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»Ich werde für Sie sorgen, Jeanne.«

Das war für die junge Frau mehr wert als ein Liebesbekenntnis. Jede Hausangestellte in Paris wünschte sich einen Ehemann, der ihr finanzielle Sicherheit gab. Das war viel wichtiger als die Liebe. Liebe war nicht ausgeschlossen, aber sie war keine Voraussetzung für eine lebenslange gute Ehe. Der Altersunterschied spielte keine Rolle. Ältere Männer waren ruhiger und zuverlässiger und hechelten nicht mehr jedem Frauenzimmer nach. Und im Bett waren sie weniger grob.

Jeanne heiratete Jean-Baptiste nach Rücksprache mit ihrer Mutter in der Kirche Notre-Dame-de-Bonne-Nouvelle. Diese war sehr glücklich darüber. Endlich war ihre Tochter zur Ruhe gekommen, und sie musste sich nicht mehr Sorgen machen, wer eines Tages für sie aufkommen würde.

Charles war über diese Heirat gar nicht glücklich. Er gönnte zwar seinem leidgeprüften Vater die neue Frau an seiner Seite, aber ihm schien, als verlöre er dadurch den letzten Halt in seinem Leben. Er wollte seinen Vater mit niemandem teilen, auch nicht mit Jeanne, die er zu lieben gelernt hatte, als sie noch Magd gewesen war. Seine Beziehung zu ihr verschlechterte sich zusehends. Sie versuchte eine gute Stiefmutter zu sein, aber Charles lehnte sie ab. Bisher hatten er und sein Vater eine Magd gehabt. Jetzt war die Magd die Nummer zwei im Haus. Wenn sie ihn etwas fragte, gab er keine Antwort mehr. Und wenn sie energisch wurde, sagte er ihr ins Gesicht, sie sei nicht seine Mutter. Dies erzürnte sie so sehr, dass sie dem Jungen erst recht beweisen wollte, dass sie hier das Sagen hatte. Was sie aber noch mehr erzürnte, war die ambivalente Haltung ihres Ehemannes. Sie hätte sich gewünscht, dass Jean-Baptiste den frechen Bengel ab und zu zurechtwies, damit die Hierarchie im Hause Sanson klar war.

Eines Tages äusserte Jeanne den Wunsch, in ein anderes Haus zu ziehen, eines, in dem nicht das Blut der Geköpften zwischen den Holzbohlen des Schafotts ins Wohnzimmer hinuntertropfte. Sie wollte nicht mehr im Hotel des Henkers wohnen, sondern in einem gutbürgerlichen Haus in einem gutbürgerlichen Quartier. Wie andere rechtschaffene Menschen auch. Und sie nahm Jean-Baptiste das Versprechen ab, ein Klavier anzuschaffen.

Er gab ihrem Drängen nach und vermietete das Haus für sage und schreibe fünfhundertneunzig Livre. Das war mehr, als ein Tagelöhner im Jahr verdienen konnte. Er kaufte darauf das Haus in der Rue d’Enfer, ein schönes Anwesen mit Garten. Damit verlor Charles seine letzte Wurzel. Er hatte das Gefühl, im neuen Haus nicht mehr atmen zu können. Hier war er nicht zu Hause. Hier gab es keine Pharmacie. Die Bücher seines Grossvaters lagen auf dem Dachboden, und im Garten wuchsen keine Kräuter, sondern Beeren und Gemüse.

Durch die Geburt von drei Halbgeschwistern hatte er ohnehin an Bedeutung verloren. Jetzt zählten nur noch die niedlichen Kleinen, die ihn nachts mit ihrem Geschrei am Schlafen hinderten. Die Familie Sanson, das waren Vater Sanson, Stiefmutter Jeanne und ihre gemeinsamen Kinder. Er hingegen, so empfand er es, war die Brut einer vergangenen Zeit, einer erloschenen Liebe. Ein Fremder, an dessen Herkunft sich niemand mehr erinnern wollte. Er hasste dieses Haus, er hasste dieses Leben, und er wünschte, sein Grossvater, Meister Jouenne, käme zurück und würde für Ordnung sorgen.

Doch sein Grossvater kam nicht zurück. Stattdessen klopfte es eines Tages energisch an der Tür. Sie waren gerade beim Abendessen. Draussen war es noch hell. Jeanne öffnete die Tür. Vor ihr stand eine resolute ältere Dame, die die verblüffte Jeanne beiseiteschob und das Haus betrat.

»Wo ist mein Junge?«, rief sie mit lauter, rauer Stimme.

Jeanne schloss die Haustür und folgte der Fremden, die bereits in der Küche stand.

»Ich wusste, dass ich dich eines Tages finde!«, schrie sie und baute sich vor Jean-Baptiste auf, der sie verstört musterte. Sie setzte sich an den Tisch und griff nach dem Weinglas, das vor ihm stand. Sie trank es in einem Zug leer und schaute kurz auf die drei kleinen Kinder, die auf dem Küchenboden herumtollten und sich die Gesichter mit Marmelade einstrichen. »Sind das deine?«

Jean-Baptiste nickte und schaute verlegen zur verdutzten Jeanne, die sich wieder an ihren Platz gesetzt hatte.

»Haben Sie Hunger, Madame?«, fragte Jeanne höflich.

»Ja, gib mir endlich was zu essen.« Dann wandte sie sich erneut an Jean-Baptiste: »Weisst du eigentlich, wie grosse Sorgen ich mir damals gemacht habe? Hm? Und wozu das Ganze? Weil du nicht Henker werden wolltest! Und was ist aus dir geworden? Ein gottverdammter Henker! Du hättest dir die ganze Odyssee sparen können. Und mir all den Kummer, den du mir bereitet hast. Hattest du es denn besser in der Armee? In der Neuen Welt habt ihr doch die Wilden gleich im Dutzend niedergemetzelt. Dein Vater ist nie darüber hinweggekommen. Ich musste ihm am Sterbebett versprechen, dass ich dich finde, damit du das Erbe fortführst. Er sagte, ich solle dir sagen, dass du dem Fluch nicht entkommen kannst. Es ist die Erbsünde der Sansons.«

Jeanne servierte der Frau einen Teller Suppe und setzte sich wieder an ihren Platz. »Sie sind die Mutter?«, fragte sie scheu.

»Er hat dir wohl nie von mir erzählt? Das passt zu ihm.« Sie warf ihrem Sohn einen verächtlichen Blick zu und schaufelte die Gemüsesuppe in sich hinein. Sie schaute kurz auf und verlangte nach Brot und mehr Wein. Dann sah sie Charles im Türrahmen stehen. »Wer ist denn der da?«

»Das ist mein Sohn Charles. Seine Mutter ist gestorben. Sie war die Tochter von Meister Jouenne …«

»Ach, der Riese aus der Normandie. Du wirst sehen, der Kleine wird auch ein Riese. Ich erkenne das am Handgelenk. Komm her, mein Junge.« Charles näherte sich zögerlich. Sie ergriff seine Handgelenke und murmelte: »Jaja, das wird ein Riese.« Sie schaute Charles in die Augen. »Ich bin deine Grossmutter. Willst du mir keinen Kuss geben?« Charles rührte sich nicht von der Stelle. Sie zuckte kaum merklich mit den Schultern und ass weiter.

»Als dein Vater starb, habe ich wieder geheiratet. Den Henker Dubut. Er soff wie ein Bürstenbinder. Er behauptete, dass man diesem Beruf nicht nüchtern nachgehen könne. Auch er hatte seine Frau verloren. Er war ein zartes Pflänzchen, das eine strenge Hand suchte. In einem eiskalten Winter ist er auf der vereisten Holzbrücke Saint-Louis ausgeglitten und in den Fluss gestürzt. Als sie ihn herausfischten und im Hof des Gasthofes zum Bären aufbahrten, sah er aus wie ein Eiszapfen. Ich habe gesagt, ihr braucht ihn nicht aufzutauen und zu trocknen, bringt ihn gleich unter die Erde. Seitdem habe ich die Nase gestrichen voll von Männern. In jungen Jahren sind Männer durchaus unterhaltsam, aber später werden sie zum Ärgernis, und wenn sie den Beruf aufgeben, stehen sie nur noch blöd herum und wollen einem beibringen, wie man einen Haushalt führt. Dabei können sie nicht mal ein Ei kochen.« Sie schaute kurz zu Jeanne. »Gib mir noch mehr. Ich habe eine lange Fahrt hinter mir. Kannst du überhaupt kochen?«

Jeanne nickte und schöpfte ihr nach. »Du hast ein gebärfreudiges Becken, Mädchen. Ihr werdet mir noch viele Enkel schenken. Da werdet ihr Hilfe brauchen.«

Jean-Baptiste, Jeanne und Charles erschraken. Grossmutter Dubut bot ihre Hilfe an. Das klang wie eine Drohung. Sie nahm zur Kenntnis, dass niemand über ihre Ankunft begeistert war, aber es war ihr gleichgültig.

»Mutter«, begann Jean-Baptiste leise, aber sehr bestimmt, »ich bin nicht mehr dein kleiner Junge. Ich war drüben im Krieg, als Offizier. Ich habe ein Bataillon kommandiert. Also sag mir nicht, was ich zu tun habe.«

»Jaja. Selbst wenn du General bist, bist du noch mein Junge. Und ich sage dir noch was: Ich gehöre nicht zu den alten Weibern, die sich stumm in einer Ecke verkriechen und ihr Gnadenbrot in heisse Milch tunken. Ihr braucht hier jemanden, der Erfahrung hat und euch zur Hand geht.«

Von diesem Tag an herrschte Grossmutter Dubut über den Haushalt der Sansons. Sie war trotz ihres fortgeschrittenen Alters ein Energiebündel, das ihre Mitmenschen so behandelte, als seien sie allesamt Häftlinge auf ihrer imaginären Galeere, die sie mit wuchtigen Trommelschlägen antrieb. Wie eine feindliche Kavallerie war Grossmutter Dubut in Paris eingefallen. Jetzt war sie hier. Und hier wollte sie bleiben. Seltsamerweise konnte Jean-Baptiste der alten Frau nicht Paroli bieten. Zu tief waren Respekt und Gehorsam gegenüber der Familie verankert. Die Familie war so sankrosant wie Gott und seine Erzengel. Man konnte sich nicht dagegen auflehnen. Charles empfand nun fast ein wenig Mitleid mit seiner Stiefmutter Jeanne, die kaum noch etwas zu sagen hatte. Sie hatte wieder die Stellung einer Magd, einer gebärenden Magd. Der neue General im Haus hatte sie dazu degradiert.