Van Vliet aber machte einfach weiter und kreuzte erbarmungslos durch die seichten Küstengewässer der Biochemie. Ganz offensichtlich war das Visual auf Leute zugeschnitten, die in höheren Managerpositionen saßen als Rhodes und bei denen Sachwissen etwas dürftiger war. »Eisensalze – unzureichende Sauerstoffzufuhr in die Gewebe – Affinität zu Kohlenstoff, Phospor, Mangan, Vanadium, Wolfram – das Eisen bildet Dihaloide mit allen vier gewöhnlichen Halogenen …«
Ja. Aber ja, selbstverständlich.
Mit diabolischem Grinsen sagte Van Vliet urplötzlich: »Aber das alles wird sehr bald obsolet sein, jedenfalls soweit es die menschliche Rasse betrifft. Da, wie ich bereits angedeutet habe, unsere übereinstimmenden Projektionen auf den Zustand der Erdatmosphäre um etwa 2350 der Zeitrechnung auf einen signifikanten Schwund von Sauerstoff und Luftstickstoff und ihren Ersatz durch komplexe Kohlenwasserstoff- und Schwefelverbindungen schließen lassen, werden wir die menschliche Atmungskapazität entsprechend anpassen müssen. Die Risiken bei der fortgesetzten Verwendung des ferrogestützten Haemoglobinpigments als lebenswichtiges Transportprotein sind offenkundig. Wir werden die Abhängigkeit der menschlichen Gattung vom Sauerstoff zerschmettern müssen. Eine mögliche Alternative wäre ein Wasserstoff-Methan-Zyklus, unter Einsatz eines Trägerproteins, das den Zusammenschluss und die Trennung einer doppelten Schwefelverbindung benutzt, wie hier in diesem Diagramm ersichtlich.«
Das Demonstrationsmuster war jetzt so etwas wie eine dicht zusammengerollte Schlange mit aggressiver roter und knallig violetter Zeichnung, deren Kopf über ihrem Schwanzende wie zum Zustoßen bereit schwebte.
Rhodes schaltete die Präsentation Van Vliets auf HOLD und fuhr so etwa sechzig Sekunden zurück.
Die Risiken bei der fortgesetzten Verwendung des ferrogestützten Haemoglobins als lebenswichtiges Transportprotein sind offenkundig. Wir werden die Abhängigkeit der menschlichen Gattung vom Sauerstoff zerschmettern müssen.
Er ist verrückt geworden, dachte Rhodes.
… eines Trägerproteins, das den Zusammenschluss und die Trennung einer doppelten Schwefel …
Stimmt. Ja. Das Visual spielte weiter ab und hatte den Punkt erreicht, an dem Rhodes zurückgegangen war. Und erneut baute Van Vliet, wie ein Kapriolen schlagender Halbgott auf der Bühne, vor Rhodes' Schreibtisch mit raschen geschickten feinen Gestikulationen der Hände mitten in der Luft seine rote und purpurblaue Schlange auf. Rhodes rückte nach vorn und stemmte das Kinn auf die Fäuste, und dann sah er sich Van Vliets Kreuzfahrt bis zum Ende der ersten Kapsel an, worin dieser weitere apokalyptische Neuigkeiten über die menschliche Atmung in der heranbrechenden Ära einer sauerstoff-entleerten Luft darbot. Auf der zweiten Kapsel, versprach Van Vliet verlockend, befänden sich die neuesten technischen Spezifikationen für die korrektive Arbeit, die er vorzunehmen gedachte. Rhodes nahm die zweite Kassette, legte sie aber nicht ein.
… die Abhängigkeit der menschlichen Gattung vom Sauerstoff zerschmettern müssen.
Der kleine Kerl schlug da nichts Geringeres vor als die Umgestaltung des gesamten menschlichen Respirationskreislaufs, so dass der Mensch dann in der Lage sein würde, ein Gemisch aus Schwefeldioxid, Methan und Kohlendioxid zu atmen – und zum Teufel mit seinem Sauerstoffbedürfnis! Dies war bei weitem das radikalste unter allen den Adaptationsvorschlägen, die während der letzten anderthalb Jahre in den Santachiara-Laboratorien herumschwirrten. Bei weitem, bei weitem, bei weitem … Niemand hatte jemals die totale Umgestaltung ins Auge zu fassen gewagt. Auch nachdem er sich ein paar der Spezifikationen Van Vliets durchgesehen hatte, bezweifelte Rhodes, dass die Geschichte je in den Griff zu bekommen sein würde. Es lag zu weit außerhalb dessen, was Rhodes für möglich hielt.
Er spürte, wie sich in seiner Wange ein Muskel spannte wie ein winziger Akrobat, der zum Weitsprung ansetzt, und er presste kräftig mit den Kuppen zweier Finger dagegen, um die sich dort aufbauende Spannung zu entladen.
Noch ein Schlückchen?
Nein, entschied er. Noch nicht gleich.
Konnte Van Vliets Masche funktionieren?
Nicht in Millionen Jahren, dachte er. Man würde alles neu entwerfen müssen, von oben bis unten, den gesamten Bestand von Organen – Lunge, Leber und die Lichter auch, was immer mit Lichtern gemeint sein mochte, bis hinab zur Osmosekapazität der Zellwände – eine Totalüberholung, ja eigentlich die Neuerschaffung des Menschengeschlechts. Es war ein absolut übertrieben ehrgeiziges Konzept und lag weit außerhalb der in Santachiara erreichbaren technischen Möglichkeiten, und es würde, falls es doch auf irgendeine Weise, trotz der offenkundigen Schwierigkeiten, irgendwie erfolgreich durchgeführt werden konnte, die menschliche Rasse bis zur Unkenntlichkeit verwandeln.
Und das ist genau das, dachte Rhodes, weswegen wir hier sitzen, oder? Wofür ich bezahlt werde, und nicht zu knapp. Weswegen ich mir den jungen Alex Van Vliet zur Hilfe geholt habe.
Und wenn Van Vliet recht hat und sein Vorschlag ist durchführbar, und ich irre mich …?
Er blickte auf seine Hände. Sie zitterten leicht. Er spreizte die Finger weit, um sie wieder unter Kontrolle zu bekommen. Dann hieb er auf die Starttaste und schaute sich erneut Van Vliet an, diesmal von Anfang an.
Gockelhaft, selbstsicher grinste Van Vliet ihm entgegen wie ein alter Kumpel. Fünfundzwanzig war der, oder? Fast jung genug, um Rhodes' Sohn zu sein. Fast. Mit seinen vierzig hatte Rhodes noch nie vorher die Bedrohung durch die nachrückende Generation verspürt. Das Gefühl gefiel ihm gar nicht.
»Mit dieser Präsentation«, sagte Van Vliet, »möchte ich eingangs eine grundsätzliche Neueinschätzung unserer bisherigen Adapto-Bemühungen vornehmen, und ich stütze mich dabei auf die Prämisse, dass angesichts einer zu bewältigenden extremen Situation die einzige angemessene Lösung extreme Maßnahmen sind.«
Van Vliet verschwand, und an seine Stelle trat das virtuelle Bild einer reizenden weiblichen Gestalt in luftiger Kleidung, eines zierlichen jungen Mädchens, das vor einem gallig erbsengrünen dicken Giftsuppenhimmel durch einen Wald tänzelte. Sie war von zerbrechlicher schlanker Eleganz, eine prärafaelitische kaukasische Schönheit mit einem hinreißenden Teint: das waschechte archetypische Bild des entzückenden kleinen Mädchens. Und überall um sie herum drückte und drängte die scheußliche Luft herein, dick, beklemmend, erfüllt von Anhäufungen, die aussahen wie Kotbrocken in der Luft. Doch das schien ihr nicht das geringste auszumachen, und sie schien sich überhaupt nicht darum zu kümmern. Rhodes sah, wie die zierlichen Nasenflügel sich weiteten, während sie niedlich eine Lungevoll nach der anderen von dieser Giftbrühe einatmete, neckisch herumtänzelte und ein Liedchen trällerte.
Dies sollte, erkannte Rhodes, so etwas wie ein Werbespot sein für die Neue Menschliche Rasse, die Van Vliet zu erschaffen gedachte. Sollte die neue scheußliche Erde der Zukunft tatsächlich von derartigen schönen blonden Feenjungfrauen bevölkert sein?
Van Vliet sprach weiter: »Es kann keine signifikanten Zweifel daran geben, dass unsere Projektion richtig ist und dass nach vier, fünf weiteren Generationen, im Höchstfall nach sechs als günstigster Prognose, die Luft dieses Planeten von Angehörigen der menschlichen Rasse in ihrem jetzigen Zustand nicht mehr zu atmen sein wird. Trotz aller Korrekturmaßnahmen ist ersichtlich, dass der Zuwachs der Luftverseuchung und der Treibhauseffekt bereits vor einiger Zeit einen irreversiblen Zustand geschaffen haben, und dass es jetzt unvermeidbar ist, während die Gasemissionen früherer eingelagerter Schadstoffe sich ständig fortsetzen, vor der Schwelle haltzumachen, bevor wir unter das tiefstmögliche Sauerstofflimit geraten werden – und zwar zu Lebzeiten der Enkel der jetzt auf die Welt kommenden Kinder.
Da wir nicht über die Kapazität zu einem Makromanagement unserer Erdatmosphäre verfügen, um sie in ihren vorindustriellen Reinheitszustand zurückzuführen, angesichts der sich unvermeidlich fortsetzenden Belastung der Atmosphäre mit Kohlenwasserstoffen, die in unverantwortlicher Weise im 19. und 20. Jahrhundert in den Ozeanen und festen Landmassen der Erde eingeschlossen wurden, haben wir uns hier am Santachiara statt dessen zu dem Versuch entschlossen, durch Mikro-Management das menschliche Genom so zu verändern, dass es den kommenden drohenden Bedingungen angepasst ist. Es werden verschiedene Adapto-Pläne von unterschiedlicher Komplexität erarbeitet, aber ich vertrete die wohlerwogene Überzeugung, nachdem ich eine gründliche Analyse des gesamten Santachiara-Programms in seiner derzeitigen Konzeptionsform durchführte, dass wir uns leider auf ein Programm der halben Maßnahmen festgelegt haben, die unweigerlich zum Scheitern verurteilt sind, und …«