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»Ich wette, es hat etwas mit dir zu tun, alter Freund«, murmelte er, runzelte die Stirn und dachte wieder über das seltsame Verschwinden der Klerikerin Crysania nach.

Wieder hielt die Kutsche mit einem Ruck an und riß Tanis aus seinen Grübeleien. Er sah aus dem Fenster und erhaschte einen Blick auf den Tempel, zwang sich aber, geduldig sitzen zu bleiben, bis ein Lakai ihm die Tür öffnen würde. Er lächelte in sich hinein. Er konnte Laurana fast sehen, wie sie ihm gegenübersaß und ihn anfunkelte, er solle sich unterstehen, nach dem Türgriff zu greifen. Es hatte sie Monate gekostet, ihm seine alte, voreilige Angewohnheit abzugewöhnen, die Tür aufzureißen, den Lakai zur Seite zu stoßen und seinen Weg fortzusetzen, ohne einen Gedanken an den Kutscher, die Kutsche, die Pferde, all das zu verlieren.

Es war inzwischen ein heimlicher Spaß zwischen ihnen beiden geworden. Tanis beachtete liebend gern, wie sich Lauranas Augen in vorgetäuschtem Alarm verengten, wenn seine Hand neckend zur Tür griff. Aber im Moment erinnerte ihn dieser Gedanke lediglich daran, wie sehr er sie vermißte. Wo blieb überhaupt der verdammte Lakai? Bei den Göttern, er war allein, zur Abwechslung könnte er es wirklich auf seine Weise machen...

Die Tür flog auf. Der Lakai hantierte mit der Stufe, die unter den Wagenboden geklappt war. »Oh, vergiß das«, schnappte Tanis ungeduldig und sprang von der Kutsche. Er ignorierte den zaghaften, betroffenen Blick des Lakaien und holte erleichtert tief Luft, nachdem er endlich dem stickigen Gefängnis der Kutsche entronnen war.

Tanis sah sich um und ließ das wundervolle Gefühl von Frieden und Wohlbefinden, das vom Tempel Paladins ausstrahlte, in seine Seele strömen. Kein Wald bewachte diesen heiligen Ort. Weite, offene Rasenflächen, so sanft und glatt wie Samt, luden den Reisenden zum Betreten ein, sich zu setzen und auszuruhen. Gärten mit leuchtenden, farbenfrohen Blumen entzückten das Auge, und ihr Duft erfüllte die Luft mit Süße. Hier und dort boten Haine mit sorgfältig beschnittenen Bäumen Zuflucht vor dem strahlenden Sonnenlicht. Reines, kühles Wasser ergoß sich aus Springbrunnen. Weißgekleidete Kleriker wandelten mit gesenkten Köpfen in den Gärten, offenbar in ernsthafte Diskussionen vertieft.

Aus diesem Rahmen von Gärten, schattigen Hainen und Grasteppichen erhob sich der Tempel Paladins und strahlte sanft im morgendlichen Sonnenlicht. Er war ein einfaches, schmuckloses Gebäude aus weißem Marmor, das zu dem Eindruck des Friedens und der Ruhe beitrug, der in seiner ganzen Umgebung vorherrschte.

Tore waren vorhanden, aber keine Wachen. Jeder war eingeladen, hier einzutreten, und viele machten davon Gebrauch. Es war eine Zuflucht für alle Trauernden, Erschöpften und Unglücklichen. Als Tanis den Weg über den gepflegten Rasen nehmen wollte, sah er viele Menschen auf dem Gras sitzen oder liegen, mit einem Ausdruck des Friedens auf ihren von Sorgen und Erschöpfung gezeichneten Gesichtern, die diesen Trost nicht oft erlebt hatten.

Tanis hatte nur wenige Schritte zurückgelegt, als er sich – mit einem weiteren Seufzer – an die Kutsche erinnerte. Er hielt ein und drehte sich um. »Warte auf mich«, wollte er gerade sagen, als eine Gestalt aus dem Schatten eines Espenwaldes trat, der sich am äußersten Rand des Tempelgrundstücks erstreckte.

»Tanis, der Halb-Elf?« fragte die Gestalt.

Als die Gestalt ins Licht trat, zuckte Tanis zusammen. Sie war in schwarze Roben gekleidet. Zahlreiche Beutel und magische Hilfsmittel hingen am Gürtel, silberne Runen waren auf die Ärmel und die Kapuze des schwarzen Umhangs gestickt. Raistlin! dachte Tanis unvermittelt, da er sich an den Erzmagier nur kurz zuvor erinnert hatte.

Aber nein. Tanis atmete leichter. Dieser Zauberkundige war zumindest um eine Kopf- und Schulterlänge größer als Raistlin. Seine Haltung war aufrecht und sein Körper gut gebaut und muskulös, sein Schritt war jugendlich und kraftvoll. Als Tanis seine Aufmerksamkeit auf ihn richtete, erkannte er, daß die Stimme des Fremden fest und tief war – und nicht wie Raistlins beunruhigendes Flüstern.

Und außerdem, auch wenn es komisch schien, hätte Tanis schwören können, daß der Mann mit einem leichten Elfenakzent gesprochen hatte. »Ja, ich bin Tanis, der Halb-Elf«, antwortete er etwas verspätet.

Obwohl er das Gesicht des Mannes im Schatten der schwarzen Kapuze nicht sehen konnte, hatte Tanis den Eindruck, daß der andere lächelte.

»Ich war überzeugt, ich würde dich wiedererkennen. Du wurdest mir oft genug beschrieben. Du kannst deine Kutsche wegschicken. Sie wird nicht mehr benötigt. Du wirst viele Tage, vielleicht sogar Wochen hier in Palanthas verbringen.«

Der Mann sprach in der Elfensprache! Die Sprache der Silvanesti! Tanis war einen Moment so sprachlos, daß er sein Gegenüber nur anstarren konnte. Im selben Moment räusperte sich jedoch der Kutscher. Die Reise war lang und anstrengend gewesen, und in Palanthas wurde in vielen guten Wirtshäusern ein Bier serviert, das auf ganz Ansalon einen schon fast legendären Ruf genoß...

Aber Tanis war nicht bereit, auf das Wort eines schwarzgekleideten Magiers seine Kutsche zu entlassen. Er öffnete gerade seinen Mund, um eine Frage zu stellen, als der Zauberkundige die Hände aus den Ärmeln seiner Robe zog, in der er sie gefaltet gehalten hatte, und eine schnelle, abweisende Bewegung mit der einen und gleichzeitig eine einladende mit der anderen machte.

»Bitte«, sagte er wieder in der Elfensprache, »willst du mich nicht begleiten? Denn ich bin auf dem Weg zum gleichen Ort wie du. Elistan erwartet uns.«

Uns! Tanis’ Gedanken irrten verwirrt umher. Seit wann lud Elistan schwarzgekleidete Zauberkundige in Paladins Tempel ein? Und seit wann setzten schwarzgekleidete Zauberkundige freiwillig ihren Fuß auf diesen heiligen Boden?

Der einzige Weg, das herauszufinden, bestand jedoch wohl darin, diese seltsame Person zu begleiten und alle Fragen aufzusparen, bis sie allein waren. Etwas verwirrt erteilte Tanis also dem Kutscher seine Anweisungen. Die schwarzgekleidete Gestalt stand schweigend neben ihm und beobachtete die Kutsche bei ihrer Abfahrt. Dann drehte sich Tanis zu ihm um.

»Ich kenne deinen werten Namen leider nicht, Herr«, sagte der Halb-Elf in holprigem Silvanesti, einer Sprache, die reiner war als das Qualinesti, das er in seiner Kindheit gelernt hatte.

Der Fremde verbeugte sich und warf dann die Kapuze zurück, so daß das Morgenlicht auf sein Gesicht fiel. »Ich heiße Dalamar«, sagte er und vergrub seine Hände wieder in die Ärmel seiner Robe. Kaum jemand auf Krynn würde einem schwarzgekleideten Magier die Hand reichen.

»Ein Dunkelelf!« rief Tanis erstaunt und schneller, als er gewollt hatte. Dann errötete er. »Es tut mir leid«, fügte er unbeholfen hinzu. »Es ist nur so, daß ich noch nie...«

»Einen dieser Art kennengelernt habe?« ergänzte Dalamar gelassen, und ein schwaches Lächeln erschien auf seinem kalten, gutaussehenden, ausdruckslosen Elfengesicht. »Nein, vermutlich nicht. Wir, die ›vom Licht verstoßen sind‹, wie es heißt, wagen nicht oft, die sonnenüberfluteten Existenzebenen aufzusuchen.« Sein Lächeln wurde plötzlich wärmer, und Tanis bemerkte Sehnsucht in den Augen des Dunkelelfen, als seine Blicke zu dem Espenhain glitten, wo er zuvor gestanden hatte. »Obgleich auch wir manchmal von Heimweh ergriffen werden.«

Auch Tanis’ Blick ging zu den Espen – den Bäumen, die die Elfen am meisten liebten. Auch er lächelte und fühlte sich jetzt unbeschwerter. Tanis war auf seinen eigenen dunklen Straßen geschritten und wäre mehrmals beinahe in gähnende Abgründe gestolpert. Er konnte verstehen.

»Die Stunde meiner Verabredung naht«, sagte er. »Und aus dem, was du gesagt hast, schließe ich, daß du etwas damit zu tun hast! Vielleicht sollten wir weitergehen...«

»Gewiß.« Dalamar schien sich wieder gesammelt zu haben. Er folgte Tanis, ohne zu zögern, auf den Rasen. Als Tanis sich zu ihm umwandte, war er daher ziemlich erschrocken, daß ein kurzer Krampf die feinen Gesichtszüge des Elfen vor Schmerz entstellte und er voller Qual zusammenzuckte.