Выбрать главу

»Höre ich eine versteckte Kritik wegen der steigenden Zahl von Verurteilungen? Bürger Sanson, wenn die Revolution einmal in Fahrt ist, werden es Zehntausende sein. Wir müssen Paris säubern und das Aristokratische ausmerzen. Jede Revolution wird wie ein Säugling im Blut geboren, und ihre Kinder waten im Blut, bis die Revolution vollendet ist.«

»Ich hoffe, dass einer übrig bleibt, um die Strafurteile zu vollstrecken«, sagte Charles.

Fouquier verzog keine Miene. »Notfalls werde ich es tun. Reiss den Mund nicht zu sehr auf, Bürger Sanson. Dein Amt bietet dir keinen Schutz.«

»Ich werde Gorsas und den Courrier de Versailles verklagen.«

Fouquier zuckte die Schultern. »Das steht dir frei. Aber vergiss deine Maschine nicht. Wir werden sie brauchen. Wir sind noch lange nicht am Ende des Weges angelangt. Du wirst in der Zwischenzeit ein paar Nächte im Gefängnis Saint-Lazare verbringen. Vielleicht fällt dir dann noch etwas ein, das du mir beichten möchtest. Es gibt in den unterirdischen Verliesen so viele Ratten, dass du nachts eh nicht schlafen kannst. Also denk nach.«

»Worüber?«, fragte Charles, ohne sich seine Wut anmerken zu lassen.

»Uns interessieren alle konterrevolutionären Umtriebe. Kennst du Royalisten? Bestimmt. Nenn mir ihre Namen!«

»Du weisst genau …«

»Du? Mein Amt verlangt ein Sie, oder haben wir etwa zusammen die Schulbank gedrückt?«

»Sie wissen genau, dass ein Henker keine Freunde hat. Er teilt sein karges Mahl mit Hunden und Pferden. Es ist nicht erstrebenswert, sich in der Gesellschaft des Henkers zu befinden.«

»Mag sein«, entgegnete Fouquier, »aber du bist nicht einfach der Henker, du bist Monsieur de Paris, und viele Menschen halten sehr viel von deinen Heilkünsten. Übrigens, ich habe manchmal so ein Ziehen in der linken Brust. Wie kurze Nadelstiche. Das Herz?« Fouquiers kühler Ton wich echter Besorgnis.

»Nervosität, absolut harmlos.«

»Nun gut«, Fouquier atmete befreit aus, »ich bin sicher, in Saint-Lazare werden dir Namen einfallen.« Er griff nach einem Bündel Assignaten, die auf seinem Schreibtisch lagen. »Das Papiergeld der Französischen Revolution.« Er fächerte sich damit Luft zu. »Nur schade, dass es Fälschungen sind. Und wo wurden diese Fälschungen gedruckt?« Er grinste. Jetzt wurde Charles tatsächlich blass. »Mag sein, dass deine Untermieter Revolutionslieder gedruckt haben. Aber nicht nur. Das war eine Tarnung.« Fouquier lachte auf. »Siehst du, Charles, ich habe dich immer gewarnt. Du warst der Musterschüler in Rouen. Aber ich wusste, eines Tages sehen wir uns wieder, und du wirst unter Schmerzen begreifen, dass einer, der aus der Gosse stammt, immer nach Scheisse riecht und dass einer, der adliges Blut in den Adern hat, immer überlegen ist. Es ist mir eine besondere Genugtuung, dich in den Kerker zu werfen.«

»Was habe ich dir angetan, Antoine?«

»Antoine? Schon wieder? Ich bin Fouquier, der oberste Ankläger der Republik. Ich klage an, und du vollstreckst die Urteile. Du bist der Metzger.«

Saint-Lazare: In diesem ehemaligen Lepra-Krankenhaus wurden Menschen inhaftiert, gefoltert und ohne Gerichtsurteil getötet. Es gab keine Einzelzellen. Zu Hunderten zwängten sich die Gefangenen in der Kleidung, die sie bei ihrer Verhaftung getragen hatten, durch die endlosen, finsteren unterirdischen Korridore des Gefängnisses. Trotz der misslichen Lage und der düsteren Perspektive gab es noch zahlreiche Insassen, die sich beim Kartenspiel die Zeit vertrieben. Einige sangen, andere versuchten das andere Geschlecht zu verführen. Vor allem die jungen Frauen hielten verzweifelt Ausschau nach einem Mann, der sie schwängerte. Eine Schwangerschaft rettete sie vor dem sicheren Tod.

Nach einigen Tagen hörte Charles seinen Namen rufen. Er ging zum Gitter und suchte zwischen den Stäben nach einem bekannten Gesicht. Plötzlich stand Marie-Anne vor ihm. Sie hatte ihm eine Wurst, einen Laib Brot und einen Krug Bier mitgebracht.

»Wann lassen sie dich frei?«, fragte sie.

»Ich weiss es nicht«, antwortete Charles und nahm die Nahrung, die sie ihm zwischen den Gitterstäben hindurchschob.

»Ich habe die Wurst so gemacht, wie sie meine Mutter immer gemacht hat.«

»Ich habe ihre Wurst immer verabscheut«, sagte Charles leise.

»Das hast du mir nie gesagt.«

»Du wolltest es nicht hören, aber ich bin dir sehr dankbar, dass du mir etwas zu essen bringst. Ich habe nicht damit gerechnet.«

»Machst du mir etwa Vorwürfe?«

»Ich mache dir seit Jahren keine Vorwürfe mehr, Marie-Anne. Wir sehen uns ja kaum noch.«

»Was liegt gegen dich vor?«

»Nichts.«

»Wieso haben sie dich dann verhaftet?«

»Ich weiss es nicht.«

»Gibt es eine Anklageschrift?«

»Nein, das ist wohl die Errungenschaft der Revolution. Wir brauchen keine Anklageschriften mehr. Hier unten schmoren Menschen, die zum Teil von Kindern verleumdet wurden.«

»Desmorets soll dir einen Anwalt besorgen.«

»Ich habe kein Anrecht auf einen Anwalt, Marie-Anne. Mittlerweile vegetieren sogar die Väter der Revolution hier unten, die Verfasser der Menschenrechte. Das Ganze ist aus dem Ruder gelaufen. Der Druck der Strasse ist so gross, dass jeder Gemässigte zu den Radikalen überlaufen muss, um zu überleben. Die Nationalversammlung folgt ihnen Tag für Tag, um nicht in den Ruf zu kommen, zu gemässigt zu sein. Jeder fürchtet, verhaftet zu werden.«

Beide schwiegen. Nach einer Weile sagte Marie-Anne: »Wenn wir uns nichts mehr zu sagen haben, gehe ich jetzt.«

Charles nickte. »Wir hatten über zwanzig Jahre Zeit, uns etwas zu sagen, Marie-Anne. Wir haben es nicht getan. Doch da ist etwas, was ich dir sagen will.«

Marie-Anne schaute ihn fragend an.

»Falls ich je wieder hier rauskomme, wird Dan-Mali bei mir wohnen. Uns vereint ja nur noch das gemeinsame Dach. Das kann so bleiben.«

»Eine Frau weiss, wann sie ihren Mann verloren hat. Ich wünsche dir, dass du hier unten vermoderst. Dann werde ich dafür sorgen, dass deine siamesische Schlampe unser Land verlässt.« Sie drehte sich um und verschwand im düsteren Korridor zwischen den Besuchern.

Eine Woche später wurde Charles erneut Antoine Fouquier vorgeführt.

»Hast du Namen?«, fragte er ohne Umschweife.

»Ich arbeite daran«, sagte Charles. Er wollte Zeit gewinnen.

»Kanntest du den Inhalt der Flugblätter, die in deinem Schuppen gedruckt wurden?«

»Nein«, sagte Charles, »ich habe Ihnen doch schon gesagt, dass sie behaupteten, Revolutionslieder zu drucken. Ich habe mir offen gestanden nichts dabei gedacht. Im Gegenteil. Ich dachte, es sei für diese jungen Menschen besser, sie hätten Arbeit und lungerten nachts nicht in den Gassen herum.«

»Wieso hast du nicht nachgeschaut?«

»Wieso hätte ich das tun sollen? Ich bin Vermieter. Ein Vermieter spioniert seinen Mietern nicht nach. Hätte ich denn jeden Abend ihre Druck-Erzeugnisse lesen sollen? Ist es dieses Versäumnis, das man mir vorwirft? Wie hätte ich ahnen sollen, dass sie Assignaten fälschen und Spottverse auf die Revolution drucken?«

Fouquier schüttelte sich vor Lachen, ohne dass ein Laut zu hören war. »Die Leute haben kein Geld für Brot, aber sie sollen Liedtexte kaufen? Du beleidigst meine Intelligenz.«

Charles zuckte die Schultern. »Ich erzähle Ihnen nur, was meine Mieter mir versicherten.«

»Und du wurdest nicht stutzig?«

»Wenn sie Flausen im Kopf haben, haben sie eben Flausen im Kopf. Wenn ich gewusst hätte, was sie tatsächlich drucken, hätte ich ihnen selbstverständlich den Schuppen nicht vermietet und sie gleich bei Ihnen angezeigt, Monsieur.«

Fouquier lächelte. Es gefiel ihm, dass Charles ihn nun mit Monsieur anredete. Mit einer gewissen Belustigung musterte er den Hünen, der ihm gegenüberstand und auf sein Wohlwollen angewiesen war. Während ihn alle Welt fürchtete, war er jetzt hier und kämpfte um seine Freiheit.