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Er spürte fast ein Schluchzen im Hals.

Irgendwie war seine Arbeit entartet zu nahezu ausschließlich administrativer Tätigkeit, zu richtiger wissenschaftlicher Arbeit kam er fast nie mehr. Die erledigten hier inzwischen kleine Jungen wie dieser Van Vlies, und er selbst plagte sich mit der Schwemme von Berichten herum, mit Budgetanforderungen, mit Strategieanalysen, Sackgassenprojekten wie dieser Lungentransplantationssache etc., etc. und musste an unendlich tödlich langweiligen Konferenzen teilnehmen und immer wieder einmal seinen Abend opfern, um die lästigen neugierigen Fragen israelischer Spione abzuwimmeln. Und als Freizeitvergnügen nach Dienstschluss stürzte er sich in entnervend zerstörerisches Gezänk mit der Frau, die er angeblich liebte. Nein, das war irgendwie nicht das Leben, wie er es sich geplant hatte. Irgendwie war er vom Kurs abgekommen, das war nicht zu übersehen.

Und dann noch diese unvorstellbare Hitze – diese scharfe und bösartige ätzende Luft – die heißen heulenden Winde …

Van Vliet …

Isabelle …

Isabelle …

Isabelle …

Wilde wirre Empfindungen schüttelten ihn wie ein plötzlich ausbrechendes Fieber. Es war, als baute sich in ihm eine Explosion auf. Es war bestürzend. An solchen Tagen, dachte er, werden ansonsten friedfertige, gelassene Männer dazu getrieben, von Brücken zu springen oder plötzlich willkürlich zu morden. Die Diablowinde konnten so etwas auslösen. Sie waren dafür berühmt.

Mein Leben hat eine grundsätzliche Veränderung nötig, sagte er sich. Eine grundsätzliche Veränderung.

Aber was für eine Veränderung? In der Arbeit? In seiner Beziehung zu Isabelle? Paul Carpenter hatte ihm empfohlen, mit ihr zu brechen und sich eine Stellung bei einem anderen Megakonzern zu suchen. Beides klang sehr vernünftig.

Doch für den ersten Entschluss fühlte er sich einfach nicht imstande, und die andere Sache war zwar verlockend, aber auch erschreckend. Eine neue Stellung? Wohin sollte er gehen? Wie sollte er sich von Santachiara und Samurai lösen? Er war festgenagelt, war an Händen und Füßen gefesselt – an die Firma, an Isabelle, an sein Adapto-Projekt, an diesen ganzen verdammten Mist.

Er legte den Kopf in die Hände und saß da und horchte auf den Wind.

Isabelle …

Oh, mein Gott, Isabelle.

Der Abend gestern, nach dem Essen, bei Isabelle. Wie immer Wirbel, wenn er bei ihr ist. Er sitzt in der Küche, allein, bei einem Scotch. Isabelle war den ganzen Abend hindurch sehr einsilbig und kühl, unerklärlicherweise. Rhodes hat nie verstanden, was sie in diesen periodischen Zustand der Unnahbarkeit versetzt, und sie hilft ihm auch nicht im geringsten, das zu begreifen. Im Augenblick ist sie damit beschäftigt, in ihrem kleinen Arbeitsraum neben dem Wohnzimmer den Behandlungsbericht über einen ihrer Patienten von diesem Tag zu diktieren, der tief im Dreck steckt.

Er begeht einen entscheidenden Fehler, als sie hereinkommt, um sich ein Glas Wasser zu holen, und er ihre Reserviertheit zu durchbrechen versucht und sie fragt, was für ein spezielles Problem sie mit dem Fall hat und ob es dabei besondere Komplikationen gebe.

»Nick, bitte!« Sie starrt ihn mit Basiliskenaugen an. »Siehst du denn nicht, dass ich mich zu konzentrieren versuche!«

»Sorry. Ich hab gedacht, du machst eine Pause.«

»Ich ja, mein Kopf nicht.«

»Sorry«, sagt er noch einmal. »Das wusste ich nicht.« Er zieht gutmütig die Schultern hoch. Versucht, es wieder in Ordnung zu bringen. Er hat das Gefühl, dass er mindestens die Hälfte seiner Zeit mit Isabelle dafür aufwenden muss, alles wieder nett zu machen und in Ordnung zu bringen, nach einem Missverständnis, dessen Ursachen meist sein Begreifen übersteigen, alles wieder zusammenzuflicken.

Sie geht nicht in das andere Zimmer zurück, sondern bleibt steif am Spülbecken stehen, schwenkt ihr Glas, ohne zu trinken, als wolle sie die Schwere des Inhalts überprüfen.

Mit dumpfer bedrückter Stimme nach einer Weile: »Ja. Es gibt eine Komplikation. Ich glaube allmählich, dass das Mädchen ernstlich suizidgefährdet ist.«

Also will sie schließlich doch darüber reden. Oder sie spricht nur laut mit sich selbst.

»Wer?«, fragt Rhodes zaghaft.

»Angela. Angela! Hörst du mir eigentlich nie zu?«

»Oh«, sagt er. »Richtig, Angela.« Er hatte gedacht, die fragliche Patientin sei eine gewisse Emmy Louise. Isabelle kann zuweilen arg sprunghaft sein.

Er ruft sich die paar Dinge in Erinnerung, die er über Angela weiß. Sechzehn, siebzehn, wohnt irgendwo am Nordrand von Berkeley, Vater Geschichtsprofessor oder sowas an der Universität. Bei Isabelle in Behandlung wegen? Depressionen? Angstzuständen? Nein, denkt er, das Mädchen hat das Treibhaus-Syndrom. Die neue Modekrankheit. Totale Umweltparanoia. Gott allein weiß, wieso das erst jetzt auftritt; ihm klingt das stark nach dem späten zwanzigsten Jahrhundert. Aber jetzt scheint es alle Jugendlichen zu erfassen. Ein Gefühl nicht bloß, dass der Himmel den Planeten wie eine eiserne Fessel einschließt, sondern dass die Wände näher rücken, die Decke sich senkt und es nicht mehr lange dauert, bis man ersticken muss.

»Suizidgefährdet? Wirklich?«, sagt er.

»Ja, ich fürchte. Als sie heute zur Therapie kam, hatte sie zwei Atemmasken dabei.«

»Zwei?«

»Überzeugt, dass eine nicht ausreicht. Dass die Luft reines Gift ist, dass ein einziger tiefer Atemzug ihre Lungen zu Brei macht. Sie verlangte, ich soll ihr eine doppeltstarke Dosis Screen verschreiben. Ich erklärte ihr, dass ich nicht befugt bin, Rezepte auszustellen, und sie bekam einen Tobsuchtsanfall.«

»Das klingt eher wie das Gegenteil von Suizidabsichten«, sagt Rhodes sanft. »Hypertropher Selbsterhaltungszwang, das ja, aber wieso sollte das bedeuten …«

»Du kapierst es nicht. Du begreifst wohl nie, was?«

»Isabelle …«

»Sie glaubt, dass alle Präventivmaßnahmen, die sie ergreifen kann, vergeblich sind. Sie glaubt, sie ist zum Untergang verurteilt, Nick. Dass wir an der Schwelle zum endgültigen katastrophalen Umweltkollaps stehen, dass ihre Generation die letzte der menschlichen Rasse sein wird, dass irgendeine gigantische scheußliche Öko-Katastrophe bevorsteht, über uns hereinbricht und uns alle auf die allergrässlichste Weise vernichten wird. Sie steckt voll Wut und Empörung.«

»Dazu hat sie berechtigten Grund, denke ich. Allerdings glaube ich, sie ist damit hundert Jahre zu früh dran. Trotzdem – Selbsttötung …«

»Es ist die äußerste Demonstration der Wut und Auflehnung. Der Welt ins Gesicht zu spucken. Das eigene Leben wegzuwerfen zum Zeichen des Protests.«

»Und du glaubst ernstlich, sie wird?«

»Ich weiß es nicht. Es wäre durchaus möglich.« Isabelles gespanntes Gesicht hat sich verändert: Zweifel, Furcht, Unsicherheit zeichnen sich jetzt da ab. Ganz ungewöhnlich bei ihr. Unbewusst zupft sie an ihren Haaren herum, verknotet sie. Dann wandert sie auf und ab. »Mich beunruhigt dabei, dass die Sache meine beruflichen Kapazitäten übersteigen könnte. Ich bin Therapeut, ich bin kein Psychiater. Ich überlege, ob ich sie nicht weiterverweisen sollte.«

Sie debattiert nur mit sich selbst, davon ist Rhodes nun überzeugt. Aber es ist ja immerhin möglich, dass sie von mir irgendein Zeichen erwartet, dass ich ihr zuhöre.

»Also, sicher, wenn du denkst, es besteht irgendwie die Gefahr …«

Die Stimme nun leiser, weicher. Die Therapeutenstimme. »Aber es wäre ein Vertrauensbruch. Angela und ich haben eine feierliche Abmachung. Ich bin da, um sie zu leiten. Sie vertraut mir. Ich bin der einzige Mensch, zu dem sie Vertrauen hat.« Dann wird die Stimme wieder härter. Abrupter Wechsel. Stählerne Härte. Wilder Blick. Isabelle springt mit Lichtgeschwindigkeit von einer Stimmung in die andere. »Aber wozu rede ich über das alles überhaupt mit dir? Du kannst unmöglich verstehen, wie tief ihre Ängste sitzen. Verstehst du nicht, wenn ich sie an diesem schwierigen kritischen Zeitpunkt zur Konsultation an einen Außenstehenden überweise, sie einem ihr völlig fremden Menschen ausliefere …«