So wie Fistandantilus vor ihm, ließ Raistlin den Zwergentorkrieg entbrennen und erhielt so Zutritt zum Portal, das zu jener Zeit in der magischen Festung Zaman stand. Wenn die Geschichte sich vollständig wiederholt hätte, wäre Raistlin in diesem Portal gestorben, denn dort fand Fistandantilus seinen Untergang.«
»Darauf hatten wir gebaut«, murmelte Elistan, und seine Hände zogen schwach an den Bettdecken, unter denen er lag. »Par-Salian war sich sicher, es bestehe keine Möglichkeit, daß Raistlin die Geschichte verändern könnte...«
»Dieser erbärmliche Kender!« knurrte Dalamar. »Par-Salian hätte es wissen müssen. Es hätte ihm klar sein müssen, daß diese elende Kreatur genau das tun würde, was er auch getan hatte – jede Gelegenheit ergreifen, ein neues Abenteuer zu erleben! Er hätte unseren Rat annehmen und diesen kleinen Bastard unschädlich machen müssen...«
»Sag mir rasch, was mit Tolpan und Caramon geschehen ist«, unterbrach ihn Tanis kalt. »Es interessiert mich nicht, was aus Raistlin geworden ist oder – entschuldige mich, Elistan – aus Crysania. Sie war von ihrer eigenen Güte geblendet. Es tut mir leid für sie, aber sie weigerte sich, die Augen zu öffnen und die Wahrheit zu sehen. Meine Freunde interessieren mich. Was ist aus ihnen geworden?«
»Wir wissen es nicht«, antwortete Dalamar. Er zuckte die Achseln. »Aber an deiner Stelle würde ich die Hoffnung aufgeben, sie in diesem Leben wiederzusehen, Halb-Elf... Sie sind für den Meister von zu geringem Nutzen.«
»Dann hast du mir schon alles gesagt, was ich wissen muß«, entgegnete Tanis. Seine Stimme war vor Trauer und Zorn angespannt. Der Halb-Elf stand auf. »Das letzte, was ich je tun würde, wäre, Raistlin zu suchen, und ich...«
»Setz dich, Halb-Elf«, gebot ihm Dalamar. Er hatte seine Stimme nicht erhoben, aber in seinen Augen lag ein gefährliches Glitzern. Tanis griff nach dem Knauf seines Schwertes, nur um erinnert zu werden, daß er es nicht mehr trug, seit er den Tempel Paladins betreten hatte. Voll Zorn und unfähig zu sprechen verbeugte sich Tanis vor Elistan und auch vor Astinus und wollte zur Tür gehen.
»Es wird dich dennoch interessieren, was aus Raistlin geworden ist, Tanis, Halb-Elf«, wurde er von Dalamars gelassener Stimme aufgehalten, »weil es dich nämlich betrifft. Es betrifft uns alle. Ich sage doch die Wahrheit, Verehrter Sohn?«
»Er hat recht, Tanis«, sagte Elistan. »Ich verstehe deine Gefühle, aber du mußt sie jetzt vergessen!«
Astinus sagte nichts. Nur das Kratzen seines Federhalters war ein Zeichen für die Anwesenheit des Mannes im Zimmer. Tanis ballte die Fäuste, und mit einem bösartigen Fluch, der sogar Astinus aufblicken ließ, wandte sich der Halb-Elf an Dalamar. »Nun gut. Was könnte Raistlin möglicherweise noch anstellen, was weiterhin jene um ihn herum verletzt, sie quält und zerstört?«
»Ich sagte anfangs, daß sich unsere schlimmsten Befürchtungen bereits bestätigt haben«, erwiderte Dalamar, und seine schrägen Elfenaugen begegneten den leicht schrägen Augen des Halb-Elfen.
»Und?« schnappte Tanis ungeduldig, der immer noch stand.
Dalamar machte eine Pause. Astinus sah wieder auf und zog seine grauen Augenbrauen in wilder Verärgerung zusammen.
»Raistlin hat die Hölle betreten. Er und Crysania werden die Königin der Finsternis herausfordern.«
Tanis starrte Dalamar ungläubig an. Auf einmal brach er in wildes Gelächter aus. »Nun«, sagte er schulterzuckend, »mir scheint, daß ich mir deswegen keine Sorgen machen muß. Der Magier hat seinen eigenen Untergang bereits besiegelt.«
Aber Tanis’ Gelächter fand keine Zustimmung. Dalamar musterte ihn mit kühler, zynischer Belustigung, als ob er diese lächerliche Reaktion von einem Halbmenschen erwartet hätte. Astinus schnaufte und schrieb weiter. Elistans zerbrechliche Schultern sackten zusammen. Er schloß die Augen und lehnte sich in seine Kissen zurück.
Tanis starrte sie alle verständnislos an. »Ihr könnt das doch nicht ernsthaft für eine Bedrohung halten!« herrschte er sie an. »Bei den Göttern, ich habe selbst vor der Königin der Finsternis gestanden! Ich habe ihre Macht gespürt und ihre Majestät... und das war zu einer Zeit, als sie nur teilweise auf dieser Existenzebene weilte.« Der Halb-Elf erschauerte unwillkürlich. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wenn man sie auf ihrer eigenen... eigenen...«
»Du stehst damit nicht allein, Tanis«, murmelte Elistan erschöpft. »Auch ich hatte eine Begegnung mit der Dunklen Königin.« Er öffnete die Augen und lächelte matt. »Überrascht dich das? Auch ich hatte meine Prüfungen und Versuchungen. Wie jeder andere Mensch auch.«
»Nur einmal ist sie zu mir gekommen.« Dalamar erblaßte, und in seinen Augen lag Angst. Er befeuchtete die Lippen. »Und das war, um mir diese Botschaften zu überbringen.«
Astinus sagte nichts, aber er hatte mit dem Schreiben jetzt aufgehört. Gestein selbst verriet mehr als die Miene des Historikers.
Tanis schüttelte verwundert den Kopf. »Du hast die Königin getroffen, Elistan? Du erkennst ihre Macht an? Und trotzdem bist du überzeugt, daß ein zerbrechlicher und kränkelnder Zauberer und eine altjüngferliche Klerikerin ihr irgend etwas antun könnten?«
Elistans Augen blitzten auf, und seine Lippen zogen sich zusammen. Tanis wußte, daß er zu weit gegangen war. Er errötete, kratzte sich am Bart und wollte sich entschuldigen, doch dann schloß er dickköpfig den Mund. »Es ergibt keinen Sinn«, murmelte er, ging zurück und warf sich wieder auf seinen Stuhl.
»Also, wie in der Hölle können wir ihn aufhalten?« Als Tanis klar wurde, was er da gesagt hatte, lief er rot an. »Es tut mir leid«, murmelte er. »Ich wollte jetzt keinen Witz darüber machen. Alles, was ich sagen will, scheint falsch zu werden. Aber, verdammt, ich verstehe es nicht! Sollen wir Raistlin aufhalten oder ihn anspornen?«
»Du kannst ihn nicht aufhalten«, mischte sich Dalamar kühl ein, bevor Elistan etwas sagen konnte. »Das können nur wir Magier allein. Seitdem wir vor vielen Wochen von dieser Bedrohung erfahren haben, planen wir und bereiten uns vor. Verstehst du, Halb-Elf: Was du gesagt hast, ist teilweise korrekt. Raistlin weiß auch, was wir alle wissen, daß er die Königin der Finsternis nicht auf ihrer eigenen Existenzebene besiegen kann. Folglich plant er, sie hervorzulocken und sie durch das Portal hier in diese Welt zu bringen...«
Tanis hatte ein Gefühl, als hätte er einen harten Schlag in den Magen erhalten. Einen Augenblick konnte er nicht atmen. »Das ist Wahnsinn«, gelang es ihm schließlich zu keuchen. Seine Hände klammerten sich um die Lehnen seines Stuhls, und seine Knöchel liefen vor Anspannung weiß an. »Wir haben sie in Neraka kaum besiegen können! Er will sie wirklich zurück in diese Welt bringen?«
»Falls wir ihn nicht aufhalten können«, fuhr Dalamar fort, »was meine Pflicht ist, wie ich gesagt habe.«
»Und was also sollen wir unternehmen?« verlangte Tanis zu wissen und beugte sich nach vorne. »Warum hast du uns hierher gerufen? Sollen wir herumsitzen und zuschauen...«
»Geduld, Tanis!« ermahnte ihn Elistan. »Du bist nervös und verängstigt. Wir alle teilen diese Gefühle.«
Mit Ausnahme dieses granitherzigen Historikers, dachte Tanis verbittert...
»Aber mit voreiligen Taten und wilden Worten werden wir nichts gewinnen.« Elistan sah hinüber zu dem Dunkelelfen, und seine Stimme wurde sanfter. »Ich glaube, das Schlimmste haben wir noch gar nicht erfahren, nicht wahr, Dalamar?«
»Ja, Verehrter Sohn«, antwortete Dalamar, und Tanis war überrascht, einen Hauch von Gefühlen in den schrägen Augen des Elfen flackern zu sehen. »Ich habe die Nachricht erhalten, daß die Drachenfürstin Kitiara...» Der Elf würgte leicht, räusperte sich und fuhr entschlossen fort: »Kitiara plant einen Großangriff auf Palanthas.«