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Die neuen Dinkos wurden nun in die Fumigationskammer getrieben. Sie waren darüber ärgerlich – das waren sie immer –, doch die Wachen drängten sie unerbittlich weiter zwischen den dichten rosa, grünen und gelben Explosionsstößen der in der Decke angebrachten Desinfektionsbrausen hindurch. Es durfte niemand den Quarantänebereich der Immigrationssektion verlassen, der nicht zuvor durch diese Kammer geschleust worden war. El Supremo litt an fast paranoischer Furcht vor einem Eindringen fremder Mikroorganismen in den geschlossenen ökologischen Kreislauf von Valparaiso Nuevo. El Supremo war in mancherlei Hinsicht paranoid. Es wird eben keiner einziger und absoluter Herrscher einer eigenen kleinen Welt in einem Satelliten – und bleibt es siebenunddreißig Jahre lang –, ohne eine beachtliche Beimischung von Wahnsinn in seinem Charakter zu haben.

Juanito presste sich an die breite gekrümmte Glaswand und spähte angestrengt in die Dämpfe der Dekontaminationsduschen. Auch die anderen Kuriere kamen jetzt heran. Juanito sah zu, wie sie sich an die Arbeit machten, sich potentielle Kunden aufs Korn nahmen, sie in der Herde aussonderten. Die meisten Dinkos schlossen einen Vertrag, sobald man ihnen die Bedingungen erklärt hatte; aber wie üblich, es gab auch jetzt ein paar, die jede Hilfe ablehnten und darauf bestanden, sich alleine durchzuschlagen. Knauser, dachte Juanito verächtlich. Blöde Arschlöcher, dumme Nieten. Aber die würden es bald merken. Es war einfach nicht möglich, in Valparaiso Nuevo ohne die Mithilfe eines Kuriers etwas zu erledigen, egal für wie schlau sich einer hielt. Valparaiso war schließlich Freihandelszone. Und wenn jemand die Spielregeln kannte, blieb er hier auf Dauer so ziemlich von allen Unannehmlichkeiten verschont. Anderenfalls – eben nicht.

Zeit, den Kontakt aufzunehmen, dachte Juanito.

Es war nicht weiter schwierig, den Blinden herauszufinden. Er war sehr viel größer als die anderen Dinkos. Er war praktisch ein Riese. Ein breiter, langbeiniger Mann, um die dreißig, kräftige Knochen, mächtige Muskeln. In dem scharfen grellen Licht wirkte die augenlose Stirn wie ein Reflektor. Die geringere Schwerkraft schien ihm nicht viel auszumachen. Ebenso nicht seine Blindheit. Er bewegte sich mit geschmeidiger Sicherheit durch die Zollschleuse, es wirkte fast graziös. Wie alle Neuankömmlinge wies auch er die grobe, fleckige Haut auf, gerötet und schuppig, zu der die Erdlinge neigen, weil sie die ganze Zeit in diesem mörderischen, ausdörrenden Sonnenlicht auf ihrem Planeten braten.

Juanito schlenderte zu dem Mann hinüber und sprach ihn an: »Ich werde dein Kurier sein, Sir. Juanito Holt.« Er reichte dem Blinden knapp bis in Ellbogenhöhe.

»Kurier?«

»Hilfsservice für Neue Gäste. Erleichterung bei den Einreiseformalitäten. Zollabwicklung, Geldumtausch, Hotelunterbringung, Daueraufenthaltserlaubnis, falls du das wünschst. Und Spezialservice, nach Absprache.«

Juanito schaute erwartungsvoll in das ausdruckslose Gesicht hinauf. Der Blinde wandte ihm direkt und stumpf das Gesicht zu. Wenn der Dinko Augen gehabt hätte, man hätte es als festen direkten Augenkontakt bezeichnen müssen. Das war gespenstisch. Noch unheimlicher aber war, dass Juanito das Gefühl hatte, der Augenlose könne ihn durchaus klar erkennen. Einen kurzen Augenblick lang fragte sich Juanito, wer bei diesem geschäftlichen Arrangement wen unter Kontrolle haben werde.

»Was sind das für Spezialdienste?«

»Alles, was du sonst noch wünschen könntest«, sagte Juanito.

»Alles?«

»Alles. Hier ist Valparaiso Nuevo, Sir.«

»Hmmm. Wie viel verlangst du?«

»Zweitausend Callaghanos Grundlohn pro Woche. Sonderleistungen entsprechend extra abgerechnet.«

»Und wie viel ist das in Capbloc-Dollars, deine Pauschale?«

Juanito sagte es dem Mann.

»Das ist nicht zu arg«, sagte der Blinde.

»Zwei Wochen Minimum, im Voraus zu entrichten.«

»Hmmm«, machte der Mann wieder. Und wieder kam dieses intensive augenlose Starren, das richtig durch ihn hindurchzudringen schien. Der Mann sagte eine Weile nichts. Juanito horchte auf seinen Atem. Der ging hastig und flach, aber so atmeten alle von Draußen. Als bemühten sie sich, die Nasenflügel zusammenzupressen, damit die in der Luft schwebenden Giftstoffe ihnen nicht in die Lungen dringen könnten. Aber in Valparaiso konnte man die Luft getrost und ungefährdet atmen.

»Wie alt bist du?«, fragte der blinde Mann plötzlich.

»Siebzehn.« Juanito platzte damit heraus, weil er dermaßen überrascht war.

»Und du bist gut, ja?«

»Ich bin erstklassig. Ich bin hier geboren. Ich kenne jeden.«

»Ich werde den Besten brauchen. Akzeptierst du einen Vertrag per Elektronikhandschlag?«

»Klar doch.« Es lief zu glatt, fand Juanito. Er überlegte kurz, ob er nicht drei Kilocallies pro Woche hätte verlangen sollen, aber jetzt war es dafür zu spät. Er zog sein Flexterminal aus der Tunikatasche und schob die Finger hinein. »Unity Callaghan Bank of Valparaiso Nuevo. Zugangscode 22-44-66. Und du kannst gleich auch einen persönlichen Sperrcode eingeben, weil es die einzige Bank hier ist. Konto Nummer 1133. Das ist meine.«

Der blinde Mann zog sein eigenes Terminal über und tippte geschickt die Zahlen auf dem Armband ein. Dann ergriff er fest Juanitos Hand, bis die Sensoren Kontakt hatten, und nahm die Überweisung vor. Juanito holte sich per Taste die Bestätigung: Ein hellgrün leuchtendes ›+Cl 4000‹ blinkte im Display in seiner Handfläche. Auftraggeber war Victor Farkas, und der Transfer erfolgte von einem Konto bei einer ›Royal Amalgamated Bank of Liechtenstein‹.

Juanito verzog die Stirn. »Liechtenstein. Ist das ein Land auf der Erde?«

»Doch. Ja. Ein sehr kleines. Zwischen der Schweiz und Österreich.«

»Schweiz, davon habe ich schon mal gehört. Du lebst auf Liechtenstein?«

»Nein«, sagte der Mann Farkas. »Meine Bank ist dort. In Liechtenstein würden wir auf der Erde übrigens sagen. Außer bei Inseln. Aber Liechtenstein ist keine Insel. So, aber was meinst du, könnten wir jetzt endlich von hier rauskommen?«

»Nur noch ein Transfer«, sagte Juanito. »Pumpe mir deine Einreise-Software rüber. Gepäckscheine, Pass, Visa. Damit wird es für uns beide einfacher, und wir kommen schneller von hier weg.«

»Und ich würde es dir ganz leicht machen, mit meinem Gepäck zu verschwinden, nicht? Und ich würde dich nie wiederfinden können, stimmt's?«

»Denkst du wirklich, ich würde sowas tun?«

»Es wäre für dich einträglicher, wenn du es nicht tun würdest.«

»Du musst deinem Kurier Vertrauen entgegenbringen, Mister Farkas! Wenn du deinem Kurier nicht vertrauen kannst, dann darfst du keinem in Valparaiso Nuevo trauen.«

»Das weiß ich«, sagte Farkas.

Es dauerte eine weitere halbe Stunde, bis sie Farkas' Gepäck und ihn selbst durch den Zoll gebracht hatten, und die unterschiedlichen Bestechungen beliefen sich auf etwa zweihundert Callies, so der gewöhnliche Durchschnitt. Von den Androiden, die das Gepäck aushändigten, bis zu der kessen Person am Geldwechselschalter – alle mussten geschmiert werden. Juanito hatte gehört, dass es auf den meisten übrigen bewohnten Welten nicht so funktionierte; aber Juanito wusste auch, dass Valparaiso Nuevo anders war als die Welten sonst. An einem Ort, dessen Haupteinnahmen darin bestanden, Flüchtlingen Schutz zu bieten, musste die Ökonomie zwangsläufig auf dem Umsatz von Bestechungsgeldern basieren.

Farkas allerdings wirkte überhaupt nicht wie die üblichen Flüchtigen. Während sie auf das Gepäck warteten, nahm Juanito sich den Software-Print vor, den der Blinde ihm herübergepumpt hatte, und sah, dass Farkas ein auf sechs Wochen beschränktes Besuchsvisum hatte. Als Arbeitgeber war eine Firma namens Kyocera-Merck, Ltd. angegeben. Also war der Mann ein Sucher, ein Fahnder, kein Flüchtling, und gekommen, um offenbar hier jemanden aufzuspüren, den eine der wichtigsten Megafirmen der Erde gefunden wissen wollte. Jäger, Gejagter – für einen Kurier waren beide Sorten ein einträgliches potentielles Geschäft. Jemand aufspüren, das war zwar normalerweise nicht Juanitos Ding, aber er würde sich anpassen, dachte er.