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Sein Indoktrinationskurs hatte nicht ganz eine Woche gedauert. Völlig unterschwellig, eine Stunde täglich, am Datentropf hängend, und jetzt wusste er (oder hoffte, dass er wisse) so ziemlich alles, was er brauchte, um Kapitän eines Eisbergschleppers im Südpazifik zu spielen. Und was bei seinem Trockenkurs an Land eventuell an Ausbildung versäumt worden war, würde man auf See dazulernen müssen, doch das beunruhigte ihn nicht. Er würde schon zurechtkommen. Irgendwie schaffte er es immer.

Er entdeckte sein Schiff beinahe sofort, erkannte die Tonopah Maru an dem gewaltigen Greifergetriebe und der Winde und an den großen Zapfstellen, die einen Großteil des Decks einnahmen. Erst tags zuvor hatte er gelernt, dass sie dazu dienten, die eingefangenen Eisberge mit einem das Abschmelzen verzögernden Sinterüberzug aus spiegelndem Staub zu bedecken. Das Schiff hatte einen langen schlanken Rumpf wie eine Zigarre, elegant und beinahe beunruhigend schmal in der Kontur. Es lag merkwürdig hoch im Wasser, im Vergleich zu den vielen übrigen Spezialfahrzeugen, die das vertraute kühne Firmenemblem der Samurai Industries – Sonne und Zackenblitz – aufwiesen. Er hatte keine Ahnung, wozu die anderen Schiffe dienten: Seegrassammler, Garnelenfänger, Kalamarjäger und so fort. Auf den Meeren waren derzeit unzählige Arbeitsschiffe unterwegs und heimsten die noch verbliebenen Reichtümer der See ein. Jeder Schiffstypus war nur für einen Zweck gut tauglich, für den jedoch hervorragend.

Ein wuchtiger plattnasiger grauhaariger Mann, dessen von Screen hervorgerufener Hautpanzer ihm ein merkwürdig mitternächtliches Aussehen verlieh, stand an Deck und spähte durch das Okular eines Navigationsinstruments, das er offenbar justieren wollte. Das Gerät lieferte Carpenter einen Hinweis, wer der Mann sein könnte – sein Ozeanograph/Navigations-Offizier, also im wesentlichen seine Nummer Zwei. Er rief zu ihm hinunter:

»Bist du Hitchcock?«

»Yeah!« Es klang argwöhnisch und ein wenig abweisend.

»Ich bin Paul Carpenter. Der neue Kapitän.«

Hitchcock betrachtete ihn abschätzend, lange und fest. Die Augen standen ziemlich weit vor und waren rotgerändert.

»Schön. Ja. Komm an Bord, Cap'n.«

Keine Wärme in der Aufforderung, aber damit hatte er ja auch nicht gerechnet. Er begriff, er war der Gegner, der feindliche Vertreter der Managerkaste, nur dank einer Willkürentscheidung einer fernen Bürokratie auf Zeit zu der Position der Befehlsgewalt über die Mannschaft der Tonopah Maru befördert. Sie hatten seinem Befehl zu gehorchen, doch das bedeutete nicht, dass sie ihn mögen, ihn respektieren oder im geringsten von ihm beeindruckt sein mussten.

Trotzdem, es galt den Schein zu wahren. Carpenter ging über die Laufplanke an Bord, ließ seinen Seesack aufs Deck fallen und wartete gelassen, dass Hitchcock zu ihm komme, um ihn per Handschlag zu begrüßen.

Das Händeschütteln war dann aber doch relativ herzlich. Hitchcock bewegte sich träge, aber sein Griff packte fest und ehrlich zu, und Carpenter bekam sogar ein Lächeln ab.

»Fein, dich kennenzulernen, Cap'n.«

»Ebenso. Woher kommst du, Hitchcock?«

»Maui.«

Damit war die Hautfarbe erklärt, das Gesicht und das graue Haar. Ein Afro-Hawaii-Mischling und massenhaft Screen, was den Hautton noch vertiefte. Und der Mann war größer, als er von oben her gewirkt hatte, und älter, gut und gern in den Fünfzigern.

»Wunderschön dort«, sagte Carpenter. »Ich war mal dort, vor Jahren. Der Ort hieß Wailuku.«

»Yeah«, sagte Hitchcock ohne großes Interesse. »Wir laufen morgen früh aus, ja, Cap'n?«

»Richtig.«

»Warst du schon mal an Bord von so 'nem Schiff?«

»Nein. Eigentlich nicht«, sagte er gelassen. »Nein, ich fahre zum ersten Mal raus. Würdest du mich rumführen? Ich möchte das Schiff besichtigen, und dann würde ich gern die übrige Besatzung kennenlernen.«

»Sicher. Gern. Einer ist grad da. He, Nakata! Komm her und begrüß den neuen Käp'n!«

Carpenter kniff die Augen gegen den Sonnenglast zusammen und erkannte eine winzige Gestalt hoch droben in den Aufbauten am anderen Ende des Schiffs, die am Hüsing der Greifermaschinen arbeitete. Vor der gigantischen Maschinerie wirkte der Mann wie ein Zwerg, vor diesem gewaltigen stummen Mechanismus, der in der Lage war, die riesenhaften Greifkrampen weit hinauf und hinaus und tief in die Flanken sogar der mächtigsten Eisberge zu schleudern.

Hitchcock schwenkte den Arm, und Nakata kletterte herab. Der Grapplemaschinist war ein katzenhaft geschmeidiger kleiner Kerl mit Kulleraugen und wirkte enorm selbstbewusst. In der Firmennomenklatura schien er ein wenig höher als Hitchcock zu stehen. Ohne zu zögern streckte er Carpenter die Hand entgegen, wie ein Gleichrangiger. Wahrscheinlich das gewöhnliche aufgesetzte Selbstsicherheitsgehabe der Japaner, dachte Carpenter. Nicht dass es einem Mann etwas brachte, Japano-Amerikaner zu sein, um in der Samurai-Hierarchie voranzukommen, ebenso wenig wie einem polnisch-stämmigen Amerikaner oder einem türkischer Abstammung. Die echten Nippos räumten ihren mischblütigen Vettern keine Sonderstellung ein. Ein japanischer Name machte einen nicht automatisch zum Japaner, so wie sie das sahen. Ganz schön harte Brocken, die Leute.

Nakata grinste. »Wir holen uns ein paar Riesenberge rein, was, Skipper? Damit San Francisco nicht zu sehr Durst leiden muss.« Er kicherte.

»Was ist denn so komisch bei San Francisco?«, fragte Carpenter.

»Alles«, erwiderte Nakata. »Ein verdammt blöder Ort. War's schon immer. Verrückte und Schwule und Datenfreaks und solche Typen. Du bist doch nicht selber aus Frisco, Skipper?«

»Nee, eigentlich aus Los Angeles, um genau zu sein. Aus West L. A.«

»Ach, dann isses okay. Ich bin aus Santa Monica. Gleich nebenan. Ich fand es hier oben immer ziemlich beschissen. Samurai hatte unsern Kahn an L. A. verchartert, weißt du, bis auf einmal im letzten Monat Frisco uns angefordert hat.« Er zeigte beiläufig auf die Bucht hinter sich, auf die bezaubernde Hügelstadt über dem Hafen. »Ich finde, es ist irgendwie verdammt komisch, dass ich arbeiten muss, um Wasser nach Nordkalifornien zu bringen. Aber man macht eben, wofür sie einen bezahlen, stimmt's, Skipper?«

Carpenter nickte.

»Genau«, sagte er. »So funktioniert das System.«

»Soll ich dir jetzt das Schiff zeigen?«, fragte Hitchcock.

»Da sind noch zwei weitere Besatzungsmitglieder, die ich sehen sollte, nicht?«

»Yeah, Caskie und Rennett. Die sind rauf in die Stadt, kommen aber bestimmt bald zurück an Bord.«

Rennett war für Wartung/Operations zuständig, Caskie war Communications-Operator. Alle beide waren Frauen. Carpenter war ein wenig ärgerlich darüber, dass sie nicht zugegen waren, um seiner offiziellen Kommandoübernahme gebührend beizuwohnen, aber andererseits, er hatte sich ja nicht zu einer bestimmten Zeit angekündigt. Die offizielle Begrüßung konnte durchaus warten, sagte er sich.

Hitchcock zeigte ihm das Schiff. Zuerst die Sprinkler und die Greifermechanik an Deck, nebst einem Blick auf die gewaltigen Krampen selbst, die in einer Nische der Schiffswand eingezogen lagerten; dann unter Deck der starke Fusionsantrieb, der eine mittelgroße Insel um die halbe Welt schleppen konnte.

»Und hier haben wir die wunderbaren Kabinen«, verkündete Hitchcock.

Man hatte Carpenter gewarnt, keinen üppigen Luxus zu erwarten, doch damit hatte er denn doch nicht ganz gerechnet. Es war, als hätten die Schiffskonstrukteure vergessen, dass es eine menschliche Besatzung an Bord geben werde, und sozusagen im Nachhinein zwischen der ganzen Maschinentechnik ein wenig Platz für sie dazwischengezwängt. Die Quartiere und Nutzräume für Carpenter und die anderen waren in alle möglichen Eckchen und Winkel gequetscht. Seine eigene Kabine war etwa ein Barthaar weiter als die übrigen vier, doch auch sie war kaum größer als diese sarggroßen Schlafkapseln, wie man sie in Flughafenhotels zugemutet bekommt; und als Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten war für alle am Heck eine kleine kuppelförmige Blase eingerichtet und auf dem Vorschiff, wo Carpenter Hitchcock seine Ausrüstung prüfen gesehen hatte, war Platz für ein paar Schritte auf und ab.