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»Wie lieb von dir!«

»Hab ich mich umsonst bemüht?«

»Ich liebe dich, Jeanne!«

»Weiß ich. Aber wie nun – willst du den Job?«

»Weißt du den Zeitrahmen?«

»Fünf Wochen Übergangszeit. Das reicht, um deinen Ersatz in Spokane in deine Wetterfroschdetails einzuarbeiten; dann ab nach Frisco für deine Indoktrination und Anpassung, und vielleicht kannst du dann sogar noch ein paar Tage für Paris abzweigen – für ein anständiges Essen und das aufregende Nachtleben, falls du sowas noch durchhältst.«

Jeannes Gesicht wirkte spöttisch, wie gewohnt, aber er hatte den Eindruck, als werde da auch ein Hauch von sehnsüchtigem Verlangen sichtbar. Als sie beide zusammen in St. Louis arbeiteten, flirteten sie die ganze Zeit, und wenn sie mit anderen Leuten zusammen waren, gaben sie diesen immer das Gefühl, dass sie beide eine sexuelle Beziehung hatten. Doch das war weiter nichts als ein Spiel gewesen. Irgend jemand hatte Jeanne einmal verletzt, vor langer Zeit, seelisch, nicht körperlich – Carpenter hatte nie nach Einzelheiten gefragt –, doch seiner Überzeugung nach war sie absolut asexuell. Und das war schade, denn er war es ganz und gar nicht.

Er sagte: »Würde ich liebend gern machen. Ein paar Tage Paris! Die Seine. Die Place de la Concorde. Und das Restaurant ganz oben auf dem Eiffelturm. Und wenn es regnet – ab in den Louvre.«

»Hier regnet es immer«, sagte sie.

»Um so besser! Wasser, das vom Himmel kommt, dir einfach so auf den Kopf rieselt … Jeanne, mir kommt das vor wie ein gottverdammtes Wunder! Ich würde mich glatt nackt ausziehen und die ganzen Champs Elysées runtertanzen …«

»Gib nicht so schamlos an! Außerdem würden sie dich blitzschnell festnehmen. Hier stehen an jeder Ecke Polypen. Androide, äußerst korrekt. Mon dieu, monsieur – s'il vous plaît, vos vêtements!«

»Denen sag ich einfach, ich kann nicht französisch. Würdest du mit mir tanzen?«

»Nein. Und bestimmt nicht nackt die Elysées runter.«

»Und was ist mit dem großen Ballsaal im Georgie Sänk?«

»Aber sicher, gern«, sagte Jeanne. »Also im Georges Cinq.«

»Ich liebe dich, Jeanne.« Aber in Paris würden sie einander nicht begegnen, da war er ganz sicher. Wenn er seinen Job auf dem Eisbergschlepper hinter sich hatte, würden sie Jeanne längst in die Filiale in Tierra del Fuego oder Hongkong oder Kansas City versetzt haben.

»Ich hab dich auch lieb«, sagte sie. »Bleib weiter schön trocken, Paul!«

»Kein Problem hier drüben bei uns«, sagte Carpenter.

An dem Morgen, an dem die Genehmigung für seine Versetzung endlich durchkam – es hatte an die zehn Tage gedauert, und er begann bereits zu zweifeln, ob Jeanne Erfolg gehabt hatte –, hatte er im Büro des Samurai Weather Service in Spokane neunzehn Stunden lang ununterbrochen durchgearbeitet. In den letzten Tagen hatten sie alle Überstunden machen müssen. Es war Verschmutzungsalarm Fünften Grades erklärt worden, der schwerste seit drei oder vier Jahren, und die gesamte Belegschaft der Meteorologischen Truppe hatte doppelte Überstunden gemacht, um die außerordentlichen Vorgänge in der höheren Atmosphäre zu überwachen, die die gesamte Westküste gefährden konnte.

Und das ging vor: Über Wyoming, Colorado, Nebraska und Kansas hatte sich eine ausgedehnte Hochdruckzone festgesetzt. Das war an sich nichts Neues und nicht ungewöhnlich – über diesen Gegenden lag immer eine ausgedehnte Hochdruckzone, weswegen es inzwischen dort auch fast keinen Regen mehr gab. Doch diesmal hatte die ganze gewaltige Masse schwerer toter Luft im umgekehrten Uhrzeigersinn eine starke Rotation entwickelt und begonnen, sich aus den Treibhäusern des von der Dürre bedrohten Mittelwestens Ströme von Gasen einzusaugen. Die ganze giftige Luftsuppe – Methan, Stickoxide und ähnliche solche Sachen –, die sich normalerweise in der Atmosphäre über Chicago, Milwaukee, St. Louis, Cincinnati und Indianapolis verteilt, wurde so um die Nordbereiche von Nebraska und Wyoming und nach Idaho hineingesaugt.

Unter gewöhnlichen Umständen wäre das kein Anlass für einen Großalarm gewesen. Es passierte immer wieder einmal, dass ein Schwaden fauliger Galle mit der Luft in die Bergstaaten zog, dort direkt nach Südwesten umgewirbelt und wieder dorthin gelenkt wurde, von wo er gekommen war. Diesmal aber lieferten die Sensorsatelliten im Orbit Daten über einen ganzen Strang sekundärer Wirbel in der Atmosphäre an der Westkante der Hochdruckzone, und diese Wirbel konnten möglicherweise bei ihrem Zug südwärts nach Utah ihre dreckige Giftfracht absplitten und im Nordwesten am Pazifik driften lassen. Und dann würden Seattle und Portland ein paar Tage lang Probleme mit Häufungen von Augen- und Schleimhautbeschwerden haben; danach würden sich die normalen Nord-Süd-Winde der Sache annehmen, die Suppe packen und sie die Küste hinab südwärts schieben, wo sie dann San Francisco und dann Los Angeles und San Diego belästigen konnte.

Die großen Küstenstädte hatten bereits reichlich eigene toxische Probleme, und wenn ihnen aus dem Mittelwesten noch zusätzlich eine dicke Ladung fremden Drecks beschert wurde, dann würden die festgelegten bisherigen Toleranz-Höchstgrenzen weit überschritten werden. Es würde sie treffen wie der Giftatem eines Drachen. Die Menschen würden tot auf der Straße zusammenbrechen. Der Schwefelgestank würde sie würgen, der tödliche Smog ihnen die Nasenschleimhaut zerfressen und ihr Blut schwarz werden lassen. Die Behörden würden offizielle Warnungen an die Bevölkerung ergehen lassen, sie solle im Haus bleiben und Türen und Fenster geschlossen halten, Industriebetriebe würden dichtmachen müssen, vielleicht für mehrere Wochen. Man würde allgemeine Fahrverbote für den nicht lebenswichtigen Straßenverkehr erlassen müssen, um die Lage nicht noch mehr zu verschärfen. In der gesamten Region würde es einen scheußlichen temporären Rückschlag geben; möglicherweise gab es auch zusätzliche Langzeitschäden im Environment, etwa ein weiteres Ansteigen der Arsen-, Kadmium- und Quecksilberbelastung im Trinkwasser, die kontinuierliche Verschlechterung der Infrastruktur, schwerste Beeinträchtigungen bei der überlebenden Flora und Fauna an der Westküste: die gigantischen uralten Redwood-Bäume konnten sich ja schließlich nicht hinter geschlossene Türen und Fenster in Häuser zurückziehen, um sich bei einem Smogalarm der Stufe Fünf vor der nach Westen ziehenden Giftwolke zu schützen.

Aber diese giftige Wolkenfront konnte auch jeden Augenblick abdrehen und weiterziehen, ohne Schaden anzurichten. Vorschnelle Warnungen vor einer möglichen Gefahr, die dann ausblieb, konnten zu unnötigen Produktionsstilllegungen führen, zu Panikreaktionen in der Zivilbevölkerung; höchstwahrscheinlich zu einer Massenflucht aus der Region, zu Staus und Blockaden der Ausfallstraßen, was zu zusätzlichen Umweltproblemen führen musste. Und danach würde es zu einer Sintflut von Schadenersatzprozessen kommen, weil die prognostizierte Katastrophe nicht eingetreten war. Leute würden auf Schmerzensgeld klagen für den erlittenen seelischen Schock, Entschädigungsforderungen für unnötige Aufwendungen, für Geschäftseinbußen und Verdienstausfall und alles denkbar mögliche andere würden kommen. Und Samurai Industries sahen sich ganz und gar ungern in gerichtliche Schadensabwicklungsprozesse verstrickt. Die Firma hatte so ziemlich das dickste Finanzkissen unterm Hintern – und saß fest darauf. Und jeder wusste das.

Also musste die ganze Situation bis ins kleinste Detail möglichst genau an den Monitoren erfasst und protokolliert werden, Minute für Minute, und sämtliche Mitarbeiter im Wetterservice in Spokane waren bis zur Beendigung der Krisenlage zu ständigem Bereitschaftsdienst rund um die Uhr verpflichtet. Carpenter, dem man geradezu seherische Fähigkeiten zuschrieb, meteorologische Großraumprognosen zu erstellen, war dabei besonders gefordert. Er hatte sich mit Hyperdex vollgepumpt und die ganze Nacht vor dem Computer gesessen, in Schweiß gebadet und mit von der Droge geschärfter Wahrnehmungsintensität, und hatte die sich bewegenden gelbgrünen Balken- und Punktmuster angestarrt und die tanzenden Daten so rasch internalisiert, wie sie hereinkamen, und dabei gehofft, zu irgendeiner Art Sinnfälligkeit der kosmischen Abläufe vorzudringen, zu einer mystischen Gestalt-Erkenntnis, die ihm einen Blick in die Zukunft gestatten würde. Die Nacht verging wie ein Augenzwinkern. Und er hatte es geschafft! Er hatte es erwischt! Er erhaschte einen Blick über die Zeitkontur hinaus in den übernächsten Tag, und er sah, wie der tödliche Giftschwall in der Atmosphäre sich weiter- und weiterwälzte – südwärts, an Coeur d'Alene vorbei, kaum merklich südostwärts … ja, vielleicht doch mehr ostwärts … Ja …