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»Das Gespräch ist beendet, Gorsas. Eines Tages wird Ihnen noch die Spucke wegbleiben.«

»Dann werde ich wohl in den Sack spucken«, meinte Gorsas grinsend.

»Gorsas, das Problem ist: Plötzlich wollen alle regieren, und keiner will mehr Bürger sein«, seufzte Saint-Just.

Ein Vorhang wurde beiseitegeschoben, und eine imperiale Erscheinung betrat den Saal. Es war Danton, der grosse Polterer mit dem breiten Pockennarbengesicht und den wulstigen Lippen. Er gab seiner Begleiterin einen Klaps auf den Hintern und ging auf Saint-Just zu. »Der Lohn eines siegreichen Revolutionärs muss ein Luxusleben sein, findest du nicht auch?«

Saint-Just winkte ab. Robespierre griff blitzschnell nach einem schwarzhaarigen Mädchen mit Pagenschnitt und erhob sich. Er nahm sie bei der Hand und führte sie in eins der Séparées.

»Die Schöne hat sich für die Macht entschieden«, sagte Gorsas zu Saint-Just, »nicht für die Jugend, nicht für das Geld.«

Saint-Just erhob sich ebenfalls und folgte Robespierre. Danton wandte sich ab und ging zur Bar.

»Dieser Saint-Just. Er ist ein Narzisst, der sich unbewusst an der Monarchie rächen will, weil sie ihm trotz aller Bemühungen die Türen von Versailles verschlossen hielt. Das ist meine Theorie, Monsieur de Paris.«

»Was wissen Sie über den Mathematiker des Königs?«, fragte Charles diskret.

»In Siam haben sie einen Transvestiten aus ihm gemacht. Es hat ihm offenbar gefallen, wie die Menschen dort bei Zeremonien herumlaufen. Dann ist er mit zwölf siamesischen Austauschschülern und -schülerinnen nach Paris zurückgekehrt, und eine dieser kleinen Siamesinnen scheint ihm so gut gefallen zu haben, dass er sie gleich für sich beansprucht hat. Das ist wie mit unseren Revolutionären. Was sie beschliessen, gilt nur für die andern. Können Sie sich das vorstellen?«

»Wenn Sie Strafurteile vollstrecken, können Sie sich alles vorstellen. Ich habe damals Damiens hingerichtet …«

»Ich erinnere mich sehr wohl, mein Gedächtnis ist mein Kapital«, sagte Gorsas, »nichts entgeht mir, und dieses falsche Weibsbild muss sich in Acht nehmen. Er wird als Nächster auf dem Schafott enden.« Er ging zur Bar.

Charles beobachtete, wie Pater Gerbillon mit einem blutjungen Mädchen kokettierte. Er spürte einen immensen Hass in sich aufsteigen und wandte sich ab. Und einmal mehr schockierte ihn die neue Willkür, die sich in Paris breitmachte. Die Revolutionäre hatten den Thron der Könige bestiegen. Im Ausland sprach man schon von den Armeen Robespierres.

»Charles!«, rief jemand. Er drehte sich um. Es war Pater Gerbillon mit dem Mädchen. »Welch eine Überraschung, ich dachte, Sie mögen eher siamesische Prinzessinnen. Haben Sie Geduld. Eine Schiffsladung ist unterwegs.« Der Pater lachte. Er hatte nicht die geringsten Hemmungen. Er war sich sicher, dass er den Schutz der Revolutionäre genoss, und ein Henker war zu unbedeutend, als dass man sich vor ihm zu genieren brauchte.

»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Charles beunruhigt.

»Ich hab’s Ihnen doch schon erklärt. Die Revolution hat die Kirche in Armut getrieben. Womit sollen wir also unser Klosterleben finanzieren?«

»Mit anständiger Arbeit«, gab Charles bissig zurück.

»Was ist schon anständige Arbeit? Ist Ihre Arbeit etwa anständig?«

»Beabsichtigen Sie, Dan-Mali in dieses Haus zu schicken?«

Pater Gerbillon lachte laut auf. »Würden Sie mir das zutrauen?« Er gluckste vergnügt. »Ich warne Sie. Die Liebe ist nur von kurzer Dauer, dann erwacht das Jagdfieber, und man sehnt sich nach der Illusion einer neuen Liebe. So hat uns Gott erschaffen. Übrigens: nach seinem Ebenbild. Können Sie sich vorstellen, wie der Kerl rumgebumst hat?«

Charles verzog keine Miene. »Ich habe Sie schon einmal gefragt, ob Dan-Mali bei mir arbeiten und wohnen kann.«

Der Pater schüttelte den Kopf und sagte mit grosser Bestimmtheit: »Dan-Mali beanspruche ich für mich allein. Sie gehört mir. Ich liebe ihre Küche.«

»Ich kann Ihnen Geld geben.«

Der Pater tat so, als hörte er das zum ersten Mal. »Endlich ein vernünftiger Vorschlag. Die Kirche braucht viel Geld, um ihre Hirten zu mästen. Ich werde darüber nachdenken. Wenn Sie mir eins versprechen …«

»Ja?« Am liebsten hätte Charles den Typ verprügelt.

»Denken Sie nicht schlecht über mich. Die Revolution hat Gott hinweggefegt. Jetzt können wir unsere Schweinereien ausleben, denn es gibt da oben keinen mehr, der Buch führt.« Er legte Charles den Arm auf die Schulter und flüsterte: »Ohne Gott gibt es keine Flüche mehr. Charles, Sie sind frei. Die Revolution hat Sie befreit.« Wieder lachte er lauthals und entfernte sich mit dem Mädchen.

10

Im Hof der Conciergerie thronte die Maschine. Ihre himmelwärts gerichteten senkrechten Balken warfen ihre schmalen Schatten auf die kleine Versammlung, die dem Spektakel beiwohnte. Man schrieb den 15. April 1792. Anwesend waren Doktor Louis und Doktor Guillotin, die Staatsanwälte Roederer und Fouquier sowie Charles mit seinen Gehilfen und seinem Sohn Henri. Das Gefängnispersonal hielt sich im Hintergrund. Etwas verspätet traf noch Gorsas ein, der von Fouquier mit einem wohlwollenden Nicken begrüsst wurde. Doch das Spektakel bestand vorerst aus einem schmutzigen Schaf, das wie von Sinnen um die Maschine herumrannte. Vergebens hatten Charles’ Gehilfen versucht, es einzufangen. Nun kamen ihnen einige Aufseher zu Hilfe. Gemeinsam gelang es ihnen, und sie banden es auf das Klappbrett. Dann brachten sie das Brett in die Waagerechte und schoben es unter das Fallbeil, das im gleichen Augenblick heruntersauste. Der Kopf des Schafes wurde mit einem sauberen Schnitt vom Rumpf getrennt. Das Blut spritzte über den Hof. Charles hatte nichts anderes getan, als den Metallschieber zu ziehen, der das Fallbeil arretierte. Alle waren sichtlich verblüfft angesichts der Schnelligkeit der Ausführung.

»Haben Sie Leichen?«, fragte Louis.

»Ja«, antwortete Charles und gab seinen Gehilfen ein Zeichen. Auf einem Schubkarren führten sie drei Leichen in den Hof, es waren Männer mit kräftigen Nacken. Der eine ein Selbstmörder, der andere ein Trinker und der Letzte ein im Duell getöteter Musketier des Königs. »Sie wurden uns von Krankenhäusern zur Verfügung gestellt.«

Die ersten beiden Leichen wurden schnell und sauber enthauptet, bei der dritten wollte Doktor Louis, dass die Gehilfen das Fallbeil austauschten und die halbmondförmige Schneide anbrachten, die man vor der Korrektur durch Louis XVI in Betracht gezogen hatte. Der Versuch misslang, sehr zur Genugtuung von Doktor Louis, der sich darüber freute, seinem König mitteilen zu können, dass er recht behalten hatte.

»Wie nennen wir diese Maschine nun?«, fragte Gorsas aus heiterem Himmel. »Es wird in Zukunft viele neue Maschinen geben. Deshalb braucht sie einen eigenen Namen. Louisette?«

»Das kommt nicht in Frage«, sagte Louis empört, »ich bin Arzt. Wie wäre es mit Guillotine?«

»Ich bin ebenfalls Arzt«, wehrte Guillotin ab. Die beiden wandten sich Charles zu.

»Sansonette?« Gorsas lachte.

»Ich bin nur der Arm der Maschine«, entgegnete Charles.

Gorsas schüttelte den Kopf. »Louisette würde mir gefallen, das klingt so melodiös.«

»Wieso nicht?«, sagte Fouquier. »Es gibt schliesslich viele Menschen, die den Namen Louis tragen.« Er lachte. Dann wandte er sich an Charles: »Bürger Sanson, ich habe mit Ihnen zu reden. Aber zuerst bringen Sie Pelletier unters Messer. Der Glückspilz. Er wird in die Geschichtsbücher eingehen als erster Mensch, der mit der Louisette hingerichtet wurde.«

Charles schnitt Nicolas Jacques Pelletier in der Conciergerie die schulterlangen Haare und entfernte den Hemdkragen, so dass der Nacken sichtbar und sauber war. Firmin und Barre halfen dem Verurteilten, sich ein blutrotes Hemd überzuziehen, und banden ihm anschliessend die Hände hinter den Rücken. Dann begleiteten sie ihn zum Karren, der für seine letzte Reise bereitstand. Pelletier hatte bei einem schweren Raubüberfall in der Rue Bourbon-Villeneuve achthundert Livre erbeutet. Dafür sollte er unter das Fallbeil.