Farkas fühlte dabei keine Gewissensbisse. Der Junge würde leiden – na schön! Er war ein betrügerischer kleiner Köter, der sich exakt so verhalten hatte, wie Farkas es erwartet hatte. Er hatte sich an den Höchstbietenden verkauft, genau wie sein Vater das vorher anscheinend getan hatte. Der Kleine hatte eine Lektion nötig. Und die würde er bekommen, und eine saftige dazu. Farkas verscheuchte den Gedanken an ihn aus seinem Kopf und winkte dem Kellner zu.
Er bat um eine Demikaraffe Rotwein, und dann saß er da und trank genüsslich und wartete geduldig auf Olmo.
Der ließ nicht lange auf sich warten.
»Victor?«
Olmo schwebte an seiner Seite in Schulterhöhe. Nach der Strahlungsfarbe wirkte er sehr angespannt.
»Ich sehe dich, Emilio. Setz dich doch. Möchtest du ein Glas Wein?«
»Ich trinke niemals.« Olmo ließ sich wuchtig am Tisch nieder, allerdings in einem Winkel von neunzig Grad zu Farkas. Es war das erste Mal, dass sie sich persönlich begegneten, denn alle früheren Transaktionen waren über die codierte Scramblerverbindung gelaufen. Olmo war weniger groß, als Farkas erwartet hätte, aber sehr kompakt. Der obere Kubus der zwei, aus denen für ihn sein Körper bestand, war breiter als der untere, was auf breite Schultern und massige Arme schließen ließ. Als Olmo sich setzte, wirkte er recht groß, wie eine gewichtige Erscheinung.
Farkas stellte sich vor, wie der Mann in einem früheren Stadium seiner Karriere schweißtriefend in einem Keller mit einem schmiegsamen Stück Hanf die Feinde des Generalissimo bearbeitet hatte – und wie er von den bescheidenen Anfängen als offizieller Folterknecht zu seinem derzeitigen Rang in dieser Welt aufgestiegen war. Ließ El Supremo seine Feinde foltern?, fragte sich Farkas. Aber sicher doch. Das tat doch jeder Minityrann. Er würde Olmo mal danach fragen, irgendwann, aber nicht jetzt.
Farkas trank langsam einen großen Schluck von seinem Wein. Ein Ortsgewächs, nahm er an, aber gar nicht schlecht.
In das verlegene Schweigen hinein, das Olmos Unbehagen über Farkas körperliche Erscheinung verriet, dessen war er sich sicher, sagte er: »Du hast mich neugierig gemacht, Emilio. Etwas so Delikates, dass du es nicht einmal riskieren willst, es mir über einen Scrambler mitzuteilen?«
»Ja, tatsächlich. Ich glaube, ich nehme ein Glas Wasser. Es sieht natürlicher aus für die Leute, die uns beobachten, und ich bin sicher, wir werden beobachtet, wenn auch ich etwas trinke.«
»Was du haben möchtest.« Farkas winkte die Bedienung heran.
Olmo schloss die Hand um sein Glas und beugte sich nach vorn. Mit sehr leiser Stimme, nicht gerade flüsternd, aber auch nicht in normalem Plauderton, sagte er: »Es ist bisher bloßes Hörensagen. Die Zuverlässigkeit der Quelle ist zweifelhaft, und das Gerücht selbst ist so überraschend, dass ich extrem skeptisch dazu stehe. Trotzdem wünsche ich es mit dir zu besprechen. Diese Unterhaltung hat natürlich nie stattgefunden, falls jemand dich fragt.«
»Selbstverständlich«, sagte Farkas ungeduldig.
»Bueno. Also, dies sind die Neuigkeiten. Die eventuellen Neuigkeiten. Wie ich schon sagte, erreichte mich eine Information, über höchst irreguläre und nicht übermäßig vertrauenswürdige Kanäle, dass eine Gruppe von in South California ansässigen Kriminellen einen Aufstand gegen die in Valparaiso Nuevo herrschende Regierung vorbereitet.«
»Southern California«, sagte Farkas.
»Wie?«
»Southern California. So heißt das. Du sagtest South California.«
»Ah.«
»Einen Aufstand?«
»Sie beabsichtigen, diese Welt hier zu besetzen und den Generalissimo mit Gewalt zu entmachten. Dann wollen sie hier ihr eigenes Regime errichten und sämtliche Flüchtlinge zusammentreiben, die hier Asyl gefunden haben. Und dann wollen sie diese für viele Milliarden Capbloc-Dollar an die verschiedenen Agenturen und mächtigen Gruppen verkaufen, die sie auf der Erde zurückhaben möchten.«
»Wirklich?« Farkas fand die Idee faszinierend. Irre, aber faszinierend. »Jemand plant wirklich sowas?«
»Ich habe keine Ahnung. Aber es könnte tatsächlich durchführbar sein. Vielleicht. Und wenn es auf die richtige Weise gesteuert würde, könnte es sehr lukrativ werden.«
»Ja, das könnte es zweifellos.« Valparaiso Nuevo war eine richtige Schatzkammer, eine Goldmine voller Flüchtiger mit hohen Kopfprämien. Doch Callaghan musste gute Maßnahmen aufgebaut haben, um sie zu schützen, und sich selbst ebenfalls. Besonders sich selber! Eines seiner Honorifica lautete nicht umsonst ›Der Beschützer‹. Die einzige Möglichkeit, ihn zu entmachten, wäre gewesen, dass man das Ganze zur Explosion brachte. »Ich begreife, warum du sagtest, es handle sich um etwas Delikates«, murmelte Farkas. »Aber weshalb erzählst du das mir, Emilio?«
»Zum einen, weil es in meinen Verantwortungsbereich fällt, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, wenn eine Bedrohung für das Leben des Generalissimo besteht.«
»Das ist mir bewusst. Aber was habe ich damit zu tun? Glaubst du, ich könnte dich zu den Verschwörern führen?«
»Möglich.«
»Um Gottes willen, Emilio. Ich hatte dich für intelligent gehalten!«
»Klug genug, glaube ich.«
»Wenn ich mit der Sache etwas zu tun hätte, hältst du es dann für wahrscheinlich, dass ich dir auch nur ein Wort darüber sagen würde?«
»Das hinge davon ab«, entgegnete Olmo. »Betrachten wir mal ein paar andere Faktoren. Ich muss nicht nur an die Sicherheit des Generalissimo denken, sondern auch an meine persönliche eigene.«
»Selbstverständlich.«
»Ich bin dir nützlich – oder doch jedenfalls deinen Auftraggebern. Und die sind Kyocera-Merck, Victor. Daraus machst du ja kein Geheimnis. Und warum solltest du? Aber ich arbeite ebenfalls für K-M, versteht sich, wenn auch nicht ganz so – sichtbar. Ja, eigentlich überhaupt nicht sichtbar.«
»So ist es.«
»Der Generalissimo regiert seit siebenunddreißig Jahren in Valparaiso Nuevo, Victor. Er war kein Jüngling mehr, als er hier die Macht ergriff, und jetzt ist er ziemlich alt. Wenn er abtritt, hält die Firma es für angebracht, dass ich in ihrem Interesse seine Nachfolge antrete. Das wusstest du doch, nicht wahr?«
»So ungefähr.« Olmos umständliche Art ging Farkas allmählich auf die Nerven. Der fracas in der Außenhülle hatte ihn ermüdet, und er wollte nur noch in sein Hotel zurück. »Würde es dir was ausmachen, Emilio, wenn du endlich zur Sache kommen würdest?«
»Ich habe dich nach Kräften bei der Aufgabe unterstützt, deretwegen die Firma dich hergeschickt hat. Und jetzt wirst du mir helfen. Das ist nur logisch, dass ein K-M-Mann dem anderen hilft. Sag mir die Wahrheit! Weißt du auch nur irgendwas über diese Verschwörung, diesen Umsturzversuch?«
Farkas konnte es kaum glauben. Für dermaßen dumm hätte er Olmo nie gehalten.
»Ganz und gar nichts«, sagte er. »Ich höre zum allerersten Mal von so etwas.«
»Du schwörst es?«
»Sei nicht blöd, Emilio. Ich könnte dir alles beschwören, was du nur willst, und was würde das schon bedeuten?«
»Ich vertraue dir.«
»Wirklich? Ja, doch, ja, ich glaube, das tust du. Du solltest keinem vertrauen, aber schön. Wenn du dich besser fühlst, hier ist die heilige Wahrheit: Ich weiß wirklich und wahrhaftig nichts von solchen Sachen. Mein heiliger Eid drauf, bei Gott. Bei allen Erzengeln und Aposteln, es ist wirklich absolut das erste Mal, dass ich was davon höre. Und ich vermute mal, dass hinter diesen Gerüchten gar nichts Greifbares steckt.«
»Nein. Ich denke, du hast ehrlich zu mir gesprochen. Aber ich fürchte«, sprach Olmo weiter, »dass es eine solche Verschwörung tatsächlich gibt und – dass Kyocera-Merck dahintersteckt. Vielleicht werden diese Leute aus Kalifornien ja nur als Strohmänner vorgeschoben. Und wenn Don Eduardo verschwindet, verschwinde ich mit ihm. Dass ich dann für die Firma unwichtig geworden bin und dass die Firma beschlossen hat, mich als entbehrlich zu betrachten.«