»Was? Du hast dich wirklich echt in den Dreck gesetzt, ja? Du stimmst mit ihr überein?«
»Nicht darin, dass es falsch ist, wenn wir Gentechniken entwickeln, die helfen können, dass wir mit den ganzen Übeln fertig werden, die auf uns zukommen. Nein. Isabelle steckt bis obenhin voll Mist, wenn sie glaubt, wir könnten hier auf der Erde überleben, ohne die menschliche Rasse zu modifizieren. Es wird sein müssen! Es gibt keine andere Wahl.«
»Und worin stimmst du dann mit ihr überein?«
»Also, es ist so: Die Genforschung, die bei uns im Santachiara durchgeführt wird, ist jetzt bereits allen anderen Arbeiten weit voraus, die sonst wo betrieben werden. Samurai hat, wie alle andern, seine Industriespionage-Abteilung, und die Berichte, die ich erhalte, überzeugen mich denn doch, dass wir ganz vorn liegen. Und diese neue Richtung, von der ich letzte Woche mit dir gesprochen habe, die dieser Junge, dieser Alex Van Vliet machen möchte, würde den entscheidenden Durchbruch bringen. So sehr es mir zuwider ist, ich muss es sagen, so bizarr Van Vliets Ideen sind, sie scheinen bessere Chancen zu haben, dass die Menschheit mit den auf sie zukommenden Umweltproblemen des nächsten Jahrhunderts besser fertig werden könnte, als alles, was ich sonst wo gesehen habe.«
»Diese Haemoglobinsache.«
»Genau. Es fehlen zwar noch einige wichtige kritische Durchbrüche, aber wer könnte sagen, dass diese Probleme nicht überwunden werden könnten? Du weißt, ich würde am allerliebsten sein ganzes Projekt über Bord schmeißen und begraben, weil es mich mit Schaudern erfüllt. Aber ich kann nicht. Ich kann einfach nicht. Nicht ohne wenigstens ein paar anständige Simulationen und echte Laborversuche laufen zu lassen. Es klingt sicher altmodisch, aber mein Gewissen erlaubt es mir nicht, das Projekt a priori ohne Tests abzuwürgen.«
»Aber das ist doch richtig. Es ist in Ordnung, dass du ein Gewissen hast, Nick.«
»Ich habe Bedenken bei seinem Konzept, nicht bloß moralische, die ich dir gesagt habe, auch technische. Ich bin ganz und gar nicht sicher, dass es machbar ist, oder – wenn es möglich ist –, dass man es machen sollte. Aber ich bin in dieser Hinsicht sehr konservativ. Ich bin allmählich ein bisschen zu angegraut für große spekulative Sprünge. Es ist denkbar, dass ich einfach ein hoffnungsloser alter Prinzipienzimperer bin, und Van Vliet ist ein echtes Genie. Aber die einzige Methode, das herauszufinden, ist die, dass ich seinem Vorschlag die Chance einer richtigen angemessenen Überprüfung gebe. Okay, also werden wir genau das machen. Ich habe ein paar Tage lang herumgezögert, aber dann habe ich heute morgen Van Vliet zu mir gebeten und ihm gesagt, dass ich eine Erhöhung seines Forschungsbudgets beantragen werde.«
»Der einzige faire Weg«, sagte Carpenter.
»Aber falls es sich herausstellt, dass er tatsächlich etwas Brauchbares gefunden hat und Santachiara es erfolgreich entwickeln kann, dann hätten damit die Samurai Industries ein Monopol, das Überleben der Menschheit auf der Erde zu kontrollieren. Ein Monopol, wer überleben darf, Paul. Verstehst du?«
»O Gott!«
»Was, du willst gern weiteratmen? Schön, dann lass dich von Samurai retrofitten. Du willst Kinder in diese Welt setzen, die in der Lage sind, auch außerhalb von Isolationskammern zu überleben? Wunderbar! Aber dann lasst eure Gene bei Samurai umstrukturieren. Es wäre die Weltherrschaft, Paul. Absolute Kontrolle! Und da bin ich jetzt und fange bereits an, das Geschenkpaket zu verpacken, damit es nach New Tokyo geliefert werden kann. Was glaubst du, wie ich mich fühle? Ohne dass – wirklich ganz ohne, dass – mir Isabelles ewiges Gerede in den Ohren schrillt?«
»Und wenn du jetzt bei der Firma kündigen würdest? Würde es nicht auf genau das Gleiche rauslaufen? Ein anderer würde das Paket liefern, nicht du.«
»Ja, es wäre jemand anderes. Und das ist es eben.«
»Und was hast du vor, was würdest du dann tun?«
»Ich könnte überall Arbeit finden. Bei Kyocera. Bei IBM/Toshiba. Bei einer der Schweizer Megagruppen.«
»Und vier Generationen später gehört die ganze Welt Samurai Industries.«
»Vier Generationen später werde ich nicht mehr da sein. Und dann wird wenigstens keiner mich verfluchen, weil ich dazu beigetragen habe, denen die Menschheit auszuliefern.«
»Du klingst genau wie damals diese paar Physiker im zwanzigsten Jahrhundert, die sich weigerten, an der Entwicklung der Atombombe mitzuarbeiten, weil es eine zu tödliche Waffe werden und nie zum Einsatz kommen werde. Gebaut wurde sie aber trotzdem, auch ohne ihre Mitwirkung. Es gab andere Leute, die da bereitwillig mitgemacht haben. Was bedeutet es schon auf lange Sicht, ob Wissenschaftler A moralische Bedenken hatte oder nicht, wenn das Ding gewünscht und gebraucht wurde und die Wissenschaftler B und C zur Verfügung standen und die Sache erledigen konnten?«
»Aber vielleicht machte es einen Unterschied für A«, sagte Rhodes. »Er schläft vielleicht nachts ruhiger. Oder kann sich im Spiegel ansehen. Aber die Analogie ist falsch, Paul. Damals war Krieg, ja? Man musste loyal zu seinem Land stehen.«
»Wir haben auch jetzt Krieg«, sagte Carpenter. »Eine andere Art Krieg, aber trotzdem Krieg. Und es sieht so aus, als ob wir ihn verlören, wenn wir nicht was Drastisches dagegen tun. Das hast du selber gesagt.«
Rhodes blickte ihn trübselig an. Interferenzwellen irgendwo hoch über dem Erdboden zeichneten verwaschene graue Streifen über sein Gesicht.
»Ich bin nicht besonders stark, Paul. Das weißt du doch. Vielleicht kann ich einfach die Vorstellung nicht ertragen, dass ich die moralische Verantwortung übernehmen soll, Samurai Industries könnten eine derartige Macht über die Welt bekommen. Wenn wir die ganze menschliche Rasse umschneidern müssen, dann dürfte nicht ein einziger Megamulti Profit daraus schlagen.«
»Also hast du tatsächlich vor, dort aufzugeben, Nick?«
»Ich weiß es noch nicht. Der Gesichtspunkt, dass Samurai zu mächtig werden würde, ist für mich enorm verwirrend. Ich musste mich mit sowas noch nie vorher auseinandersetzen. Und ich liebe meine Arbeit. Ich bin gern bei Santachiara. Meistens glaube ich, was wir da machen, ist wichtig und notwendig. Aber Isabelle, die übt scheußlich Druck auf mich aus, und das bringt mir den ganzen Kopf durcheinander. Und wenn sie wirklich begreifen würde, weshalb ich tatsächlich hier so besorgt bin, würde sie mir keine ruhige Minute mehr lassen. Sie hält die Großmultis sowieso für eine Bedrohung. Und Samurai ganz besonders.«
»Sie ist eine verstörte Frau, Nick.«
»Nein, sie ist nur tief besorgt …«
»Hör mir jetzt zu! Sie ist emotional gestört. Genau wie ihre Freundin, diese Jolanda, die du mir freundlicherweise neulich nachts ins Bett geschoben hast. Die beiden sind sexuell hochbegabt, und wir, die wir auf der Suche nach ein bisschen erlösender Fummelei umherschweifen, sind aufs höchste empfänglich für das rätselhafte geheimnisvolle Opium, das uns zwischen ihren Beinen entgegenströmt, aber ihre Köpfe stecken bis obenhin voll von blödem Mist. Sie sind ungebildet, und sie haben von nichts wirklich eine Ahnung und sind nicht einmal fähig, klar zu denken: Sie fallen auf jeden Der-Himmel-stürzt-ein-Quark herein, der gerade in Mode ist, und sie rennen herum und kreischen und demonstrieren und wollen die Welt auf fünferlei in sich selbst widersprüchliche Art gleichzeitig retten.«
»Ich vermag nicht zu sehen, wie das deine Behauptung rechtfertigen soll, dass sie emotional gestört ist«, sagte Rhodes steif.
»Selbstverständlich vermagst du das nicht zu sehen. Du bist in sie verliebt, also kann sie nichts falsch machen. Aber schön, wenn Isabelle dich liebte, wäre sie bereit, dir auf halbem Weg entgegen zu kommen, was die Auswirkungen deiner Arbeit betrifft, statt dich mit ihrer paranoischen Eifersucht zu plagen, dieser Abscheu vor deinem hingebungsvollen Bemühen, die menschliche Spezies zu retten. Aber sie liebt vielmehr die Macht, die sie über dich hat, und erhofft sich dabei den sublimen erregenden Kick, dich vor einem schweren Fehler zu bewahren. Sie ist außerstande, die inhärenten Widersprüche in ihrem Hass auf die Adapto-Forschung zu begreifen, und jetzt gelingt es ihr auch noch, diese Widersprüche in deinen Kopf zu exportieren. Du hast dich da auf eine höchst unpassende Person eingelassen, Nick. Ich an deiner Stelle würde keine zwei Sekunden lang zögern, um sie loszuwerden.«