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»Nun gut«, sagte Fouquier, »die jungen Kerle sind fast alle geflohen, als wir den Schuppen stürmten. Wir haben eine Menge Assignaten gefunden. Wir wissen noch nicht, ob das Fälschungen aus England sind oder ob sie in deinem Schuppen gedruckt wurden. Dass junge Leute über so viel Papiergeld verfügen, halten wir eher für unwahrscheinlich. Das Ergebnis der laufenden Untersuchung hängt natürlich auch ein bisschen davon ab, ob dir noch der eine oder andere Name einfällt. Nimm es also nicht auf die leichte Schulter, sonst wird dein Sohn Henri plötzlich die unangenehme Pflicht haben, seinen Vater hinzurichten. Also erinnere dich, hör dich um, und melde mir Namen.«

Charles nickte.

»Du kannst gehen. Du bist frei. Vorläufig. Und beeil dich mit der neuen Maschine. Wir haben hier jeden Tag mehr Verurteilungen.«

Charles nickte erneut und drehte sich um. Als er gerade die Tür öffnen wollte, fragte Fouquier: »Kanntest du Hentz?«

»Den Henker aus dem Elsass?«

»Ja, der wurde letzte Woche hingerichtet. Selbst der Henkersberuf schützt niemanden.«

Charles stieg in den Hof der Conciergerie hinunter und fragte die Stallburschen nach seinem Pferd. Hentz’ Geschichte war ihm bekannt. Fouquier hatte nicht alles erzählt. Hentz hatte jeweils die Leichname enthaupteter Frauen vergewaltigt.

Ein Stallbursche reichte ihm die Zügel. Charles wollte gerade aufsteigen, als eine Kutsche ihm den Weg versperrte. Ein Diener öffnete die Tür. Doktor Louis stieg aus. »Oh, Monsieur de Paris«, sagte er, »wir können die Maschine bauen, aber der Zimmermann Guédon verlangt fast sechstausend Livre pro Maschine. Das ist der Staatsanwaltschaft zu teuer. Guédon meint, kein Mensch wolle so etwas bauen, deshalb sei der Preis so hoch.«

»Tobias Schmidt baut die Maschine für dreihundert Livre«, sagte Charles, »für den Leinensack will er gut zwanzig Livre extra.«

»Er soll noch heute damit anfangen«, sagte Doktor Louis und nahm die Treppe zu Fouquiers Büro. Er wollte nicht zu lange zusammen mit dem Henker gesehen werden.

Charles ging wieder seiner Arbeit nach. Wenn er nachts nicht schlafen konnte, schrieb er die Ereignisse in sein Tagebuch. Doch wohl war ihm nicht mehr dabei. Er überlegte, ob er die Tagebücher verbrennen sollte. Ihr Inhalt würde für ein Strafverfahren ausreichen. Aber er brauchte sie: Während die Bürger von Paris in Angst erstarrten und sich unsichtbar machten, griff Charles immer öfter zur Feder und schrieb heimlich nieder, was niemand mehr niederzuschreiben wagte. Er überschrieb die Aufzeichnungen mit Erinnerungen im Dienste der Französischen Revolution.

Eines Tages erwartete ihn Dan-Mali in der Pharmacie. Sie stand etwas verloren herum und schaute sich die Schalen mit den zerstampften Blüten und Wurzeln an. Als sie Charles sah, stürzte sie mit weit geöffneten Armen auf ihn zu, umarmte ihn und küsste ihn. Nach einer Weile sagte sie: »Ich habe Schmerzen.« Charles bat sie, sich hinzulegen. Die Wunde war verheilt. Doch plötzlich sah er blaue Verfärbungen an der Taille. Er zog ihr das Kleid aus. Sie hatte zahlreiche Blutergüsse, als wäre sie mit einem Dreschflegel verprügelt worden.

»Wer hat das getan?«, fragte Charles bebend vor Zorn.

»Ich bin gestürzt«, log Dan-Mali.

»Ich kann Wunden lesen, also lüg mich nicht an.«

»Pater Gerbillon. Aber es ist meine Schuld. Ich habe geweint, als er mir mitteilte, dass ich dich nie mehr sehen darf. Jetzt muss ich immer bei ihm bleiben, putzen, kochen, auf den Markt gehen. Und nachts muss ich in seinem Bett schlafen. Das ist aber nicht der Wille meines Königs in Siam. Der Pater zwingt mich, Dinge zu tun, die unrein sind.«

»Hilft dir denn keiner der anderen Patres?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein, die saufen, als gäbe es kein Morgen mehr. Sie erwarten den Tag des Jüngsten Gerichts. Sie haben Angst vor Pater Gerbillon. Er hat zu viel Einfluss. Er verkehrt im Château der Madame Gourdan mit den mächtigen Männern.«

»Pater Gerbillon«, murmelte Charles wie zu sich selbst.

Dan-Mali nickte. »Was hast du vor?«

Noch am selben Tag besuchte Charles das Etablissement in der Rue des Deux-Portes.

»Besondere Wünsche, Monsieur?«, fragte eine Spanierin in gebrochenem Französisch.

»Pater Gerbillon?«, flüsterte Charles.

»Madame Gerbillon?«, fragte sie und führte ihn in einen unbekannten Saal. Die Menschen trugen hier keine dunklen Bademäntel, sondern vornehme Kleidung für eine Soiree. Die Spanierin zeigte diskret auf eine Frau, die sich mit einer jungen, nackten Blonden unterhielt.

»Das ist eine Frau«, sagte Charles.

»Er trägt am liebsten Frauenkleider«, sagte Gorsas, der plötzlich neben Charles stand. »Keiner weiss, was in Siam mit dem Mathematiker des Königs geschehen ist. Sicher ist, dass er dort nicht seine Zeit verbracht hat, um den Sternenhimmel zu beobachten und neue Seekarten zu entwerfen. Er geniesst Schutz, weil er unsere Herren Revolutionäre mit siamesischen Mädchen versorgt.« Charles wandte sich ab. Gorsas folgte ihm. »Monsieur, Sie nehmen mir doch hoffentlich meinen kleinen Artikel über die Druckerei der Royalisten nicht übel. Die Leser mögen solche Geschichten.« Gorsas gab der Spanierin einen Wink zu verschwinden. »Überlassen Sie mir Ihren Gast.« Er nuckelte an seiner Pfeife. »Schauen Sie, dort drüben, Robespierre. Er kann es nicht ausstehen, dass Saint-Just dieselbe Frau begehrt. Wenn diese Rivalität nicht bald aufhört, wird die Revolution scheitern. Wegen einer Nutte.«

Charles musterte Gorsas skeptisch. Er hatte sich verändert. Seine Mimik drückte Spott und Verachtung aus.

»Es sollte Dinge geben, Monsieur de Paris, die für einen Mann wichtiger sind als eine junge Hure. Seine Tonpfeife zum Beispiel.« Er nahm die Pfeife aus dem Mund und hustete. »Eine Nutte kann man sich teilen, aber nicht eine Tonpfeife.«

Charles schenkte dem Journalisten keine allzu grosse Beachtung mehr. Er beobachtete die ungelenken Balzspiele von Robespierre und Saint-Just.

»Kennen Sie Saint-Just?«

Charles schüttelte den Kopf.

»Ich habe einige seiner Hetzreden in der Nationalversammlung gehört. Er kommt aus der tiefsten Provinz. Sein Ehrgeiz ist grenzenlos, sein Talent hingegen erbärmlich. Ein Versager wie sein vergötterter Robespierre, er gibt nichts her. Schauen Sie ihn genau an. Ist das ein richtiger Mann? Ein Kind mit einem alten Gesicht. Kommen Sie.« Gorsas führte Charles zu Saint-Just und Robespierre.

»Was macht die Schriftstellerei?«, fragte Gorsas und grinste Saint-Just offen ins Gesicht. »Sie könnten doch ein Dekret in Versform verabschieden, das die Pariser Verlage zwingt, Ihre Gedichte zu publizieren.«

Saint-Just warf Gorsas einen abschätzigen Blick zu. »Nimm dich in Acht, Bürger Gorsas. Auch wenn du kein Royalist bist, geniesst du deswegen noch lange keine Narrenfreiheit.«

»Oh, sind unsere Revolutionäre jetzt so unantastbar, wie es einst unsere Könige waren?« Gorsas griff in seine Tasche und nahm ein Dokument hervor. Er legte es vor Saint-Just auf den Tisch. »Olympe de Gouges hat es geschrieben. Gestützt auf die Menschenrechte, hat sie ein Pamphlet verfasst mit dem Titel Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin und verteilt es jetzt in den Strassen von Paris.«

Saint-Just las einige Zeilen und murmelte: »›Die Frau wird frei geboren und ist dem Mann in allen Rechten gleich.‹ Da muss sie etwas missverstanden haben.«

Robespierre nahm ihm das Pamphlet aus der Hand und zerriss es.

Gorsas lachte. »Ich fürchte, das wird nicht reichen.«

»Kommen Sie bloss nicht auf die Idee, das zu drucken, sonst schicke ich Sie …«

»Wo bleibt da die Pressefreiheit, Bürger Robespierre?«

»Man kann die Pressefreiheit auch missbrauchen, um das Volk aufzuwiegeln, Bürger Gorsas.« Robespierre fixierte ihn mit strengem Blick.

»Und welche Rechte haben die Neger in den französischen Kolonien? Gelten die Menschenrechte auch für sie?«