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Es war der dritte Abend seit einer Woche, dass Enron sich mit Jolanda getroffen hatte; doch in ihr Haus hatte sie ihn bisher noch nicht eingeladen; sie hatte es vorgezogen, mit ihm in sein Hotel in der Stadt zu gehen. Die kleine Affäre mit ihr hatte viel dazu beigetragen, ihm diese Woche in den USA angenehm zu machen. Selbstverständlich musste Jolanda ihn nach längerer Zeit anöden. Aber er gedachte ja nicht, sie zu heiraten, und außerdem würde er sowieso sehr bald nach Israel zurückkehren. Und für die kurze Zeit hier war sie genau, was ihm hier gut tat, eine keine Ansprüche stellende Begleitung und im Bett ein nachgiebig-williger, eifriger Spielgefährte; außerdem bestand ja da immer noch die Möglichkeit, dass er etwas Brauchbares von ihr erfahren könnte – auf diesem sonst weitgehend vergeblichen Trip. Eine schwache Chance, aber es gab sie.

»Also, wollen wir nicht reingehen? Ich brenne darauf zu hören, was du von meinen Arbeiten hältst.«

Sie ist wie ein großer aufdringlicher Hund, dachte er. Nicht besonders klug, nein, eigentlich überhaupt nicht intelligent, aber ungeheuer freundlich und lebhaft und ein guter Kumpel für eine ausgelassene Rangelei. Eine warmherzige, unkomplizierte Person. Ganz anders als die meisten dieser kalkulierenden scharfkantigen, scharfäugigen Frauen in Israel, wie er sie kannte, die stolz behaupteten, absolut klar und sauber zu denken, bei denen immer alles in der absolut richtigen Perspektive lief und die es nicht störte, dass dabei ihre Seele zu Eis gefroren war.

Er folgte ihr durch einen schwach erhellten Vorraum. Es war auch drinnen dunkel und eng und verwirrend: ein dunkel dumpfiges Gewirr von kleinen Zimmern voller Wandteppiche, Skulpturen, Statuetten, Webstücke, messingbeschlagener Truhen, verwirrende Schals, die an Wandhaken hingen, Stammesmasken, Poster, Bücher, afrikanische Speere, Teile einer mittelalterlichen Rüstung aus Japan, aufgerollte Schlingen, von optischen Glasfaserkabeln, Stapel von Datenkuben, geschnitzte Wandschirme, Glocken, alte, mit farbigem Wachs geschmückte Weinflaschen, irisierende Hologrammbänder, von Wand zu Wand gespannt, seltsame Keramikstücke von rätselhafter Funktion, antike Kleidungsstücke, neckisch überall verstreut, Vogelkäfige mit echten lebenden Tieren darin, Visoren, auf denen abstrakte Muster blinkten. Eine betäubende, eine überwältigende Masse von Ramsch. Soweit er sehen konnte, alles absurd und geschmacklos. Er roch den abgestandenen Gestank von verbranntem Weihrauch in der Luft. Überall schlichen Katzen umher, fünf, sechs, ein Dutzend Katzen, zwei Siamesen, zwei Perser, etliche, deren Rasse er nicht kannte. Wie ihre Besitzerin schienen sie sich vor nichts zu ängstigen: Sie drängten sich an ihn, berochen ihn, stupsten ihn mit den Nasen, schärften die Krallen an seinem Bein.

»Also? Was hältst du davon?«, fragte Jolanda.

Was konnte er schon sagen. Er strahlte sie an.

»Faszinierend. Entzückend. Was für eine wundervolle Kollektion ungewöhnlicher Dinge.«

»Ich wusste, du würdest begeistert sein. Ich nehme nicht jeden mit hierher, weißt du. Viele Männer, die haben dafür einfach kein Verständnis. Sie würden erschrecken, es würde sie abschrecken. Aber du – ein Mann, der so weit herumgekommen ist, ein Mann mit Kultur und mit Kunstverstand …« Sie warf theatralisch begeistert die Arme in die Luft. Enron fürchtete schon, sie könnte eines ihrer Kunstwerke durch den Raum schleudern. Sie war eine massige Frau, fast hätte er sagen mögen, beängstigend, sofern irgend etwas ihm Angst machen konnte, schon gar eine Frau. Zehn Zentimeter größer als er, mindestens, und so an die zwanzig Kilo schwerer. Er vermutete, dass sie hyperdexabhängig war; sie hatte diesen überanstrengten Ausdruck in den Augen. Jegliche Art von Drogenmissbrauch fand Enron scheußlich. Aber was diese Frau da mit sich anstellte, ging ihn schließlich nichts an. Er war nicht ihr Vater.

»Komm mit!« Sie zog ihn am Handgelenk mit sich. »Mein Studio ist da drüben.«

Es war ein langer niedriger Raum im hinteren Bereich des Hauses, fensterlos, gegen den Berghang gelegen; zweifellos ein späterer Anbau. Die bedrückende Enge des Vorderhauses war hier nicht fortgesetzt. Das Studio war nahezu leer, bis auf drei rätselhafte Objekte, groß und von unbestimmbarer Gestalt, die in Dreiecksformation mitten auf dem Fußboden standen.

»Meine jüngsten Skulpturen«, sagte sie. »Die links ist Agamemnon, die hier drüben Der Turm des Herzens, und die hinten nenne ich Ad Astra Per Aspera.«

»Ich habe noch nie solche Werke gesehen«, erklärte Enron wahrheitsgemäß.

»Nein. Ich glaube nicht, dass irgendwo schon jemand Vergleichbares versucht. Es ist eine neue Kunstform, bisher rein amerikanisch.«

»Und es ist – wie sagtest du doch? – Bioresponsive Kunst? Wie funktioniert das?«

»Ich zeig's dir. Da, du musst erst die Rezeptoren anlegen.« Aus einem Wandschrank, den er nicht bemerkt hatte, brachte sie eine Handvoll unheimlich aussehender Elektroden und Bioamplifier. »Lass mich das machen«, sagte sie und klebte ihm rasch das Zeug an; ein kleines Instrument an seine linke Schläfe, ein zweites genau mitten auf den Kopf, dann fuhr sie ihm ins Hemd und klebte ein drittes auf sein Brustbein.

Mach weiter, dachte er. Pack mir jetzt eins zwischen die Eier.

Aber das tat sie nicht. Die vierte und letzte Wanze befestigte sie mitten zwischen seinen Schulterblättern. Danach hantierte sie eine Weile an irgendwelchen elektronischen Schaltern in dem Wandschrank herum. Er beobachtete sie nachdenklich, besah sich die Bewegungen ihrer ungebändigten Brüste und saftigen Pobacken unter dem dünnen Wickelkleid, das alles war, was sie trug. Und er überlegte, wie lange die Demonstration ihrer anderen Kunstwerke dauern mochte. Er hatte noch anderes vor an diesem Abend, und er war startklar, sich damit zu beschäftigen. In der Verfolgung eines Zieles konnte er wahrhaftig Geduld aufbringen, aber er hatte nicht vor, den ganzen Abend mit solchen Absurditäten zu verschwenden.

Auf eine gewisse, wenig ernste Weise beunruhigte sich Enron auch über die Elektroden und Bioverstärker. Wenn er nicht die Fähigkeit, Menschen zu beurteilen, komplett verloren hatte, dann war diese Frau harmlos, ein törichtes Unschuldsschaf mit lächerlichem Geschmack, verhageltem Verstand und den Moralbegriffen einer Kamelstute. Was aber, falls er sich täuschte? Was, wenn sie in Wahrheit zur Gegenspionage von Samurai gehörte und ihn raffiniert mit dem ungehemmten Einsatz ihrer lustvollen energischen Hüften und dem dunklen Moschusduft ihrer Lenden hierher gelockt hatte, um ihm heute Abend ein Brainburning zu verabreichen?

Das ist paranoisch, sagte er sich. Blödsinn.

»So, wir sind so weit. Wir können anfangen. Welche willst du zuerst?«

»Was welche?«, fragte er.

»Welche Skulptur.«

»Die hintere«, sagte er auf gut Glück. »Ad Astra Per Aspera.«

»Eine gute Wahl, um einzusteigen«, sagte sie. »Ich zähle bis drei. Dann bewegst du dich darauf zu. Eins – zwei …«

Zunächst sah er nur die Skulptur selbst, eine hässliche amorphe ungeschickte Anhäufung von hölzernen Streben, die durch von innen her sichtbare Metallhalterungen in unmöglichen Neigungswinkeln zusammengehalten waren. Doch dann begann in der Tiefe der Skulptur etwas zu glühen, und kurz darauf fühlte Enron, wie sich in ihm unmissverständlich ein psychogenes Energiefeld flackernd aufzubauen begann: Ein Pulsen im Nacken, dann ein zweites in seinem Bauch, ein seltsames Gefühl der Desorientierung überall. Als höben sich langsam seine Füße vom Boden, fast als ob er nach oben und hinaus zu schweben begänne, durch die Tür zurück in den Hauptteil des Hauses, durch das Dach, hinaus und hinauf in die heiße dumpfige Nacht …