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»Allein aufgrund dieser Empfehlung würde ich dich hochschätzen, denn ich liebte und achtete Sturm wie einen eigenen Sohn«, fuhr Fürst Gunther aufrichtig fort. »Aber im Laufe der Zeit bin ich auch ohne dies dazu gekommen, dich zu bewundern und gern zu haben, Tanis. Dein Mut in der Schlacht war unbestritten, deine Ehre, deine Würde gleicht der eines Ritters.« Tanis schüttelte gereizt den Kopf über dieses Gerede von Ehre und Würde, aber Gunther bemerkte es nicht. »Die Auszeichnungen, die dir nach Kriegsende verliehen worden sind, hast du mehr als verdient. Deine Arbeit seit dem Ende des Krieges ist hervorragend. Du hast mit Laurana Nationen zusammengeführt, die Jahrhunderte gespalten waren. Porthios hat den Vertrag unterzeichnet, und sobald die Zwerge von Thorbadin einen neuen König gewählt haben, werden auch sie unterzeichnen.«

»Ich danke dir, Fürst Gunther«, sagte Tanis. Den Krug mit Bier hielt er unberührt in seiner Hand und starrte auf das Feuer. »Ich danke dir für dein Lob. Ich wünschte, ich könnte glauben, es verdient zu haben. Also, wenn du mir jetzt sagen würdest, wohin diese Zuckerspur verlaufen soll...«

»Ich sehe, deine menschliche Hälfte beherrscht noch immer deine Elfennatur«, sagte Gunther mit einem leichten Lächeln. »Na schön, Tanis. Ich will alle Elfenliebenswürdigkeiten beseite lassen und direkt zum Punkt kommen. Ich glaube, deine früheren Erlebnisse haben dich nervös gemacht – dich und auch Elistan. Laß uns ehrlich sein, mein Freund. Du bist kein Krieger. Du hast niemals eine entsprechende Ausbildung genossen. Du bist in den letzten Krieg zufällig hineingestolpert. Nun komm mit mir. Ich will dir etwas zeigen. Komm, komm...«

Tanis stellte den vollen Krug auf dem Kaminsims ab und ließ sich von Gunthers starker Hand führen. Sie gingen durch eine Raum, der mit soliden, schlichten, aber gemütlichen Möbeln eingerichtet war, wie es bei den Rittern beliebt war. Das war Gunthers Kriegszimmer. Schilde und Schwerter und die Banner der drei Ritterorden – die Rose, das Schwert und die Krone – waren an den Wänden angebracht. Trophäen aus Schlachten, die im Laufe der Jahre geschlagen worden waren, glänzten in den Glasschränken, wo sie sorgfältig aufbewahrt wurden. An einem Ehrenplatz, der die ganze Länge einer Wand einnahm, befand sich eine Drachenlanze – die erste, die Theros Eisenfeld geschmiedet hatte. Um sie herum hingen zahlreiche Goblinschwerter, eine Drakonierklinge mit Sägezähnen, ein riesiges zweischneidiges Ogerschwert und ein zerbrochenes Schwert, das einst dem unglücklichen Ritter Derek Kronenhüter gehört hatte.

Es war eine beeindruckende Sammlung, die ein Leben ehrenvollen Dienstes für die Ritterschaft bezeugte. Gunther ging jedoch an ihr vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen, und steuerte auf eine Ecke im Zimmer zu, wo ein großer Tisch stand. Aufgerollte Karten steckten ordentlich in kleinen Fächern unter dem Tisch, und jedes Fach war beschriftet. Nachdem er sie eine Zeitlang studiert hatte, griff Gunther nach unten und zog eine Karte hervor. Sorgfältig breitete er sie auf dem Tisch aus. Dann winkte er Tanis zu sich. Der Halb-Elf trat näher, kratzte sich am Bart und bemühte sich, interessiert auszusehen.

Gunther rieb sich zufrieden die Hände. Er war jetzt in seinem Element. »Es ist einfach eine Angelegenheit der Logistik, Tanis. Einfach und klar. Schau, hier steht die Armee der Drachenfürstin, eingeschlossen in Sanction. Ich gebe zu, daß die Fürstin jetzt stark ist. Sie verfügt über eine riesige Anzahl von Drakoniern, Goblins und Menschen, denen nichts lieber wäre, als den Krieg wieder aufleben zu lassen. Außerdem muß ich zugeben, daß unsere Spione von vermehrten Aktivitäten in Sanction berichtet haben. Die Drachenfürstin plant etwas. Aber Palanthas angreifen! Im Namen der Hölle, Tanis, sieh dir doch das Gebiet an, durch das sie marschieren müßte! Und der größte Teil wird von den Rittern kontrolliert! Und selbst wenn sie das Menschenpotential hat, um sich durchzukämpfen, sieh nur, wie weit sie ihre Versorgungslinien ausdehnen muß! Es würde ihre gesamte Armee in Anspruch nehmen, allein ihre Linien zu bewachen! Wir könnten sie mühelos durchbrechen, egal, an wie vielen Stellen.«

Gunther zupfte wieder an seinem Schnurrbart. »Tanis, wenn ich je einen Drachenfürsten in dieser Armee respektiert habe, dann Kitiara. Sie ist skrupellos und ehrgeizig, aber auch intelligent, und sie nimmt gewiß keine unnötigen Risiken auf sich. Sie hat zwei Jahre gewartet, ihre Armee aufgebaut und sich an einem Ort eingeigelt, von dem sie weiß, daß wir ihn nicht anzugreifen wagen. Sie hat zuviel gewonnen, um es in solch einem wahnsinnigen Plan wegzuwerfen.«

»Angenommen, es ist gar nicht ihr Plan«, murmelte Tanis.

»Welchen anderen Plan könnte sie denn wohl haben?« fragte Gunther geduldig.

»Ich weiß es nicht«, schnappte Tanis. »Du sagst, du respektierst sie, aber respektierst du sie genug? Fürchtest du sie genug? Ich kenne sie, und ich habe das Gefühl, daß sie irgend etwas vorhat...« Seine Stimme brach ab, und er blickte mit finsterem Blick auf die Karte.

Gunther schwieg. Er hatte seltsame Gerüchte über Tanis, den Halb-Elfen, und Kitiara gehört. Er hatte sie natürlich nicht geglaubt, aber er hielt es für angebracht, nicht weiter zu ergründen, wie gut der Halb-Elf diese Frau kannte.

»Du glaubst das nicht, oder?« fragte Tanis abrupt. »Kein bißchen davon?«

Gunther bewegte sich unbehaglich, glättete seinen langen grauen Schnurrbart und beugte sich nach vorne. Erst einmal rollte er die Karte mit äußerster Sorgfalt zusammen. »Tanis, mein Sohn, du weißt, daß ich dich achte...«

»Das haben wir bereits abgehandelt.«

Gunther ignorierte die Unterbrechung. »Und du weißt, daß es auf der ganzen Welt keinen anderen gibt, den ich tiefer verehre als Elistan. Aber wenn ihr beide mir eine Geschichte erzählt, die von einer Schwarzen Robe stammt – und dazu noch von einem Dunkelelf —, eine Geschichte über diesen Zauberer, Raistlin, der die Hölle betreten und die Königin der Finsternis herausgefordert haben soll! Nun, es tut mir leid, Tanis. Ich bin kein junger Mann mehr. Ich habe in meinem Leben viele seltsame Dinge gesehen. Aber dies klingt wirklich wie eine Gutenachtgeschichte für Kinder!«

»So hat man auch schon einmal über Drachen geredet«, murmelte Tanis, und sein Gesicht lief unter seinem Bart rot an. Er stand einen Moment mit gebeugtem Kopf da, dann kratzte er sich am Bart und musterte Gunther aufmerksam. »Mein Fürst, ich kenne Raistlin seit seiner Kindheit. Ich bin mit ihm gereist, habe ihn in vielen Situationen erlebt, habe mit ihm und gegen ihn gekämpft. Ich weiß, wozu dieser Mann fähig ist!« Tanis ergriff Gunthers Arm. »Wenn du meinen Rat nicht akzeptierst, dann akzeptiere Elistans Rat! Wir brauchen dich, Fürst Gunther! Wir brauchen dich, wir brauchen die Ritter. Du mußt den Turm des Oberklerikers verstärken. Uns bleibt wenig Zeit. Dalamar hat uns gesagt, daß die Zeit auf den Existenzebenen der Dunklen Königin keine Bedeutung hat. Raistlin kann sie monatelang oder sogar jahrelang dort bekämpfen, aber für uns sind es nur Tage. Dalamar glaubt, daß die Rückkehr seines Herrn kurz bevorsteht. Ich glaube ihm, und auch Elistan tut das. Warum wir ihm glauben, Fürst Gunther? Weil Dalamar Angst hat. Er hat Angst – so wie wir alle... Deine Spione berichten doch auch von ungewöhnlichen Aktivitäten in Sanction. Ist das denn nicht Beweis genug? Glaub mir, Fürst Gunther, Kitiara wird ihrem Bruder zu Hilfe kommen. Sie weiß, er wird sie als Herrscherin auf dieser Welt einsetzen, wenn er erfolgreich ist. Und sie ist Spielerin genug, um für diese Chance alles auf eine Karte zu setzen! Bitte, Fürst Gunther, wenn du mir schon nicht glauben willst, dann komm wenigstens nach Palanthas! Sprich mit Elistan!«

Fürst Gunther musterte aufmerksam den Mann, der vor ihm stand. Er war in die Position eines Großmeisters der Ritter aufgestiegen, weil er ein gerechter, ehrlicher Mann war. Zudem war er ein guter Menschenkenner. Er mochte und bewunderte den Halb-Elfen, seitdem er ihn am Ende des Krieges kennengelernt hatte. Aber niemals war es ihm möglich gewesen, ihm näher zu kommen. Es war etwas um Tanis, ein reserviertes, in sich gekehrtes Auftreten, das nur wenigen erlaubte, die unsichtbaren Grenzen, die er errichtet hatte, zu durchdringen.