Das tat er schließlich auch. Ich staunte, als ich sein Gesicht sah: verstört, blaß, angespannt. Ich hatte noch nie zuvor auf Murchisons Gesicht einen solchen Ausdruck gesehen.
„Was ist denn los?“ fragte ich. „Wir warten alle, daß wir weiterfliegen können …“
Er drehte sich ganz herum und sah mich an. „Sie wollen wissen, was los ist, Loeb? Nun gut, hören Sie zu: das Schiff ist blind. Keines der Geräte zeigt etwas an. Keine Entfernungsmesseranzeige, kein Bildschirm, nichts! Sie können sich ja die Koordinaten ausdenken, wenn Sie das fertigbringen.“
Eine halbe Stunde später fand eine kleine Besprechung im Gemeinschaftsraum statt. Murchison war dort und Knight, ich selbst, Navigator Heinrichs und drei von unseren ,Passagieren’.
„Wie ist das passiert?“ wollte Knight wissen.
Murchison zuckte die Achseln. „Das geschah, während wir im Hyperraum waren.“
Knight sah Heinrichs an. „Haben Sie jemals gehört, daß so etwas passiert ist?“ Er schien Murchison zu verdächtigen, irgendwelche Dummheiten gemacht zu haben.
Aber Heinrichs schüttelte den Kopf. „Nein. Und dafür gibt es auch einen guten Grund: Wenn einem Schiff so etwas passiert, kommt es nicht zurück, daß jemand davon erzählen könnte.“
Kapitän Knights Gesicht war grau. „Und was könnte das verursacht haben?“ fragte er besorgt.
„Niemand weiß, wie die Umweltbedingungen im Hyperraum sind“, sagte Heinrichs. „Es kann ein magnetisches Feld gewesen sein, wie Murchison meint. Ober irgend etwas anderes. Die Frage ist nicht, was es verursacht hat, Kapitän — die Frage ist, wie wir landen sollen!“
„Murchison, besteht die leiseste Aussicht, daß Sie die Instrumente reparieren können?“
„Nein.“
„Und das ist alles — einfach nein? Zum Teufel, Mann, Sie haben doch früher auch schon mit den Instrumenten wahre Wunder vollbracht.“
„Nein“, wiederholte Murchison ausdruckslos. „Ich habe es versucht. Da ist nichts, was ich machen könnte.“
„Das heißt also, daß wir am Ende sind, nicht?“ fragte Carney, einer der Marinesoldaten. „Wir hätten also genausogut auf Shaula bleiben können. Dann wären wir wenigstens noch am Leben.“
„Es sieht ziemlich lausig aus“, gab Heinrichs zu. Er runzelte die Stirn. „Eine Blindlandung dürfen wir nicht wagen. Wir können nichts tun. Absolut nichts.“
„Eine Möglichkeit gibt es noch“, erklärte Murchison.
Alle Augen wandten sich ihm zu.
„Nämlich?“ fragte Knight.
„Steckt einen Mann in einen Raumanzug und verankert ihn an der Außenwand. Er kann uns hereinlotsen — er würde sehen, wenn auch wir nichts sehen.“
„Er würde verbrennen, sobald wir auf die Erdatmosphäre treffen“, sagte ich. „Wir würden einen Mann verlieren und trotzdem blind sein.“
Murchison schob die Unterlippe vor. „Die Schiffshöhe könnte man ja durch die Temperatur der Außenhaut bestimmen, wenn man nahe genug an die Erde herangekommen ist. Außerdem, sobald das Schiff innerhalb der Ionosphäre ist, ist ja eine Einpeilung per Radio möglich. Das Problem ist, nur so weit zu kommen.“
„Ich glaube, es ist einen Versuch wert“, sagte Kapitän Knight. „Ich schätze, wir werden losen. Loeb, holen Sie ein paar Spaghetti aus der Kombüse, damit wir sie als Strohhalme benutzen können.“ Seine Stimme klang grimmig.
„Lassen Sie nur“, sagte Murchison.
„Wie bitte?“
„Ich sagte: ,Lassen Sie nur’ — Sie brauchen nicht zu losen. Ich gehe.“
„Murchison …“
„Mund halten!“ bellte er. „Meine Abteilung hat versagt, folglich werde ich hinausgehen. Ich melde mich freiwillig, klar? Wenn noch jemand Lust hat, kann er sich mit mir darum boxen.“ Er sah sich in der Runde um. „Ich höre keine Meldungen. Ich nehme also an, daß der Job mir gehört.“ Der Schweiß strömte ihm über das Gesicht.
Eine Weile herrschte verblüfftes Schweigen, das erst Carney mit der gemeinsten Bemerkung brach, die ich je gehört habe. „Sie wollen wohl wiedergutmachen, daß Sie diesen wehrlosen Shaulaner geschlagen haben, was, Murchison? Und jetzt wollen Sie den Helden spielen, um das wieder auszugleichen?“
Aber Murchison wandte sich nur zu Carney um und sagte ruhig: „Sie sind genauso blind wie die anderen. Sie wissen nicht, wie verkommen diese wehrlosen Shaulaner sind, keiner von Ihnen weiß das. Und Sie wissen auch nicht, was sie uns angetan haben.“ Er spuckte aus. „Sie machen mich krank. Ich gehe jetzt hinaus.“
Er drehte sich um und ging weg — um in seinen Raumanzug zu steigen und auf die Außenhaut des Schiffes hinauszuklettern.
Murchisons Anweisungen von der Außenwand des Schiffes aus erlaubten Heinrichs, uns zu landen. Es war eine großartige Teamarbeit.
In fünfzehn Kilometern Höhe über der Erde setzte Murchisons Stimme plötzlich aus. Aber bis dahin konnten wir schon die Funksendungen vom Boden empfangen und gingen in Gleitflug über.
Später sagte man uns, es hätte ausgesehen, als flammte eine Kerze auf dem Schiffsrücken. Eine helle klare Flamme loderte einen Augenblick auf, als wir in die Atmosphäre eindrangen.
Und ich erinnere mich auch an Murchisons Gesichtsausdruck, als er hinausging. Er war angespannt, verbittert, gequält — als zwinge ihn etwas, dorthinauszugehen — als hätte er gar keine eigene Wahl gehabt, seine Märtyrerrolle zu spielen oder nicht.
Ich denke oft darüber nach. Niemand hat je zuvor Murchison gezwungen, etwas zu tun — bis damals.
Wir halten die Shaulaner für sanft, weich, wehrlos. Murchison legte sich mit einem von ihnen an und starb.
Sanft und weich, ja — aber wehrlos …?
Vielleicht haben sie unser Schiff irgendwie sabotiert und Murchison zur Selbstaufopferung gezwungen, weil er wußte, daß er Schuld auf sich geladen hatte. Ich weiß nicht.
Irgendwie schmälert das seinen Ruhm.
Aber manchmal denke ich, daß Murchison betreffs der Shaulaner doch recht hatte. Jedenfalls fahre ich nie mehr dort hin. Selbst wenn das Elektronengehirn mich aussuchen sollte …