Er trat in den Glast des Nachmittags. Die feuchte Luft war stickig und beißend, und eine geschwollene grünliche Sonne stak aufgespießt über einem der schlanken Hochhäuser San Franciscos auf der anderen Seite der Bucht.
»Cap'n«, sagte Hitchcock. »Das ist Caskie. Communications. Und Rennett. Maintenance/Ops. Cap'n Carpenter.«
»Steht bequem«, sagte Carpenter. Es schien ihm das Passende zu sein.
Caskie und Rennett waren beide eher klein. Doch damit endete ihre Ähnlichkeit auch bereits. Rennett war ein untersetztes, breitschultriges kleines Mädchen und reichte ihm kaum bis zur Brust, aber sie wirkte sehr zäh und kampfbereit. Wahrscheinlich, dachte er, stammt sie aus einer der Staubschüsseln im Mittelwesten; dort sahen sie alle so trotzig-hinterwäldlerisch aus. Ihr Kopf war kahlgeschoren, so wie das jetzt viele machten, und sie war überall braun wie eine Eichel, und der Purpurschimmer von Screen leuchtete stark durch die Haut, wodurch sie beinahe fluoreszierend aussah. Ohne ihre Kleinheit hätte man sie wohl kaum für eine Frau gehalten.
Braune Augen, die funkelten wie Murmeln und doppelt so hart wirkten, blickten ihn an. »Sorry, dass ich verspätet an Bord zurück bin.« Es klang ganz und gar nicht, als bedauerte sie wirklich.
Caskie, der Kommunikationsoffizier, wirkte schlank, beinahe zierlich, viel weicher und eindeutig feminin: schimmernde, dichte schwarze Haare, eine Menge, sie hielt wohl nichts von einem nackten Kopf. Das Gesicht eher unscheinbar, mit einem breiten Mund, einer drolligen kleinen Knopfnase, und ihre Haut war fleckig und verschuppt von zuviel Sonne, aber dennoch und trotz allem besaß sie eine wohlgerundete Attraktivität.
Er hatte sich gefragt, als er erfuhr, dass seine Crew aus zwei Männern und zwei Frauen bestehen werde, wie man verhindern konnte, dass sexuelle Spannungen an Bord sich zu einem Problem entwickelten, und während er sich nun Caskie ansah, überlegte er das erneut. Aber er bekam eine Sekunde später die Antwort, und es war dermaßen offensichtlich, dass er sich Vorwürfe machte, es nicht sofort bemerkt zu haben. Die beiden, Caskie und Rennett, waren ein Paar, ein geschlossenes System. An Bord der Tonopah Maru würde es kein Geflirte geben, keine Sexualrivalitäten, um ihm das Leben zu komplizieren.
Er sagte: »Ich glaube, ihr alle wisst, dass dies meine erste Fahrt ist. Das bedeutet nicht, dass ich keine Ahnung hätte, was Aufgaben und Pflichten eines Kapitäns sind, nur, dass ich sie bisher noch nicht erfüllt habe. Ihr seid eine erfahrene Crew, und es ist bekannt, dass ihr gut zusammen arbeitet, und ich werde mich hüten vorzugeben, dass ich eure Aufgaben besser verstehe als ihr. Wenn ich praktischen Rat brauche und nur theoretisches Material habe, auf das ich mich stützen kann, werde ich mich nicht genieren, euch um eure Hilfe zu bitten. Aber ich möchte euch bitten, zweierlei nicht zu vergessen: Ich lerne sehr rasch, und ich werde es sein, der hinterher vor der Firma geradestehen und Rechenschaft ablegen muss, wenn unsere Leistung der Norm nicht entspricht.«
»Denkst du, wir würden schludern, bloß weil wir einen neuen Mann im Kommando haben?«, fragte Rennett. Mittelwesten, unverkennbar; er hörte es in der Stimme, an dem trockenen flachen Ton. Aufgewachsen in der Staubschüsselarmut, in übler Giftluft, zwischen zerfallenden Schuppen, zertrümmerten Fenstern, der nie aufhörenden Ungewissheit, woher die nächste Mahlzeit kommen sollte.
»Das habe ich nicht gesagt. Aber ich will auch nicht, dass ihr euch einredet, dass das hier wegen meiner angeblichen Unerfahrenheit eine weniger gewinnträchtige Fahrt werden wird. Wir werden okay sein. Wir werden unsere Arbeit gut und richtig erledigen und verdammt feine Gratifikationen einstecken, wenn wir wieder in San Francisco zurück sind.« Carpenter setzte ein kurzes höfliches Lächeln auf. »Ich freue mich, euch kennengelernt zu haben, und ich bin verdammt froh, mit einer so tüchtigen Besatzung in See zu gehen. Mehr habe ich euch nicht zu sagen. Wir laufen um 1800 Uhr aus. Abtreten.«
Er sah, dass die Leute Blicke tauschten, ehe sie aus dem Glied traten, doch er konnte die Mienen nicht interpretieren. Erleichterung, dass der neue Kapitän kein völliger Trottel war? Bestätigung des Verdachts, dass er es eben doch sei? Bildung einer Allianz der echten Arbeiter gegen den verhassten parasitären Elftgradigen?
Sinnlos, ihre Gedanken lesen zu wollen, sagte er sich. Nimm den Turn Tag um Tag, mach deine Arbeit, lass dich nicht unterkriegen, und alles wird gut laufen.
Seine erste dienstliche Aufgabe war die Erledigung der offiziellen Auslaufformalitäten beim Hafenkapitän. Er ging in seine Kabine, um sich darum zu kümmern. Er fand sich nur mühsam in den engen, unvertrauten, vollgestopften Räumen unter Deck zurecht, zwischen dem ganzen Material und den Instrumenten und Geräten.
Als er zum Telefon griff, kam ihm der Gedanke, Nick Rhodes noch einmal zurückzurufen, um dem, was er ihm vorher gesagt hatte, vielleicht ein wenig den Stachel zu nehmen. Es ist ein ganz schön dicker Hund, einem Mann an den Kopf zu knallen, dass die Frau, die er liebt, eine gefährliche Verrückte ist, die über Bord geworfen werden müsste, sogar wenn es der engste Freund ist. Möglich, dass Rhodes gerade jetzt zornig und beleidigt über dies nachgrübelte. Vielleicht wäre es doch besser, man verpasste ihm rückwirkend eine kleine Linderung.
Nein, dachte er dann. Tu das nicht!
Er hatte Rhodes die Wahrheit gesagt, wie er sie sah. Falls er sich in Isabelle täuschte – und er glaubte nicht, dass er das tat –, würde Rhodes ihm vergeben, dass er so vorlaut gewesen war. Ihre Freundschaft hatte im Laufe der Jahre weit Schlimmeres überdauert. Sie waren unverbrüchlich an den anderen gebunden, durch die gemeinsame Zeit und Geschichte, und nichts, was sie einander sagten, konnte dieser Bindung je auf Dauer Schaden zufügen.
Aber dennoch …
Der arme unglückliche Schwanz. Ein dermaßen liebenswerter, sanftmütiger Kerl, ein so brillanter Mann. Und stets trieb es ihn irgendwie auf Beklemmung und Kummer zu. Er hat etwas Besseres im Leben verdient, dachte Carpenter. Aber nein, statt dessen traf er immer wieder Frauen, die mehr waren, als er verkraften kann; und sogar in dem einen Lebensbereich, wo er wirklich genial ist, in seiner Forschungsarbeit, bringt er es jetzt fertig, sich durch leidvoll selbstproduzierte moralische Bedenken aufs heftigste lustvoll zu quälen. Kein Wunder, dass er so viel trinkt. Wenigstens verstrickte ihn die Flasche nicht in philosophische Streitgespräche. Sie bot ihm einfach einen kleinen Trost, für eine, zwei Stunden. Carpenter fragte sich besorgt, was werden sollte, wenn bei Rhodes auch die Kontrolle über das Trinken verloren ging und die Droge den Bereich zu unterminieren begann, in dem sein Leben bislang noch funktionierte.
Ein schwieriger Fall, dachte er traurig.
Aber es ist doch besser, ihn jetzt nicht noch einmal anzurufen.
»Büro des Hafenmeisters«, sagte die Androidenstimme aus dem Visor.
»Hier ist Captain Carpenter von der Tonopah Maru«, sagte er. »Erbitte Clearance zum Auslaufen um achtzehn-null-null Uhr …«
Kapitel 11
Enron sagte: »Wunderschön wohnst du hier. Ist es sehr alt?«
»Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts«, antwortete ihm Jolanda Bermudez. »Es ist alt, aber nicht echt antik. Nicht wie in der Alten Welt, wo alles fünftausend Jahre alt ist. Gefällt es dir?«
»Wunderschön, ja. Ein hübsches, gemütliches Häuschen.«
Und dies war es, gewissermaßen, dachte Enron. Ein kleines klapperiges Haus an einer engen gewundenen Straße hoch oben am Hang, nicht weit nördlich vom Campus der Universität. Es besaß eindeutig Charme, kleine Terrassen und komische vorspringende Fenster und die gezackten Filigrane der wie ausgesägt wirkenden Zierleisten an der Dachkontur. Bezaubernd, doch, obwohl der Anstrich pockennarbig und abgesplittert war von dem unausgesetzten Angriff der chemiebeladenen Luft und die Fenster aus denselben Gründen so verkommen aussahen, dass sie beinahe schon wie getönte Scheiben wirkten, und die Terrassen und Balkone hingen durch und schief, die Holzschindeln waren teilweise abgefallen, und der Vorgarten war ein schamloses Durcheinander von vertrocknetem knotigen Unkraut.