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Auf Wolken treibend, die mittels schwarzer Magie erzeugt wurden, beleuchtet von blendenden vielfarbigen Blitzen, schwebte die fliegende Zitadelle immer näher und näher. Tanis konnte die Lichter in den Fenstern ihrer drei Türme sehen, er konnte die Geräusche hören, die auf dem Land nicht ungewöhnlich gewesen wären, aber jetzt unheilvoll und erschreckend schienen, wo sie vom Himmel kamen – die Geräusche von Stimmen, die Befehle riefen, von klirrenden Waffen. Er konnte weiterhin, so meinte er, die Gesänge von schwarzgekleideten Zauberkundigen hören, die ihre mächtigen Zaubersprüche vorbereiteten. Er konnte die bösen Drachen sehen, die gemächlich die Zitadelle umkreisten. Als die fliegende Zitadelle noch näher kam, konnte er an einer Seite einen zerfallenden Hof der Festung erkennen, und wo sie aus ihren Grundmauern gerissen wurde, lagen die zerstörten Mauern in Trümmern.

Tanis beobachtete das alles mit hilfloser Faszination, und immer noch schrie seine innere Stimme auf ihn ein. Zweitausend Ritter! Im letzten Moment zusammengerufen und so schlecht vorbereitet! Nur einige wenige Drachenscharen. Gewiß konnte sich der Turm des Oberklerikers behaupten, aber der Preis wäre sehr hoch. Aber sie mußten doch nur wenige Tage durchhalten. Dann würde Raistlin besiegt sein. Für Kitiara bestände nicht mehr die Notwendigkeit, Palanthas anzugreifen. Bis zu diesem Zeitpunkt hätten auch weitere Ritter und weitere gute Drachen den Turm des Oberklerikers erreicht. Vielleicht konnte Kitiara hier schließlich für alle Zeiten besiegt werden.

Sie hatte den unsicheren Waffenstillstand gebrochen, der zwischen der Drachenfürstin und den freien Völkern auf Ansalon existierte. Sie hatte den Zufluchtsort Sanction verlassen, sie war ins Freie getreten. Das war ihre Gelegenheit. Sie konnten sie besiegen und sie vielleicht auch gefangennehmen. Tanis’ Kehle zog sich schmerzhaft zusammen. Würde sich Kitiara überhaupt lebend gefangennehmen lassen? Nein. Natürlich nicht. Seine Hand schloß sich um den Knauf seines Schwertes. Er würde dabei sein, wenn die Ritter antraten, die Zitadelle zu erobern. Vielleicht könnte er sie überreden, sich zu ergeben. Er würde sich darum kümmern, daß man ihr eine gerechte Behandlung zuteil werden ließ, wie es einem ehrenhaften Feind zustand...

Er konnte sie so deutlich vor seinem geistigen Auge sehen! Wie trotzig sie dastand, umzingelt von ihren Feinden, bereit, ihr Leben teuer zu verkaufen! Und dann würde sie sich umschauen und würde ihn sehen. Vielleicht würden diese glitzernden, harten, dunklen Augen doch weich werden, vielleicht würde sie ihr Schwert fallen lassen und ihre Hände emporrecken...

Was dachte er da eigentlich? Tanis schüttelte den Kopf. Er hatte Tagträume wie ein mondsüchtiger Junge. Dennoch würde er zusehen, daß er mit den Rittern...

Als Tanis die Unruhe auf den Zinnen wahrnahm, sah er schnell aus dem Fenster, obwohl er es schon wußte. Er wußte, was geschah – Drachenangst. Diese Angst, vernichtender als Pfeile, wurde von bösen Drachen ausgelöst, deren schwarze und blaue Flügel sich jetzt deutlich von den Wolken abzeichneten, und sie schlug auf die Ritter ein, die wartend auf den Zinnen standen. Ältere Ritter, Veteranen aus dem Lanzenkrieg, blieben standhaft stehen und hielten grimmig ihre Waffen umklammert. Tapfer bekämpften sie das Entsetzen, das in ihre Herzen kroch. Aber die jüngeren Ritter, die zum ersten Mal in einer Schlacht Drachen gegenüberstanden, schreckten zurück und krümmten sich. Einige waren schamerfüllt, weil sie aufschrien oder sich von diesem schrecklichen Anblick abwandten.

Angesichts der von Panik erfüllten jungen Ritter auf den Zinnen unter sich biß Tanis die Zähne zusammen. Auch er spürte, wie diese Angst über ihn fegte, spürte, wie sich sein Magen zusammenzog und Gallenflüssigkeit in seinen Mund stieg. Als er Fürst Gunther einen kurzen Blick zuwarf, sah er, daß sich der Gesichtsausdruck des Ritter verhärtet hatte, und wußte, daß es auch ihm nicht anders erging.

Tanis sah auf. Die bronzenen Drachen, die den Rittern von Solamnia dienten, flogen in Verbänden und warteten oberhalb des Turmes. Sie würden erst angreifen, wenn sie selbst angegriffen würden – das waren die Bedingungen des Waffenstillstandes, der zwischen den guten und den bösen Drachen nach Kriegsende ausgemacht worden war. Aber Tanis sah Khirsah, den Anführer, stolz seinen Kopf schütteln, und seine scharfen Krallen funkelten im widerspiegelnden Aufflackern der Blitze. Für diesen Drachen gab es zumindest keinen Zweifel, daß der Kampf bald aufgenommen werden würde.

Immer noch nagte die innere Stimme an Tanis. Es war alles zu einfach, schon allzu bekannt. Kitiara plante irgend etwas...

Die Zitadelle flog näher und näher. Sie sieht aus wie das Zuhause einer widerlichen Insektenkolonie, dachte Tanis grimmig. Sie wurde von Drakoniern buchstäblich überwuchert!

Sich an jedem verfügbaren Zentimeter Platz festklammernd, die kurzen, stummelartigen Flügel ausgebreitet, hingen sie an den Mauern und Befestigungsanlagen, hockten auf den Zinnen und baumelten an den Türmen. Ihre boshaften Reptiliengesichter waren in den Fenstern sichtbar und äugten aus Türöffnungen. Im Turm des Oberklerikers herrschte ein ehrfürchtiges Schweigen (abgesehen von dem gelegentlichen rauhen Weinen eines von Angst überwältigten Ritters), so daß man von der Zitadelle das Rascheln der Flügel der Kreaturen vernehmen konnte und darüber einen leisen Singsang – die Stimmen der Zauberer und Kleriker, deren bösartige Macht das entsetzliche Gefährt am Himmel hielt.

Immer näher und näher kam die Gefahr, und die Ritter spannten sich an. Gedämpfte Befehle ertönten, Schwerter glitten aus ihren Scheiden, Speere wurden gesetzt, und Bogenschützen legten ihre Pfeile auf. Wassereimer standen bereit, um Feuer zu löschen, Abteilungen versammelten sich im Hof, um die Drakonier zu bekämpfen, die herabspringen und vom Himmel aus angreifen würden.

Oben stellte Khirsah seine Drachen in Schlachtformation auf und teilte sie in Zweier- und Dreiergruppen ein. Sie hielten sich schwebend im Gleichgewicht.

»Ich werde unten gebraucht«, erklärte Gunther. Er nahm seinen Helm, setzte ihn auf und ging aus der Tür seines Hauptquartiers, um seinen Platz im Beobachtungsturm einzunehmen, von seinen Offizieren und Beratern begleitet.

Aber Tanis blieb stehen und beantwortete nicht einmal Gunthers verspätete Einladung, ihn zu begleiten. Diese innere Stimme wurde lauter und lauter. Er schloß die Augen und wandte sich vom Fenster ab. Die Drachenangst schwächte ihn, und er mußte den Anblick dieser grimmigen Todesfestung auslöschen, wollte er die inneren Warnungen verstehen.

Und schließlich hörte er es. »Im Namen der Götter, nein!« flüsterte er. »Wie dumm! Wie blind waren wir! Wir spielen direkt in ihre Hände!«

Plötzlich war Kitiaras Plan klar und deutlich. Als stände sie neben ihm und erklärte ihm jedes Detail. Seine Brust verkrampfte sich vor Angst, und er öffnete die Augen und sprang zum Fenster. Seine Faust schlug auf die in den Stein gemeißelte Fensterablage, daß er sich schnitt. Er stieß den Teebecher um, so daß der auf dem Boden zerbrach. Aber er bemerkte weder das Blut, das aus seiner verletzten Hand tröpfelte, noch den verschütteten Tee. Er starrte in den unheimlichen, wolkenverdunkelten Himmel und beobachtete die Zitadelle, die immer näher rückte.

Jetzt befand sie sich in Schußweite der Langbogen.

Jetzt befand sie sich in Schußweite der Speere.

Als er aufschaute, wurde er von den Blitzen fast geblendet. Trotzdem konnte Tanis alle Einzelheiten auf den Rüstungen der Drakonier erkennen, er konnte die grimmigen Gesichter der menschlichen Söldner sehen, die sich in den Reihen stritten, er konnte die glänzenden Schuppen der Drachen sehen, die über ihnen flogen.