Sie zögerte. Carpenter fand, sie wirkte ein bisschen zerknirscht wegen ihrer Äußerungen.
Leise sagte sie dann: »Ich stehe Nick gar nicht so kritisch gegenüber, wie es vielleicht geklungen hat. Er ist ein Genie, und ich bewundere ihn schrecklich für das, was er geleistet hat. Aber ich mag einfach nicht zusehen, wie die ganze Welt in einen Zoo voller scheußlicher Adaptos verwandelt wird. Es gibt jetzt schon genug idiotische Herumspielerei mit Genen, diese ganzen Retrofittings und das Babyspleißen und alles. Diese Geschlechtsumwandlungen und die kosmetischen Körperveränderungen. Und jetzt soll auch noch jeder Fötus automatisch in ein groteskes Geschöpf mit Kiemen und drei Herzen und ich weiß nicht, was sonst noch, verwandelt werden …« Isabelle schüttelte den Kopf. »Zum einen, wir können uns das gar nicht leisten. Es gibt zu viele andere Probleme, die wir lösen müssen, als dass wir uns den Luxus eines derart abwegigen Projekts erlauben dürften. Und außerdem finde ich es scheußlich. Es würde das Ende der Menschheit, wie wir sie kennen, bedeuten. Wenn man den Körper verändert, verändert man das Bewusstsein. Das ist ein Naturgesetz. Es würde eine neue Spezies daraus entstehen, und Gott allein kann wissen, was für eine. Auf jeden Fall nicht mehr menschlich. Irgendein hässliches, böses, grauenhaftes Ding. Wir dürfen uns selbst das nicht antun. Wir können einfach nicht! Ich liebe Nick, gewiss, aber ich verabscheue, was er und seine Leute der menschlichen Rasse antun wollen.«
»Wenn aber die menschliche Rasse, so wie wir jetzt gebaut sind, nicht mehr auf der Erde überleben kann?«, fragte Enron.
»Dann repariert die Erde. Nicht die Menschen.«
»Ich frage mich, Isabelle«, sagte Jolanda mit der verträumten Stimme der Lady aus dem Weltraum wie zuvor. »Es könnte dafür einfach bereits zu spät sein, denke ich manchmal. Du weißt, Süßes, ich bin wirklich nicht begeisterter als du über Nicks Forschungen, und ich stimme dir zu, dass sie abgebrochen werden sollten. Aber nicht weil sie was Böses sind, sondern nur weil es Verschwendung von Zeit und Geld ist. Es gibt keinen Grund, dass wir uns in Dinger mit Kiemen oder so verwandeln. Unsere wirkliche Hoffnung, das glaube ich, liegt in den Habitatwelten.«
»Ms. Bermudez …«, sagte Enron.
Doch sie machte einfach weiter. »Ich glaube, ich habe mit meiner Arbeit alles getan, was ich konnte, um die Erde zu schützen, durch meine Kunst, und ich habe nicht vor, meine Bemühungen jetzt aufzugeben. Aber ich beginne zu verstehen, dass es vielleicht vergeblich ist, dass wir die Erde irreparabel zerstört haben. Also werden wir vielleicht fort müssen, und das ist die reine Wahrheit. Wie bei der Vertreibung aus dem Paradies, ja? Ich denke, ich habe schon erwähnt, dass ich Leute kenne, die sich sehr intensiv mit der ganzen Habitat-Kultur befassen, die da droben im Orbit entstanden ist. L-5 ist der Ort der Zukunft. Ich gedenke selber recht bald dorthin zu emigrieren.«
Isabelle sagte: »Du hast mir nie …«
»Aber ja. Ja.«
»Ladies, bitte«, sagte Enron.
Aber die Sache war ganz aus seiner Kontrolle entglitten. Jolanda, die fähig schien, drei oder vier einander widersprechende Überzeugungen gleichzeitig zu vertreten, ohne dass es ihr die geringsten Schwierigkeiten bereitet hätte, hatte einen neuen Ball ins Spiel geschleudert. Es ging weiter und weiter, sie haderten mit Enron, miteinander, mit der Umwelt, mit dem Schicksal. Carpenter, der dem wie aus großer Höhe zusah, musste sein Lachen hinunterschlucken. Die Frauen trommelten auf ihre verschiedenen politischen Tamtams, und Rhodes trank stetig weiter und schien in eine gleichgültige Starre versunken zu sein, nicht wirklich betrunken – Carpenter fragte sich, ob er jemals richtig betrunken sein konnte –, sondern irgendwie gefroren, desinteressiert, abwesend, und Enron schaute dem allem entsetzt zu, denn zweifellos war ihm inzwischen klar geworden, dass er sich von diesem Abend keine brauchbaren Informationen mehr erwarten konnte.
Carpenter verspürte Mitleid mit Rhodes, der mit dieser wilden, ungezähmten und arg verwirrten Isabelle verbunden war: der arme traurige Nick, wieder einmal hilflos einer gackernden Henne ausgeliefert. Und er fühlte beinahe Mitleid auch mit Enron. Was immer der sich an diesem Abend an Informationen von Rhodes erhofft hatte, es lag nun begraben unter den Schwaden nebulöser Polemik. Es war inzwischen fast Mitternacht. Der israelische Journalist unternahm einen letzten Versuch, Rhodes auf die Art seiner Genmodifizierungen festzunageln, die in seinem Laboratorium erarbeitet wurden; doch Rhodes verschwand sehr schnell in alkoholdumpfer Unbestimmtheit und lieferte ihm nicht viel Konkretes, außer vagen Andeutungen über die Umgestaltung der Atmungs-Kreislaufsysteme.
»Schön, aber wie? Wie?«, fragte Enron immer wieder. Und er erhielt keine verständlichen Antworten. Es war ganz hoffnungslos.
Dann rief der Israeli zornig die Rechnung ab und überprüfte sie anhand seines Flexterminals, und dann zogen sie alle hinaus in die stickige Nacht, alle ziemlich schwankend von dem reichlichen Alkohol.
Sogar zu dieser späten Stunde hatte man das Gefühl, als pulsten spürbare heiße Feuerofenstöße vom Himmel nieder. Irgendwie hatte sich ein Chemienebel über Sausalito niedergesenkt. Ein dicker beißender Brei. Es roch wie heißer Essig mit einem Beigeschmack von Schimmel und Desinfektionsmitteln. Carpenter bedauerte sehr, dass er seine Atemmaske nicht mitgenommen hatte.
Das Echo der abendlichen Tischgespräche hallte ihm durch den Kopf. Die arme, beschissene, kaputtgewirtschaftete Welt! Die ganze Entwicklungsgeschichte der Menschheit schien sich vor ihm aufzubauen: das Neolithikum, die kleinen Bauerngehöfte und Siedlungen; Babylon und Ägypten; Griechenland, Rom, Byzanz; das Elisabethanische England und das Frankreich des Vierzehnten Ludwig. Alle diese Mühen, dieses qualvolle Aufwärtsstreben vom Zustand des Affen hinauf – und wo hatte es hingeführt? In eine dermaßen hochzivilisierte Fortschrittswelt, dass wir unsere Umwelt unbewohnbar machen konnten, dachte Carpenter. Zu einer dermaßen intelligenten Spezies, dass wir uns hundert supergescheite Methoden ausdenken konnten, unser eigenes Nest zur Kloake zu machen.
Und nun – der Dreck, die Vergiftung des Bodens, die Erhitzung, die Giftstoffe in der Luft, die metallverseuchten Gewässer, die Löcher in der Ozonschicht … der zerstörte Garten Erde …
Scheiße! Was für wundervolle Errungenschaften das Ganze! Eine einzige kleine Affenart konnte den ganzen Planeten in den Ruin treiben!
Während sie am Ende des Restaurantpiers darauf warteten, dass Rhodes' Wagen herausgefahren werde, trat Carpenter zu ihm und sagte leise: »Ich könnte fahren, Nick, wenn du denkst, du solltest lieber nicht.« Rhodes wirkte nicht übermäßig sicher auf den Beinen.
»Ist schon okay. Ich lasse den Wagencomputer fahren. Es geht schon.«
»Wenn du meinst. Ich nehme an, du kannst mich dann am Mariott absetzen, nachdem du Enron in sein Hotel gebracht hast.«
»Und Jolanda, was ist mit der?«
»Was soll's? Sie wohnt in East Bay, oder?«
»Du könntest sie doch morgen früh mit dem Pod zurückfahren lassen. Das macht der gar nichts aus.«
»Nick, ich habe den ganzen Abend lang kaum ein Wort mit ihr gesprochen. Ich habe nichts mit ihr ausgemacht.«
»Du willst sie nicht? Aber sie erwartet das, weißt du? Ihr habt ein Date!«
»Und das heißt automatisch, dass …«
»Bei ihr schon. Sie würde tödlich beleidigt sein, wenn du sie nicht fickst. Aber natürlich könnte ich ihr sagen, du bist auf Homosex umgestiegen, seit wir uns zuletzt gesehen haben, oder sonst was, und ich fahre sie dann heut' Nacht noch rüber nach Berkeley. Aber da lässt du dir was entgehen, sie bringt 'ne Menge Spaß. Was ist los mit dir, Paul? Müde?«
»Nein. Bloß … ach, verdammt. Mach dir keine Sorgen, ich werde meine Rolle als Kavalier gut spielen. Und hier kommt jetzt dein Wagen rüber.«