»Aha. Ja. Ja, das sehe ich.« Der Journalist wirkte immer noch verblüfft. Eine derart heftige öffentliche Demonstration von Illoyalität gegenüber einem Partner überstieg anscheinend sogar bei einem diskussionslüsternen Israeli schmerzhaft die Grenzen des Erlaubten. »Aber die Rettung der menschlichen Spezies, das ist doch sicherlich kein parteipolitisches Thema«, sagte er. »Dabei geht es doch einfach nur darum, zu tun, was getan werden muss.«
»Es gibt da aber solche und solche Methoden«, sagte Isabelle scharf, ohne auf die flehenden Blicke von Rhodes zu achten.
»Ja, natürlich.« Enron wirkte nun gelangweilt, ja durch ihre Streitlust geradezu verärgert. Er bedachte sie erneut mit einem seiner abschätzigen Blicke. Carpenter sah die mühsam unterdrückte Wut in seinen Augen blitzen. Zweifellos fürchtete er, sie würde ihn zu hindern versuchen, die gewünschten Informationen zu sammeln. Sie war ihm ein Ärgernis, und nichts weiter. Rhodes, der nervös und tiefbekümmert auf das Tischtuch starrte, arbeitete sich an seinem nächsten Drink ab.
Sichtlich um Selbstbeherrschung bemüht, sagte Enron mit betonter Deutlichkeit zu keinem direkt: »Lasst mich bitte erklären, was ich und meine Herausgeber uns vorstellen.« Er holte tief Luft. Jetzt kam eine vorbereitete Ansprache, das war Carpenter klar. Jetzt redete der Mann offiziell und fürs Band. »Wir akzeptieren die von der Wissenschaft allgemein vertretene Position, dass die im Verlauf des Industriezeitalters auf der Erde angerichteten Umweltschäden irreversibel sind; dass die unkontrollierte Verbrennung fossiler Energieträger über die Periode von zwei-, dreihundert Jahren zu kohlendioxid- und Stickoxidemissionen führten, die weit über jeder Toleranzgrenze liegen; dass dies zu einer graduellen, letztlich signifikanten Erwärmung des Planeten führte; dass die veränderten Ozeantemperaturen und Druckverhältnisse, die aus dieser Erwärmung resultierten, im Meerwasser gebundenes Methan in die Atmosphäre freisetzten, was die allgemeine Erwärmung weiter steigerte; und dass das Anwachsen der sogenannten Treibhausgase in der Atmosphäre, neben der zusätzlichen massenhaften Endlagerung solcher Umweltgifte in terrestrischen Entsorgungsdepots und in Gestalt hypertrophen Pflanzenwuchses, der durch den Überschuss an CO2 bewirkt wurde, dazu führten, dass alles zunächst einmal zwangsläufig noch schlimmer werden wird, ehe es besser werden kann, weil die während der Periode des globalen Umweltmissbrauchs eingelagerten giftigen Gase im Lauf der Zeit unweigerlich freigesetzt werden, ja dass dies durch Bodenleckage und sich zersetzende vegetabile Biomasse jetzt bereits der Fall ist. Ich denke, dies ist eine recht korrekte Schilderung der Lage.«
»Und das Ozon«, sagte Carpenter.
»Ja, natürlich. Das auch. Ich hätte nicht vergessen dürfen zu erwähnen, dass die Verwendung von chlorierten Fluorkohlenwasserstoffen und ähnlichen Substanzen während des 20. Jahrhunderts die Ozonschicht geschädigt und damit die Sonneneinstrahlung intensiviert hat, wodurch die globale Erwärmung noch weiter wuchs. Etcetera, etcetera. Doch ich denke, ich habe das Feld für unsere Diskussion ausreichend gut abgesteckt. Ich brauche wohl kaum noch weiter unsere vielen Probleme aufzuzählen – die … äh … vielen verschiedenen Feedbackmechanismen aufzuzählen, die dazu beitrugen, eine schlimme Situation noch zu verschlechtern, nicht wahr? Das sind ja alles alte Hüte für euch. Es steht außer Zweifel, dass wir einer sehr gefährlichen Periode entgegengehen.«
»Absolut wahr! Der Planet muss geschützt werden!«, tönte Jolanda Bermudez mit Traumstimme, als verkünde sie Nachrichten von der Venus.
»Ich stimme Jolanda absolut zu«, sagte Isabelle. »Wir müssen zur Vernunft kommen. Der ganze Planet ist in Gefahr! Es muss etwas geschehen, um ihn zu retten!«
Enron lächelte eisig. »Ich erlaube mir, anderer Ansicht zu sein. Nicht der Planet ist in Gefahr, Ms. Martine. Für den Planeten spielt es keine Rolle, nicht wahr, ob in der Wüste Sahara Regen fällt oder in den Agrarebenen in der Mitte Nordamerikas? Na und, die Sahara hört auf, Wüste zu sein, und euer Kansas und Nebraska verwandeln sich in eine. Das ist für die Farmer dort höchst interessant, und ebenso für die nomadischen Stämme und ihr Vieh der Sahara, ja? Aber was bedeutet das für den Planeten? Der Planet hat keine Verwendung für den Weizen, der ehedem in Kansas und Nebraska produziert wurde. Die Atmosphäre enthält heute weit weniger Sauerstoff und Stickstoff als vor einem Jahrhundert, dafür aber sehr viel mehr Kohlendioxid und Kohlenwasserstoffverbindungen. Wieso sollte das den Planeten bekümmern? Es gab eine Zeit, da war in der Erdatmosphäre überhaupt kein Sauerstoff. Der Planet hat das sehr gut überstanden. Die Polareiskappen schmelzen, und die tieferliegenden Landstriche an den Küsten liegen unter Wasser. Dem Planeten ist das egal. Es kümmert ihn nicht, ob die Japaner an den Küsten gewisser Inseln am Rand Asiens leben, oder ob sie gezwungen werden, an anderen, höher gelegenen Plätzen Zuflucht zu suchen. Dem Planeten sind die Japaner gleichgültig. Und der Planet braucht auch nicht gerettet zu werden. Die Leute schwätzen diese Sprüche papageienhaft seit, ich weiß nicht wie lange schon, nach, seit hundert, hundertfünfzig Jahren. Dem Planeten geht es weiter ganz gut. Aber wir stecken in Schwierigkeiten. Die Kernfrage, Ms. Martine, Ms. Bermudez, ist nicht, wie wir den Planeten retten, sondern wie wir uns retten können. Die Erde wird sich hübsch weiterdrehen, ob mit oder ohne Sauerstoff. Aber wir werden sterben.« Enron lächelte, als redete er über das Ergebnis irgendwelcher Sportereignisse. »Selbstverständlich unternehmen wir bestimmte Schritte zu unserer Rettung.« Er hielt die rechte Hand hoch und tippte mit der Spitze des linken Zeigefingers die anderen Finger ab. »Zuerst haben wir versucht, die Emissionen der sogenannten Treibhausgase einzuschränken. Zu spät. Sie steigen weiter aus ihren Lagerstätten im Meer und auf dem Land auf, und nichts kann diesen Ablauf bremsen. Unsere Atemluft wird immer giftiger und ist nicht mehr zu atmen. Wir müssen damit rechnen, dass wir möglicherweise in nicht allzu ferner Zukunft die Erde gänzlich evakuieren müssen.«
»Nein!«, rief Isabelle laut. »Was für eine feige Lösung wäre das! Nein, wir müssen hierbleiben und wieder die Kontrolle über unsere Umwelt in die Hand bekommen!«
»Aber da gibt es auch die Leute«, sprach Enron mit gebändigter Erbarmungslosigkeit weiter, »die überzeugt sind, dass die Räumung der Erde die einzige Möglichkeit ist, uns zu retten. Und – falls ich fortfahren dürfte, Ms. Martine – zweitens haben wir die näheren Regionen des Raums bereits mit Dutzenden, Hunderten von künstlichen Satellitenwelten besiedelt, in denen annehmbare künstliche Klimata herrschen; und wir haben etliche überkuppelte Siedlungen auf dem Mars und den Jupitermonden errichtet.«
»Manchmal glaube ich, dass diese Habitate wirklich die einzige Lösung sind«, mischte sich nun Jolanda Bermudez träumerisch wieder ein. »Ich habe schon oft mit dem Gedanken gespielt, selbst dorthin zu ziehen, wenn alles andere fehlschlägt. Einige von meinen Freunden in Los Angeles sind stark an der Besiedlung in L-5 interessiert.« Es war fast, als spräche sie nur zu sich selbst.
Enron, ganz im Feuer seines Monologs gefangen, beachtete sie gar nicht. »Die Siedlungen im Orbit stellen eine beachtliche Leistung dar, aber sie alle haben nur eine extrem geringe Kapazität, und ihr Bau ist äußerst kostspielig. Es versteht sich, dass wir es uns niemals leisten könnten, die ganze Erdbevölkerung in solche kleinen Schutzinseln im Raum zu transportieren. Es gibt aber noch eine weitere Aussiedlungsoption, die allerdings derzeit sogar noch viel weniger durchführbar erscheint: die Entdeckung und Kolonisierung einer Neuen Erde von planetaren Ausmaßen in einem anderen Sonnensystem, auf der das menschliche Leben eine zweite Chance erhalten kann.«
Isabelle schnaubte: »Das ist einfach idiotisch! Ein blödes verrücktes Hirngespinst.«