Die Kraft von Jahrhunderten lag in den massiven Ästen der Bäume. Die Magie hatte sie mit Verstand und Absicht ausgerüstet. Caramon hatte widerrechtlich Land betreten, das sie beschützten, Land, das dem Nichteingeladenen verboten war. Sie würden ihn umbringen, das wußte er.

Ein anderer Ast packte Caramons Oberschenkel. Zweige schlängelten sich um seine Arme und suchten festen Halt. Innerhalb von Sekunden würde er entzweigerissen werden... Er hörte Tolpan voll Schmerz aufschreien...

Caramon hob seine Stimme und schrie verzweifelt: »Ich bin Caramon Majere, Bruder von Raistlin Majere! Ich muß mit Par-Salian sprechen oder mit dem, der jetzt der Herr des Turmes ist!«

Einen Augenblick herrschte Schweigen. Caramon spürte das Zögern und sah den Willen der Bäume schwanken. Die Zweige lösten leicht ihren Griff.

»Par-Salian, bist du da? Par-Salian, du kennst mich! Ich bin sein Zwillingsbruder! Ich bin deine einzige Hoffnung!«

»Caramon?« kam ein zittrige Stimme.

»Pst, Tolpan!« zischte Caramon.

Das Schweigen war so dicht wie die Dunkelheit. Und dann spürte Caramon ganz langsam, daß die Zweige ihn losließen. Er hörte wieder das Knacken und Rascheln, aber dieses Mal entfernte es sich von ihm. Vor Erleichterung stöhnte er auf, geschwächt von Angst und Schmerz und der zunehmenden Übelkeit, und legte seinen Kopf auf den Arm. Er versuchte Atem zu holen. »Tolpan, bist du in Ordnung?« gelang es ihm zu rufen.

»Ja, Caramon«, ertönte die Stimme des Kenders dicht neben ihm. Caramon streckte seine Hand aus, bekam den Kender zu fassen und zog ihn eng an sich.

Obwohl er die Bewegung in der Dunkelheit spürte und hörte, daß sich die Bäume zurückzogen, hatte er trotzdem das Gefühl, daß die Bäume jeden seiner Schritte beobachteten und auf jedes Wort lauschten. Langsam und vorsichtig steckte er sein Schwert in die Scheide.

»Ich bin wirklich dankbar, daß dir noch rechtzeitig einfiel, Par-Salian mitzuteilen, wer du bist, Caramon«, sagte Tolpan und japste nach Luft. »Ich hatte mir gerade vorgestellt, wie ich Flint erklären würde, daß mich ein Baum umgebracht hat. Ich bin mir nicht sicher, ob man im Leben nach dem Tod lachen darf, aber ich wette, er hätte gebrüllt...«

»Pst«, unterbrach ihn Caramon erschöpft.

Tolpan hielt inne, dann flüsterte er: »Geht es dir gut?«

»Ja, ich muß nur wieder zu Atem kommen. Ich habe meine Krücke verloren.«

»Sie liegt dort drüben. Ich bin darüber gestolpert.« Tolpan kroch fort und kam einen Moment später zurück. Den gepolsterten Ast zerrte er hinter sich her. »Hier.« Er half Caramon beim Aufstehen.

»Caramon«, fragte er nach kurzem Zögern, »wie lange, glaubst du, brauchen wir zum Turm? Ich... ich bin schrecklich durstig, und meinem Bauch geht es zwar besser, seitdem ich mich übergeben habe, aber ich habe manchmal immer noch dieses schlängelnde Gefühl.«

»Ich weiß es nicht, Tolpan.« Caramon seufzte. »Ich kann in dieser verdammten Dunkelheit nichts erkennen. Ich weiß nicht einmal, in welche Richtung wir gehen müssen und wo der richtige Weg ist und wie wir uns bewegen müssen, ohne direkt in irgend etwas hineinzulaufen...«

Das Rascheln setzte plötzlich wieder ein, als ob ein Gewitterwind die Zweige der Bäume durchschüttelte. Caramon spannte sich an, und selbst Tolpan erstarrte besorgt, als die Bäume sie wieder einschließen wollten. Tolpan und Caramon standen hilflos in der Dunkelheit, während die Bäume näher und näher rückten. Zweige berührten ihre Haut, und tote Blätter strichen durch ihre Haare und flüsterten seltsame Worte in ihre Ohren. Caramons zitternde Hand fuhr zu seinem Schwertknauf, wenn er auch wußte, daß er wenig ausrichten konnte. Aber dann, als sich die Bäume eng an sie aufgestellt hatten, hörten die Bewegung und das Geflüster auf. Die Bäume standen wieder still.

Caramon streckte seine Hand aus und berührte zu seiner Linken und Rechten massive Baumstämme. Er konnte spüren, wie sie sich hinter ihm sammelten. Und plötzlich kam ihm ein Einfall. Er streckte seinen Arm in der Dunkelheit aus und tastete. Alles war leer.

»Bleib dicht bei mir, Tolpan«, befahl er, und zum ersten Mal in seinem Leben erhob der Kender keine Einwände. Gemeinsam schritten sie durch die Öffnung, die die Bäume ihnen aufgetan hatten.

Zuerst bewegten sie sich vorsichtig und voller Angst, über eine Wurzel oder einen gefallenen Ast zu stolpern oder sich in einem Busch zu verheddern oder in ein Loch zu stürzen. Aber allmählich erkannten sie, daß der Waldboden eben und trocken war, von allen Hindernissen geräumt und frei von Unterholz. Sie hatten keine Ahnung, welche Richtung sie einschlagen mußten. Sie liefen in absoluter Dunkelheit und hielten sich auf dem Weg, der sich vor ihnen zwischen den Bäumen zeigte und der sich hinter ihnen gleich wieder schloß. Jegliche Abweichung von diesem Weg brachte sie an eine Mauer von Stämmen und verhedderten Zweigen und toten, flüsternden Blättern.

Die Hitze war drückend. Keine Brise regte sich, und kein Regen fiel. Ihr Durst, den sie zuvor in ihrer Angst vergessen hatten, kehrte quälend zurück. Caramon wischte sich den Schweiß vom Gesicht und wunderte sich über die seltsame, intensive Hitze, denn hier war sie stärker als außerhalb des Waldes. Es schien, als würde der Wald selbst die Hitze erzeugen. Der Wald war noch lebendiger, als ihm bei den letzten beiden Besuchen aufgefallen war. Er war sicherlich lebendiger als die restliche Welt. Unter dem Rascheln der Bäume konnte er die Bewegungen von Tieren und das Schlagen von Vogelflügeln hören – oder zumindest glaubte er es, und manchmal erhaschte er einen Blick auf Augen, die in der Dunkelheit glänzten. Aber der Gedanke, wieder unter Lebewesen zu sein, brachte Caramon keinen Trost. Er spürte ihren Haß und ihren Zorn, und noch während er das empfand, erkannte er, daß diese Aggression nicht auf ihn gerichtet war. Sie war auf sich selbst gerichtet.