Dies war wohl die längste Rede, die Farkas je von sich gegeben hatte. Und als er zu Ende war, war seine Stimme heiser und rau, und er sehnte sich nach nichts so sehr, wie irgendwohin zu verschwinden und sich ins Bett zu verkriechen.
Wu starrte ihn noch immer wie gelähmt an. Farkas fragte sich, ob Wu ihn verstanden hatte. Ob es ihn überhaupt berührte.
Zu der Zwanzigerin sagte er: »Also. Ich bin hier jetzt fertig. Ihr könnt mich zu meinem Zimmer bringen.«
Das Zimmer war eher eine Kammer, ein luxuriöser Schrank, drei Meter lang, anderthalb hoch, und nur geeignet, sich liegend darin aufzuhalten. Aber das war ja genau das, was er sich im Augenblick wünschte.
Ein Icon blinkte, eine verschlüsselte Nachricht wartete auf ihn im Nachrichtenschlitz. Er nahm sie an und erfuhr, dass er umgehend wieder nach Valparaiso Nuevo zurückbeordert war. Um Gerüchten über einen Staatsstreich zum Sturz des Generalissimo Callaghan auf den Grund zu gehen.
Kein Wort zu irgend jemandem, lautete der Auftrag. Treib dich einfach dort herum, hör zu, was die Leute reden und teil uns mit, was sich tut, sofern sich überhaupt etwas tut.
Die Nachricht enthielt keine Quellenangabe, woher das Gerücht stammte. Am wahrscheinlichsten war wohl Colonel Olmo, der schließlich Top-Verbindungsmann von K-M in dem Satelliten war, aber wieso hatte dann die Firma Farkas nicht angewiesen, die Sache zuerst mit Olmo abzuklären? Vertraute man Olmo nicht mehr, oder war das Gerücht von anderswo zugespielt worden, oder war es nur wieder einmal so, dass die rechte Hand keine Ahnung hatte, was die linke tat? Jedenfalls schien aber Olmos Vermutung, die Firma selbst könnte irgendwie an dem Plan beteiligt sein, nicht sehr plausibel. Die Firma tappte anscheinend ebenso im dunkeln wie Olmo.
Hi-ho! Am wahrscheinlichsten, dachte er, ist noch, dass es gar keine Umsturzverschwörung gab, sondern nur eine Dunstwolke von Falschinformationen, die durch das System geisterte. Oder aber die Sache ging tatsächlich auf das Konto dieser angeblichen Freibeuter aus Südkalifornien, ohne irgendwelche Firmenbindungen, wie man Olmo berichtet hatte. Nun ja, schön und gut. Eine Irrsinnsidee, zweifellos. Aber falls es klappte, steckten da Milliarden drin.
Farkas nahm das Frühshuttle zurück. Eine Horde eifriger Kuriere umschwärmte ihn nach dem Andocken, doch er schüttelte sie allesamt freundlich ab und fand allein zu dem San Bernardito in Cajamarca zurück, wo man ihm wieder das gleiche Zimmer geben konnte, das er tags zuvor verlassen hatte. Ihm gefiel das Zimmer an der Außenseite, der Blick auf die Sterne. Und die G-1-Schwerkraft im Städtchen Cajamarca war für seine auf diese G-Stärke eingestellte Muskulatur höchst angenehm.
Er duschte genüsslich lange. Dann begab er sich auf einen Spaziergang.
Was für ein hübscher Ort, dachte er. Inzwischen hatte er sich auch allmählich an die Luft gewöhnt. Diese ganz klare, saubere Luft, die einem bei jedem Atemzug einen hinreißenden Sauerstoffkick verpasste. Von solcher Luft konnte man richtig betrunken werden. Er zog die Luft tief in die Lungen, spielte damit, versuchte sie mit den Alveolen zu schmecken, zu analysieren, die einzelnen Moleküle von CO2, Stickstoff und Sauerstoff zu trennen.
Dieses Zeug konnte einen rasch unbrauchbar machen, das wusste er. Es würde nicht einfach werden, wenn er wieder auf die Erde mit ihrer giftigen, ätzenden Luft zurück musste. Die Rückkehr in ein Leben als Dinko, als Schlammkriecher, als Scheißeschnüffler, oder wie sonst die L-5-Leute jene zu nennen pflegten, die gezwungen waren, ihr Leben auf dem unseligen Mutterplaneten verbringen zu müssen. Was ihn selbst anging, schien keiner es besonders eilig zu haben, ihn wieder zurück auf die Erde zu hetzen. Jedenfalls nicht so schnell.
Und das war gut so. Gut. Lass dir Zeit, genieß es, gönn dir einen kleinen Urlaub im Weltraum. Nimm eine besonders sorgfältige Untersuchung über diese angebliche Konspiration gegen die Regierung von Generalissimo Callaghan vor.
Unweit seines Hotels, am oberen Ende von Cajamarca, lag ein freundliches Café. Es war direkt unter einem der Außenfenster, und an diesem Nachmittag war der Blick auf Erde und Mond sagenhaft schön. Farkas setzte sich nach draußen, bestellte sich einen Brandy, lehnte sich zurück und trank langsam und genießerisch. Vielleicht kam ja einer der Verschwörer vorbei und bot ihm ein paar brauchbare Informationen zum Kauf an.
Aber klar. Aber gewiss doch.
Er nippte an seinem Brandy. Er saß da und wartete. Niemand kam, niemand bot ihm irgend etwas an. Nach einiger Zeit kehrte er in sein Hotelzimmer zurück. Wählte sich eine weiche, leise Musik. Nahm die behutsamen mentalen Steuerungen vor, die bei ihm dem Schließen der Augenlider entsprachen. Die letzten paar Tage waren recht hektisch gewesen, und er war wirklich müde. Ein bisschen Ausspannen war angesagt. War durchaus in Ordnung. Ja, wirklich, ein bisschen blaumachen …
Kapitel 10
Der Hafen von Oakland war ein Labyrinth aus grauen Stahlkonstruktionen auf vierzehn unterschiedlichen Stockwerken. Carpenter hielt seine ID-Plakette in der erhobenen Handfläche, um sie rasch jedem Laser-Scanner unterwegs hinhalten zu können, und stieg von einer Flucht in die nächste, auf und wieder ab, gehorsam den Weisungen unsichtbarer metallischer Stimmen folgend, bis er endlich am Wasser selbst anlangte, das dunstig und leuchtend unter dem heißen Mittagsdunst lag. Er sah Dutzende von Schiffen gemächlich im schlammigen, stillen Wasser dümpeln wie schlafende Enten.
Sein Schiff, die Tonopah Maru, war nach der Fahrt von der San Pedro-Werft in Los Angeles gerade erst eingelaufen. Sie lag hier an der Oaklandseite der Bucht – die Piers in San Francisco waren seit über einem Jahrhundert nur noch reine Touristenfallen –, und an diesem heißen, stickigen Nachmittag voller beinahe tödlicher Inversion in der Atmosphäre, die bräunlich-grüne Luft drückte wie eine Faust aus einem Betonhimmel nieder, und sogar im wundervollen San Francisco war die Atemmaske unumgänglich, war Carpenter hinübergefahren, um seine Mannschaft kennenzulernen und formal das Kommando zu übernehmen.
Am Kai unten stieß er nicht nur auf die üblichen blitzenden Batterien von Laser-Scannern, sondern auch auf einen gigantischen quadratschädeligen Roboter, der den Zugang zu den Piers bewachte wie Cerberus die Pforten der Hölle. Die Maschine drehte sich langsam zu ihm herüber.
»Captain Carpenter. Kommandant der Tonopah Maru«, sagte er. Es klang derart pompös und überheblich, dass er Mühe hatte, nicht über sich selbst zu lachen. Er kam sich vor wie eine der Figuren bei Joseph Conrad; der ernsthafte junge Skipper, der sein erstes Kommando antritt und sich der gelangweilten alten Teerjacke gegenübersieht, die das alles hundertmal erlebt hat und sich einen Dreck darum schert.
Und der Roboter, der höchstwahrscheinlich noch nie etwas von Conrad gehört hatte, war von Carpenters neuem Status weder amüsiert noch beeindruckt. In düsterem Schweigen unterzog er Carpenters Papiere einem erneuten Lasercheck, fand sie in Ordnung, leuchtete ihm in die Augen, um völlig sicher zu sein, und schickte ihn dann aus der Wachkabine hinaus in die bratende Sonnenhitze, um sein Schiff zu finden.