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Der Stab schlängelte sich um seinen Arm und war kein Stab mehr, sondern eine riesige Schlange. Glitzernde Fänge gruben sich in sein Fleisch.

Schreiend fiel Raistlin auf die Knie und versuchte verzweifelt, sich von dem giftigen Biß des Stabes zu befreien. Aber im Kampf mit einem Feind vergaß er den anderen. Er hörte verschrobene Worte der Magie singen und sah ängstlich auf. Fistandantilus war verschwunden, aber an seiner Stelle stand ein Dunkelelf. Der Dunkelelf, gegen den Raistlin in der letzten Schlacht seiner Prüfungen gekämpft hatte. Und dann war der Dunkelelf Dalamar und schleuderte ihm eine Feuerkugel entgegen, und dann wurde aus der Feuerkugel ein Schwert, das von einem bartlosen Zwerg in sein Fleisch getrieben wurde.

Flammen umtosten ihn, Stahl drang in seinen Körper, Fänge gruben sich in seine Haut. Er sank und sank in die Schwärze, und dann wurde er in weißes Licht getaucht und in weiße Roben eingehüllt und an eine weiche, warme Brust gedrückt...

Und er lächelte, denn er wußte durch das Zusammenzucken des Körpers, der seinen beschützte, und durch die leisen, qualvollen Schreie, daß die Waffen auf sie einschlugen, nicht auf ihn.

13

»Fürst Gunther!« sagte Amothud, Herrscher von Palanthas, und erhob sich. »Welch unerwartete Freude. Und auch du, Tanis, Halb-Elf. Ich vermute, ihr seid beide gekommen, um die Siegesfeier mitzuplanen. Ich freue mich ja so. Jetzt können wir früh im Jahr damit beginnen. Ich, das heißt, das Komitee und ich glauben...«

»Unsinn«, unterbrach Fürst Gunther schneidend, ging durch das Empfangszimmer von Amothud und begutachtete es mit einem kritischen Auge. Offenbar kalkulierte er bereits, was zur Befestigung notwendig war. »Wir sind hier, um die Verteidigung der Stadt zu diskutieren.«

Herrscher Amothud blinzelte den Ritter an, der aus den Fenstern spähte und vor sich hin brummte. Einmal drehte er sich um und schnappte: »Zuviel Glas!« – eine Feststellung, die die Verwirrung des Herrschers dermaßen steigerte, daß er nur noch eine Entschuldigung stammeln konnte und dann hilflos mitten im Zimmer herumstand.

»Werden wir angegriffen?« wagte er zögernd zu fragen, nachdem Gunther weiterhin Untersuchungen anstellte.

Fürst Gunther warf Tanis einen scharfen Blick zu. Mit einem Seufzer erinnerte Tanis Herrscher Amothud höflich an die Warnung, die ihnen der Dunkelelf Dalamar übermittelt hatte – die Wahrscheinlichkeit, daß die Drachenfürstin Kitiara plane, in Palanthas einzumarschieren, um ihrem Bruder Raistlin, Herrn des Turms der Erzmagier, in seinem Kampf gegen die Königin der Finsternis beizustehen und ihn zu unterstützen.

»O ja!« Herrscher Amothuds Gesicht klärte sich wieder. Er schlenkerte mißbilligend eine zierliche Hand, als ob er Mücken vertreiben wollte. »Aber ich glaube nicht, daß du dir um Palanthas Sorgen machen mußt, Fürst Gunther. Der Turm des Oberklerikers...«

»... wird gerade bemannt. Ich habe die Stärke unserer Ritter verdoppelt. Dort wird natürlich der Hauptangriff erfolgen. Es gibt keinen anderen Weg nach Palanthas außer im Norden auf dem Seeweg. Aber über das Meer herrschen wir. Nein, sie werden auf dem Landweg kommen. Sollte trotzdem etwas schieflaufen, Amothud, will ich die Verteidigung von Palanthas vorbereitet wissen. Jetzt...«

Nachdem Gunther jetzt sozusagen das Pferd der Tat bestiegen hatte, stürmte er unverdrossen drauflos. Über Herrscher Amothuds gemurmelten Einspruch, daß man diese Angelegenheit vielleicht mit den Generälen erörtern sollte, fegte er gnadenlos hinweg, galoppierte weiter und ließ Amothud bald in einem Wust von Notwendigkeiten, wie Truppenauflockerung, Versorgungsbedarf, Waffenlager und dergleichen, würgend zurück. Amothud gab sich geschlagen. Er setzte sich, nahm einen Ausdruck höflichen Interesses an und begann unverzüglich über etwas anderes nachzudenken. Es war sowieso alles Unsinn. Palanthas war niemals von einer Schlacht berührt worden. Armeen mußten zuerst den Turm des Oberklerikers passieren, und niemand – nicht einmal die große Drachenarmee im vergangenen Krieg – war dazu in der Lage gewesen.

Tanis, der das alles beobachtete und nur zu gut wußte, was Amothud durch den Kopf ging, lächelte grimmig in sich hinein und wollte sich gerade fragen, wie er dem Angriff entkommen könnte, als an den riesigen, reichverzierten, vergoldeten Türen leise geklopft wurde. Amothud sprang mit einem Gesichtsausdruck auf, als ob er die Trompeten einer Rettungsdivision hören würde, aber bevor er noch ein Wort sagen konnte, öffneten sich die Türen, und ein älterer Diener trat ein.

Charles war seit mehr als einem halben Jahrhundert im Dienst des königlichen Hauses von Palanthas tätig. Man konnte ohne ihn nicht auskommen, und das war ihm auch bewußt. Er wußte alles – wieviel Weinflaschen im Keller lagerten, neben wem Elfen beim Abendessen am besten ihren Platz nehmen sollten, wann die Leinentücher zum letzten Mal gelüftet worden waren. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, der seine Erwartung verriet, daß im Falle seines Ablebens das königliche Haus über dem Scheitel seines Herrn einstürzen würde.

»Es tut mir leid, Euch zu stören, mein Herrscher...«, begann Charles.

»Es ist ganz recht!« rief Herrscher Amothud, vor Freude strahlend. »Es ist ganz recht. Bitte...«

»... aber ich habe eine dringende Botschaft für Tanis, den Halb-Elfen«, beendete Charles gelassen den Satz. Mit dem Anflug eines Tadels in der Stimme quittierte er, daß sein Herr ihn unterbrochen hatte.

»Oh.« Herrscher Amothud schaute verblüfft und äußerst enttäuscht drein. »Für Tanis, den Halb-Elfen?«

»Ja, mein Herrscher«, bestätigte Charles.

»Nicht für mich?« erlaubte sich Amothud zu fragen.

»Nein, mein Herrscher.«

Amothud seufzte. »Na schön. Danke, Charles. Tanis, vermutlich solltest du lieber...«

Aber Tanis hatte das Zimmer schon zur Hälfte durchquert. »Was ist es? Nicht von Laurana...«

»Hier entlang, bitte, mein Fürst«, sagte Charles und schob Tanis aus der Tür. Ein Blick von Charles erinnerte den Halb-Elfen gerade noch rechtzeitig daran, sich vor Amothud und Gunther zu verbeugen. Der Ritter lächelte und winkte. Herrscher Amothud konnte sich nicht verkneifen, Tanis einen neidischen Blick zuzuwerfen, dann sank er wieder zurück, um den Ausführungen über eine Ausrüstung für das Sieden von Öl zu lauschen.

Charles schloß sorgfältig und langsam die Türen hinter sich.

»Was ist es?« fragte Tanis und folgte dem Diener in den Korridor. »Hat der Bote sonst nichts gesagt?«

»Doch, mein Fürst.« Charles’ Gesicht glättete sich in sanfter Trauer. »Ich sollte es Euch erst im Falle absoluter Notwendigkeit enthüllen, um Euch nicht von Euren Verpflichtungen zu entbinden. Der Verehrte Sohn Elistan liegt im Sterben. Er wird diese Nacht voraussichtlich nicht überleben.«

Die Rasenflächen des Tempels wirkten friedlich und feierlich im schwindenden Licht des Tages. Die Sonne ging unter, nicht in feuriger Pracht, sondern mit einer sanften, perlartigen Helligkeit, die den Himmel mit einem Regenbogen weicher Farben wie eine umgestülpte Muschel füllte. Tanis hatte überall Menschenansammlungen erwartet, die auf Neuigkeiten warteten, und weißgekleidete Kleriker, die kopflos hin und her irrten, und war nun verblüfft festzustellen, daß alles ruhig und friedlich war. Wie gewöhnlich ruhten sich Menschen auf dem Rasen aus, weißgekleidete Kleriker wandelten neben den Blumenbeeten und unterhielten sich leise oder schienen in stiller Meditation verloren, wenn sie allein waren.

Vielleicht hat sich der Bote geirrt oder war falsch informiert, dachte Tanis. Als er aber über das samtgrüne Gras eilte, kam er an einer jungen Klerikerin vorbei. Sie sah zu ihm auf, und ihre Augen waren vom Weinen rot und geschwollen. Trotzdem lächelte sie ihn an und wischte die Spuren der Trauer weg, als sie ihren Weg fortsetzte.