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Schön, das Ding hieß schließlich ›Durch Leiden zum Licht‹ oder ›Durch Stress zu den Sternen‹ – oder? Also sollte er wahrscheinlich jetzt die Simulation eines Sternenflugs erleben. Hinauf und hinaus in die fernen Galaxien.

Doch Enron fühlte weiter nichts als eben wie zu Beginn die Sensation der Elevation. Er gelangte nirgendwohin, verspürte weiter nichts als eine gewisse leicht unangenehme Veränderung seines Nervensystems. Es war, als sei sein auf die Sterne gerichteter Impuls eingeschränkt, dass er nur bis zu einem gewissen Punkt gelangen konnte, nicht weiter, ehe er auf eine Art psychische Mauer stieß.

»So«, sagte Jolanda. Die Empfindungen verschwanden. »Was hältst du davon?«

Er war sofort da, wie immer. »Grandios, absolut phantastisch. Ich hatte kaum damit gerechnet, wie intensiv das ist. Ich fühlte …«

»Nein! Sag mir nichts davon! Das muss ganz intim und persönlich bleiben – es ist deine ganz persönliche Erfahrung des Werks. Keine zwei Erlebnisse gleichen sich. Und ich möchte mir nicht anmaßen, dich zu bitten, etwas essentiell Nonverbales mit Worten auszudrücken. Das würde es für dich kaputtmachen, meinst du nicht auch?«

»Ja, wirklich.«

»Wollen wir jetzt den Tower of the Heart nehmen?«

»Bitte.«

Sie berührte jede Elektrode, als wollte sie die Rezeptoren geringfügig neu justieren, und trat dann wieder an ihren Schrank.

Der ›Turm des Herzens‹ war breit, flach, in keiner Weise turmartig, soweit Enron es begriff. Das innere Glühen des Werks war dunkler schattiert, stärker violett-blau als rosig-golden. Als er darauf zuging, fühlte er zunächst nur sehr wenig, dann überkam ihn wieder ein bisschen das Schwindelgefühl wie bei der ersten Skulptur, ja eigentlich war es so ziemlich die gleiche Empfindung. Also ist das Ganze Blödsinn, dachte er, ein schwacher Elektrostrom, der einen kitzelt und ein moderates Unbehagen auslöst, und dann tust du so, als hättest du ein tief anrührendes ästhetisches Erlebnis gehabt, das …

Aber plötzlich und ohne Warnung befand er sich am Rande eines Orgasmus.

Es war höchst peinlich. Nicht nur, weil er vorgehabt hatte, ihn sich zu besserem Anlass später am Abend aufzusparen, sondern weil ihn die Vorstellung, gänzlich die Kontrolle zu verlieren, sich die Hose vollzukleckern wie ein Schuljunge, rasend machte. Er kämpfte dagegen an. Die Ausstrahlungen von der zweiten Skulptur waren weit stärker als die der ersten, und es war mühsam für ihn, sich zu wehren. Er wusste, dass sein Gesicht knallrot vor Scham und Zorn sein musste, und seine Erektion war derart stark, dass es schmerzte. Er wagte nicht hinabzublicken, ob da etwas zu sehen sei. Aber er ging dagegen an. Es war wohl länger als dreißig Jahre her, dass er so verzweifelt gegen die lustvolle Befreiung hatte ankämpfen müssen, jedenfalls seit den hitzigen Schnellschüssen seiner Adoleszenz. Sein Kopf steckte voll von Vorstellungen des üppigen überquellenden Leibes der Jolanda Bermudez, ihrer gewaltigen schwingenden Brüste, ihres heißen, glitschigen pulsenden Lustlochs. Sie war dabei, ihn zu fressen, ihn in sich hineinzuschlingen, ihn auf einer rasenden Flutwelle hinwegzureißen. Denk an was anderes!, mahnte er sich streng. Denk ans Tote Meer!, an den scharfen Metallgeschmack des Wassers dort!, an die dicke glatte Schlammschicht auf der Haut, wenn du aus dem Wasser heraussteigst! Denk an die goldene Kuppel der Omar-Moschee in der Mittagssonne! Denk an den ekelerregenden Ball von Treibhausgasen um unseren kreisenden Erdball! Denk an die gestrigen Aktiennotierungen! – an Zahnpasta! – an Orangen! – an die Sixtinische Kapelle!

– an Kamele auf dem Marktplatz in Beersheba!

– an Lamm-Kebabs, die überm Feuer zischen!

– an die Korallenbänke vor Eilat!

– an … die … die …

Doch in eben diesem Augenblick wich der Druck. Das Toben in seinem Blut legte sich, seine Erektion schwand. Er bekam wieder Luft und zwang sich, wieder ruhig zu werden.

Es war sehr still im Raum. Er zwang sich dazu, die Frau anzusehen. Und dann sah er, dass sie lächelte – verstohlen – vielleicht wissend? Hatte sie gemerkt, was ihm geschehen war? Es war unmöglich zu sagen. Aber sie musste wissen, was für eine Wirkung ihr Werk auf ihn gehabt hatte. Andererseits sollte doch jeder Mensch individuell verschieden darauf reagieren. Es war eine rein subjektive Art des Kunsterlebnisses.

Er würde nichts preisgeben. Wie sie gesagt hatte, es war seine ganz persönliche Angelegenheit, wie er ihre Kunst erlebte. »Außerordentlich«, sagte er zu ihr. »Unvergesslich.« Seine raue keuchende Stimme klang ihm beinahe fremd in den Ohren.

»Ach, es freut mich aber riesig, dass es dir gefallen hat. Sollen wir jetzt den Agamemnon machen?«, fragte sie fröhlich.

»Vielleicht ein bisschen später. Ich möchte gern – noch genießen, was du mir bereits gezeigt hast. Darüber nachdenken, wenn es dir recht ist.« Er schwitzte, als hätte er einen Zehnkilometerlauf hinter sich. »Geht das? Können wir die dritte Arbeit für später aufheben?«

»Es kann manchmal ganz schön umwerfend sein«, sagte sie.

»Und falls es hier was zu trinken gibt …«

»Aber sicher. Wie dumm von mir, dich gleich hier reinzuschleifen, ohne dir etwas anzubieten.«

Sie nahm ihm die Elektroden ab. Dann brachte sie eine Flasche Wein. Weißwein, warm und überzuckert. Diese Amerikaner! Von nichts hatten sie eine Ahnung, was wichtig war! Sanft fragte er, ob sie vielleicht Rotwein hätte, und sie wurde auch da fündig, nur war er leider noch schlechter, schmeckte staubig, das Zeug, und steckte wahrscheinlich voller scheußlicher Schadstoffe und grässlicher Insektizidreste. Sie verließen das Studio und machten es sich auf einer Art Diwan vor einem langen niederen Fenster in einem der vorderen Zimmer bequem, wo sie in einen Sonnenuntergang von bestürzender photochemischer Komplexität betrachteten, einen geradezu wagnerianischen überwältigenden Weltuntergang: gigantische scharfe gezackte Streifen von Scharlachrot und Gold, Grün und Violett und Türkis kämpften wild gegeneinander um die Dominanz im Himmel über San Francisco. Hin und wieder stieß Jolanda einen tiefen Seufzer aus und wackelte in einem freudigen ästhetischen Schaudern mit den Schultern. Oh, ja. Ja. Gottes schöner Privathimmel, in spektakulärer Illumination durch Gottes persönliche Industriegifte.

Bald gehen wir zum Dinner aus, dachte Enron, und dann werde ich sie all das fragen, was ich erfahren muss, und dann gehen wir hierher zurück und ich lege sie gleich hier auf dem dicken Orientteppich um, und dann fahre ich zurück in die Stadt und werde sie nie wiedersehen, und ein Schwein soll mich beißen, wenn ich zulasse, dass sie mir noch mal diese Elektroden verpasst, nicht heute Abend und auch in keiner anderen Nacht.

Aber zuerst kam seine Recherche. Wie konnte man das Thema unter diesen Umständen wechseln und auf sein Hauptinteresse zu sprechen kommen? Da war ein wenig Manövertaktik nötig. Und in Anbetracht des ganzen romantischen Theaters, das sich da am Himmel abspielte …

Wie sich herausstellen sollte, kam er weit schneller zum Punkt seiner Enquête, als er es erwartet hätte. Während sie so dasaßen und den Sonnenuntergang betrachteten, gab Jolanda ihm selbst das Stichwort.

»Neulich abends beim Dinner, Marty, sagte Isabelle, dass du ein Spion bist. Erinnerst du dich?«

Enron kicherte. »Aber sicher. Sie sagte, ich bin ein Spion von Kyocera-Merck.«

»Und? Bist du's?«

»Du bist so charmant direkt. Sehr amerikanisch, finde ich das.«

»Ach, ich denke nur so. Ich war noch nie mit einem Spion im Bett. Jedenfalls soweit ich weiß. Außer, du bist einer. Bist du einer? Es wäre interessant, das zu wissen.«

»Aber sicher bin ich einer«, sagte er. »Alle Israelis sind Spione. Das ist doch eine allseits bekannte Tatsache.«

Jolanda zog einen Schmollmund und goss beiden die Gläser wieder mit dem abscheulichen Wein voll.