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»Hm«, murmelte Hess und fuhr fort, sich in dem Saal umzusehen. An der linken Wand, gegenüber dem Lesepult, stand ein langer, schwerer Tisch, auf dem sauber eine ganze Menge länglicher Gegenstände ausgelegt waren, deren Länge zwischen etwa 15 Zentimeter und einem Meter schwankte und die alle ganz fest in rote Seide gewickelt waren. Auf den Einbänden waren Schriftzeichen zu erkennen, aber auch diese konnte Hess nicht entziffern. Neben dem Tisch war ein flacher Degenschrank an der Wand befestigt. Einige Stühle vervollständigten die Einrichtung. Offenbar setzte sich Ware bei der Arbeit nur selten. Den Boden bedeckte edles Parkett, und in der Mitte des Raumes sah man auf ihm noch immer halb verwischte Zeichen und Zeichnungen in farbiger Kreide. Als er das bemerkte, grunzte Ware ärgerlich.

»Die eingewickelten Instrumente sind alle vorbereitet, und ich würde sie lieber nicht bloßlegen«, sagte der Magier und schritt auf den Degenschrank zu, »aber ich habe natürlich immer eine ganze Garnitur von Reservewaffen zur Hand, und die kann ich Ihnen natürlich zeigen.«

Er öffnete die Tür des Schrankes und gab den Blick auf eine ganze Reihe von Klingen frei, die der Größe nach aufgehängt waren. Es waren insgesamt dreizehn. Einige waren ganz offenkundig Schwerter oder Degen, andere wieder sahen wie Ahlen und Schusterwerkzeuge aus.

»Auch die Reihenfolge, in der diese Waffen hergestellt werden, ist von Bedeutung«, sagte Ware, »denn, wie Sie sehen, tragen viele von ihnen Inschriften, und es macht einen Unterschied, mit welchem Instrument diese Inschrift hergestellt wird. Ich habe also mit einem unbeschriebenen Instrument begonnen — diesem hier: der Bolline oder Sichel, eines der am häufigsten gebrauchten Ritualinstrumente. Natürlich weichen die einzelnen Rituale voneinander ab. Das, nach dem ich vorgehe, erfordert, daß man mit einem Stück noch nie verwendeten Stahles anfängt. Dieser wird dreimal erhitzt und dann in einer Mischung aus Elsternblut und dem Saft eines ›Foirole‹ genannten Krautes gehärtet.«

»Das Grimorium Verum gibt Maulwurfsblut und den Saft der Pimpernelle als bestes Härtungsbad an«, bemerkte Hess.

»Ah, prächtig. Ich sehe, Sie haben sich in der Fachliteratur schon etwas umgesehen. Ich habe diese Mischung natürlich auch schon versucht, aber ich bekomme damit einfach keine so gute Schneide.«

»Ich finde, Sie könnten sicher eine noch bessere Schneide bekommen, wenn Sie das ganze Zeugs chemisch analysieren und herausbekommen, welche Verbindungen und Spurenelemente Sie brauchen und dann mit dieser Formel arbeiten«, sagte Hess.»Sie erinnern sich sicher daran, daß man Damaszenerstahl dadurch härtete, daß man die glühende Klinge einfach in einen Sklaven stieß. Das hat wohl die gewünschten Resultate gebracht, aber moderne Abschreckbäder sind eindeutig besser — und in Ihrem besonderen Fall müßten Sie nicht dauernd solche scheuen Tiere in größeren Mengen fangen müssen.«

»Die Analogie stimmt nicht ganz«, sagte Ware. »Sie hätten recht, wenn es hier nur um die Härtung von Stahl ginge, oder wenn es sich hier nur um eine Anwendung der Regel des Paracelsus handelte: Alterius non sit qui suus esse potest — man möge selbst tun, was man anderen nicht anvertrauen kann. In beiden Fällen ginge es um ein völlig praktisches Ziel, zu dem ich auch auf anderen Wegen gelangen könnte. In der Magie aber hat das Blutopfer noch eine andere Funktion — wir könnten sie die ›Härtung‹ nicht nur des Stahles, sondern auch des OPERATORS nennen.«

»Ich verstehe. Und ich nehme an, daß dies wohl auch einige symbolische Funktionen hat.«

»In der goetischen Kunst hat so gut wie alles Symbolbedeutung. Ebenso muß zum Beispiel, wie Sie vielleicht schon aus Ihrer Lektüre wissen, das Schmieden und Härten an einem Mittwoch erfolgen, und zwar entweder in der ersten oder der achten Tagesstunde oder aber in der dritten oder der zehnten Nachtstunde unter einem Vollmond. Auch hier dient eine Komponente einem unmittelbaren, praktischen Zweck — denn ich kann Ihnen versichern, daß die Planetenstunden tatsächlich ihren Einfluß auf das Erdengeschehen haben — der Rest aber hat psychologische Funktionen, nämlich die Pflege der Disziplin und des Gehorsams des OPERATORS bei jedem Schritt des Rituals. Die Grimoires und anderen Handbücher sind selbst im günstigsten Falle so wirr und widersprüchlich, daß man niemals genau wissen kann, welche Schritte wesentlich sind und welche nicht. Versucht man aber, die Zweifel durch Experimentieren zu lösen, so lebt man meist nicht sehr lange.«

»Schon gut«, sagte Hess. »Erzählen Sie bitte weiter.«

»Nun, als nächstes muß der Horngriff geformt und auf den Stahl gefaßt werden. Auch das muß zu einer ganz besonderen Stunde geschehen. Die abschließende Feinarbeit muß auch zu vorgeschriebenem Tag und entsprechender Stunde erfolgen. — Übrigens, da Sie früher ein anderes Härtungsbad erwähnt haben . . . Wenn Sie dieses Ritual verwenden, dann verschieben sich auch wieder Tag und Stunde. Und wieder stellt sich die Frage: Was ist essentiell und was nicht? Anschließend muß man eine Beschwörungsformel rezitieren, drei Salutationen und einen Abwehrzauber. Dann wird das Instrument besprengt, eingewickelt und beräuchert — nicht im modernen Sinn — ich will sagen: es wird parfümiert — und dann ist es gebrauchsfertig. Ist es einmal verwendet worden, so muß es entzaubert und neu geweiht werden. Das ist übrigens der Unterschied zwischen den eingehüllten Instrumenten dort auf dem Tisch und den Klingen, die hier im Schrank hängen.

Ich werde Sie nicht mit Einzelheiten über die Bereitung der anderen Instrumente langweilen. Jedenfalls fertige ich als nächstes die ›Feder der Kunst‹ an, darauf dann logischerweise die Tintenfässer und die Tinten, und ebenso logischerweise den Grabstichel. Die Federn liegen auf meinem Schreibtisch. Die Nadel in dem Heft hier ist der Grabstichel. Die übrigen Instrumente, wenn ich sie Ihnen anstatt in der Reihenfolge der Anfertigung lieber in der Folge nennen darf, wie sie hier hängen, sind das Messer mit dem weißen Griff, das — so wie die Sichel — beinahe ein Allzweck-Instrument ist. . . das Messer mit dem schwarzen Griff, das fast nur zum Umschreiben des Kreises verwendet wird . . . das Stilett, mit dem man vor allem die fürs Gerben verwendeten Holzmesser schnitzt ... den Stab oder den Sprengstock, der Name beschreibt ihn . .. die Lanzette — auch das versteht sich von selbst . .. der Krummstab, ein Lenkinstrument ähnlich dem Stab des Schäfers ... und schließlich die vier Schwerter, eins für den Meister und drei für seine Gehilfen, wenn er sich solcher bedient.«

Mit einem seitlichen, erlaubnisheischenden Blick neigte sich Hess vorwärts, um die Schrift auf den gravierten Instrumenten näher zu betrachten. Einiges davon war ganz leicht zu lesen. So etwa stand auf dem Schwert des Meisters das Wort MICHAEL auf dem Knauf, auf der Klinge aber war, in Richtung von der Spitze zum Heft, zu lesen: ELOHIM GIBOR. Andererseits aber war in die Klinge des Messers mit dem weißen Heft folgendes eingraviert:

Hess wies darauf und dann auf eine andere, aber gleichermaßen verwirrende und unleserliche Inschrift, die sich auf beiden Heftschalen des Stiletts, aber auch der Lanzette wiederholte:

»Was bedeuten diese Inschriften?«

»Bedeuten? Man kann wohl kaum sagen, daß sie heute noch etwas bedeuten. Es handelt sich um weitgehend korrumpierte hebräische Lettern, die ursprünglich verschiedene Gottesnamen bildeten. Ich könnte Ihnen sogar sagen, wie diese Namen einst lauteten, aber die Lettern haben längst keinen Sinngehalt mehr — sie müssen nur einfach da sein.«

»Aberglaube«, sagte Hess, und es fiel ihm dabei sein früheres Gespräch mit Baines ein, in dem er diesem Wares Bemerkung über Weihnachten interpretiert hatte.

»Absolut — im ursprünglichen Sinn des Wortes natürlich. Der Vorgang ist für die ›Kunst‹ so grundlegend wie, sagen wir, die Evolutionslehre und Entstehung der Arten für die Biologie. — Und wenn Sie sich nun hierher bemühen, möchte ich Ihnen noch Einblick in einige andere Aspekte gewähren, die Sie vielleicht interessieren dürften.«