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»Was ist los?« Tanis hielt an. »Geht es dir nicht gut? Kann ich helfen...«

Dalamar zwang sein schmerzerfülltes Gesicht zu einem verzerrten Lächeln. »Nein, Halb-Elf«, erwiderte er. »Du kannst mir bestimmt nicht helfen. Ich bin auch nicht krank. Auch du würdest schlimmer aussehen, wenn du den Eichenwald von Shoikan betreten müßtest, der mein Zuhause bewacht.«

Tanis nickte verständnisvoll und sah unwillkürlich in die Ferne, hoch zu dem dunklen, grimmigen Turm, der Palanthas überragte. Als er ihn betrachtete, hatte er auf einmal eine seltsame Vision. Er sah zurück zu dem schlichten weißen Tempel, dann wieder zum Turm. Aber als er sie zusammen sah, schien es ihm, als sähe er beide Gebäude zum ersten Mal. Beide sahen vollständiger, abgeschlossener und ganzheitlicher aus, als wenn man sie einzeln und für sich betrachtete. Dieser Eindruck war flüchtig, und er wollte darüber erst später nachdenken. Jetzt konnte er nur an eins denken...

»Dann lebst du dort? Mit Rai... mit ihm?« Tanis konnte sich noch so sehr anstrengen, aber er wußte, daß er den Namen des Erzmagiers nur mit bitterem Zorn aussprechen konnte, darum vermied er ihn ganz.

»Er ist mein Shalafi«, antwortete Dalamar mit einer Stimme, die vor Schmerzen angespannt war.

»Du bist also sein Lehrling?« fragte Tanis, der sich an dies Elfenwort für »Meister« erinnern konnte. Er runzelte die Stirn. »Was tust du dann hier? Hat er dich geschickt?« Wenn ja, dachte der Halb-Elf, werde ich diesen Ort verlassen, auch wenn ich den ganzen Weg nach Solanthas laufen müßte.

»Nein«, erwiderte Dalamar. Er hatte jetzt jegliche Gesichtsfarbe verloren. »Aber wir werden über ihn sprechen.« Der Dunkelelf zog seine Kapuze über den Kopf. Als er sprach, geschah das offensichtlich nur unter großer Anstrengung. »Und jetzt muß ich dich zur Eile antreiben. Elistan hat mich zwar mit einem Zauber ausgestattet, der mir diese Strapaze erleichtert, aber ich möchte es trotzdem schnell hinter mich bringen.«

Elistan stattete schwarzgekleidete Zauberkundige mit einem Zauber aus? Raistlins Lehrling? In völliger Verwirrung beschleunigte Tanis seinen Schritt.

»Tanis, mein Freund!«

Elistan, Kleriker von Paladin und Oberhaupt der Kirche des Kontinents Ansalon, streckte dem Halb-Elfen die Hand entgegen. Tanis ergriff sie herzlich und versuchte zu übersehen, wie geschwächt und kraftlos der ehemals starke, feste Griff des Klerikers gewesen war. Tanis mußte noch stärker mit sich ringen, sein Gesicht zu kontrollieren und die Gefühle von Schock und das Mitleid zu verbergen, als er auf die zerbrechliche, fast skelettartige Gestalt im Bett schaute, die mit Kissen abgestützt wurde.

»Elistan...«, begann Tanis herzlich.

Einer der weißgekleideten Kleriker, die sich in der Nähe ihres Oberhauptes aufhielten, sah zum Halb-Elfen auf und runzelte die Stirn.

»Ich meine, Verehrter Sohn« – Tanis stolperte über die formelle Anrede – »du siehst gut aus.«

»Und du, Tanis, Halb-Elf, läßt dich neuerdings zu Lügen herab«, bemerkte Elistan und lächelte über den Ausdruck von Betroffenheit, den Tanis verzweifelt aus seinem Gesicht zu verbannen suchte.

Elistan schlug mit seinen mageren weißen Fingern leicht auf Tanis’ sonnengebräunte Hand. »Und albere nicht mit diesem ›Verehrter Sohn‹-Quatsch herum. – Ja, ich weiß, es wäre angemessen und korrekt, Garad, aber dieser Mann kannte mich schon, als ich noch Sklave in den Minen von Pax Tarkas war. Jetzt macht schon, ihr alle«, scheuchte er die herumstehenden Kleriker. »Bringt alles herbei, was wir haben, um es unseren Gästen gemütlich zu machen.«

Sein Blick glitt hinüber zu dem Dunkelelfen, der auf einem Stuhl neben dem Feuer zusammengebrochen war, das in Elistans privatem Zimmer brannte. »Dalamar«, sagte Elistan sanft, »diese Reise war für dich bestimmt nicht angenehm. Ich bin dir zu großem Dank verpflichtet, daß du es auf dich genommen hast. Aber hier in meinen Räumen, glaube ich, kannst du dich entspannen. Was möchtest du trinken?«

»Wein«, quälte sich der Dunkelelf mit Lippen zu antworten, die steif und aschgrau waren. Tanis sah die Hände des Elfen auf der Stuhllehne zittern.

»Bringt Wein und Essen für unsere Gäste«, befahl Elistan den Klerikern, die nacheinander das Zimmer verließen, wobei einige dem schwarzgekleideten Magier mißbilligende Blicke zuwarfen. »Bringt Astinus sofort bei seiner Ankunft hierher, und dann kümmert euch darum, daß wir nicht gestört werden.«

»Astinus?« Tanis riß vor Erstaunen den Mund auf. »Astinus, der Chronist?«

»Ja, Halb-Elf.« Elistan lächelte wieder. »Das Sterben verleiht einem eine besondere Bedeutung. Die mich sonst keines Blickes gewürdigt haben, stehen jetzt Schlange, um mich zu sehen. Lautete so nicht das Gedicht des alten Mannes? Nun komm, Halb-Elf. Alles ist ausgesprochen. Ja, ich weiß, daß ich im Sterben liege. Ich weiß es seit langer Zeit. Meine Monate schrumpfen zu Wochen. Komm, Tanis. Du hast früher schon Menschen sterben sehen. Du hast mir doch selbst mal erzählt, was dir der Herr der Wälder im Düsterwald sagte: ›Wir betrauern nicht den Verlust derjenigen, deren Schicksal sich erfüllte!‹ Mein Leben hat sich erfüllt, Tanis – mehr, als ich mir jemals vorstellen konnte.« Elistan sah aus dem Fenster auf die weiten Rasenflächen, die blühenden Gärten und – weit in der Ferne – auf den dunklen Turm der Erzmagier.

»Es war mir gegeben, der Welt wieder die Hoffnung zurückzubringen, Halb-Elf«, sagte Elistan leise. »Hoffnung und Heilung. Welcher Mensch kann mehr von sich sagen? Ich gehe in dem Wissen, daß die Kirche wieder fest eingerichtet ist. Es gibt jetzt bei allen Rassen wieder Kleriker. Ja, sogar bei den Kendern.« Elistan fuhr lächelnd mit einer Hand über sein weißes Haar. »Ah«, seufzte er, »welch mühsame Zeit das für unseren Glauben war, Tanis! Und immer noch sind wir nicht in der Lage, genau festzuhalten, was alles fehlt. Aber es sind Leute mit gutem Herzen und guter Seele. Wann immer ich die Geduld zu verlieren begann, habe ich an Fizban gedacht – Paladin, wie er sich uns offenbart hat – und die besondere Liebe, die er für deinen kleinen Freund Tolpan hegte.«

Tanis’ Gesicht verdunkelte sich beim Namen des Kenders, und es schien ihm, als ob Dalamar, der in die tänzelnden Flammen gestarrt hatte, ebenfalls kurz aufblickte. Aber Elistan bemerkte es nicht.

»Ich bedaure lediglich, daß ich von euch gehe, ohne einen wahrhaft fähigen Nachfolger zurückzulassen.« Elistan schüttelte den Kopf. »Garad ist ein guter Mann. Zu gut. Ich sehe, wie er sich zu einem weiteren Königspriester entwickelt. Aber er versteht noch nicht, daß das Gleichgewicht bewahrt werden muß, daß wir alle aufgerufen sind, diese Welt zu vervollständigen. Ist das nicht so, Dalamar?«

Zu Tanis’ Überraschung nickte der Dunkelelf. Er hatte seine Kapuze zurückgezogen und hatte es geschafft, etwas Rotwein zu trinken, den die Kleriker ihm gebracht hatten. Die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück, und seine Hände zitterten nicht mehr. »Du bist klug, Elistan«, sagte der Dunkelelf leise. »Ich wünschte, auch andere wären so verständig.«

»Vielleicht ist es nicht Klugheit, sondern eher die Fähigkeit, die Dinge von allen Seiten zu betrachten und nicht nur von einer.« Elistan wandte sich an Tanis. »Du, Tanis, mein Freund, hast du nicht den Anblick bemerkt und geschätzt, als du gekommen bist?« Er zeigte schwach zum Fenster, durch das der Turm der Erzmagier deutlich zu sehen war.

»Ich bin mir nicht sicher, was du meinst«, wich Tanis aus, nervös wie immer, wenn er seine Gefühle mitteilen sollte.

»Du weißt es auch, Halb-Elf«, drängte Elistan, der zu seiner alten Forschheit zurückkehrte. »Du hast auf den Turm gesehen und dann auf den Tempel und gedacht, daß es richtig und passend ist, daß sie so dicht nebeneinander stehen. Oh, es gab viele, die gegen diesen Standort des Tempels Einwände erhoben haben. Garad, und natürlich Crysania...«

Als dieser Name fiel, würgte Dalamar, hustete und setzte eihg sein Weinglas ab. Tanis erhob sich und begann unwillkürlich durch den Raum zu schreiten – wie es seine Angewohnheit war – und setzte sich plötzlich wieder hin, weil ihm der Gedanke kam, daß sein Herumlaufen den sterbenden Mann vielleicht stören könnte. Nervös bewegte er sich auf seinem Sitz.