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Diesem folgten dann noch neunundachtzig weitere. Ware war völlig ernst und nüchtern der Überzeugung (bekräftigt durch höllische Versicherungen, auf die er meinte, sich verlassen zu können), daß noch kein anderer Magier vor ihm eine solche Anzahl von Geistern und Dämonen unter seinem Einfluß vereinigt hatte. Freilich würden sich nach vierzig Jahren alle Namen ändern, und Ware würde dann die Erneuerung jedes einzelnen Vertrages erzwingen müssen. Das würde sich dann auch während der weiteren fünfhundert Jahre seines Lebens, die Ware noch als ganz blutjunger Weißer Magier von HAGITH erkauft hatte, regelmäßig alle vierzig Jahre wiederholen. Dennoch konnte man getrost sagen, daß Ware im Besitze dieses Buches wenigstens potentiell der reichste Mann der ganzen Menschheitsgeschichte war. Für jeden anderen allerdings wäre das Buch wertlos — außer höchstens als Kuriosum. Ohne LUCIFUGE ROFOCALE selbst zu zählen, bestanden diese Geister und Dämonen aus den siebzehn höllischen Erzengeln des Großen Grimoriums und aus den zweiundsiebzig Dämonen der Absteigenden Hierarchie, die einst in König Salomons erzenem Gefäß eingeschlossen gewesen waren. Es war ein wirklich fabelhafter Fang, denn jeder einzelne von ihnen war ja seinerseits wieder Herr über ganze Armeen und Heere von niedrigeren Geistern und über Tausende Millionen verdammter Seelen, deren es von Minute zu Minute mehr wurden. (Dieser Tage nämlich war so gut wie jeder verdammt. Es war die Entdeckung dieser Tatsache, die Ware zuerst davon überzeugt hatte, daß der Rebellion der Unterwelt tatsächlich Erfolg beschieden sein werde, und zwar nach seinen Schätzungen wahrscheinlich so um das Jahr 2000. Die zahlreichen offenkundigen Symptome chiliastischer Panik, die nun schon in der Laienwelt zu erkennen waren, würden zweifellos ihre Rechtfertigung finden, denn heute stürzte schon alles mit geradezu unmäßiger Hast in den Höllenrachen, ohne daß sie auch nur der Entschuldigung eines Antichrist bedurften, den sie hätten als ihren Verführer bezeichnen können. Wie die Dinge nun standen, müßte Jesus Christus selbst verstohlen und in der Hoffnung, unbeachtet zu bleiben, in eine Kathedrale kriechen, um dort eine Messe zu lesen, wie man es auf jenem berühmten Paneel von Hieronymus Bosch sieht. Die Zahl der Menschen, die den Namen Gottes nicht ohne verräterisches Stammeln aussprechen konnten — was ihnen übrigens bei ihren eigenen Namen auch geschah —, war inzwischen vom reißenden Strom zur Sintflut angewachsen. Es war bei all dem nur lächerlich, daß unter diesen Umständen kaum jemand wenigstens den möglichen Profit und Genuß in der diesseitigen, höllenhörigen Welt für sich in Anspruch nahm. Sie wußten nicht einmal, daß sie bereits auf der siegreichen Seite standen, oder auch nur, daß es überhaupt mehr als nur eine Seite gab. Kein Wunder also, daß Ware so relativ leicht so reiche Beute machen konnte.)

Wie aber Ware Baines bereits erklärt hatte, waren durchaus nicht alle Geister, deren Zeichen er im ›Buch der Bündnisse‹ hatte, für das geplante Experiment geeignet. Unter ihnen gab es zum Beispiel einige, die, wie etwa MARCHOSIAS, gehofft hatten, nach einer gewissen Zeitspanne wieder in die himmlischen Chöre der Engel zurückkehren zu können.

Ware besaß die grimmige Gewißheit, daß sie letztlich in dieser Hoffnung betrogen und ihren einzigen Lohn vom Kaiser des Abgrundes erhalten würden — eben jenen Lohn, der traditionsgemäß Opportunisten und egoistischen Karrieremachern zukommt. Einstweilen aber waren die Missetaten, zu denen man sie überreden oder zwingen konnte, nur von geringem Wert. Es lohnte kaum der Mühe, sie zu beschwören. Von einem, den Ware bereits Baines gegenüber erwähnt hatte, VASSAGO nämlich, hieß es im Kleineren Schlüssel und anderen okkulten Werken, er sei ›von Natur aus gut‹ — eine Eigenschaft, die ihm wahrhaftig nicht zur Empfehlung diente — und werde manchmal sogar von weißen Magiern beschworen. Wieder andere in der Hierarchie, wie zum Beispiel PHOENIX, beherrschten Aspekte der Wirklichkeit, die für Baines’ Auftrag wenig Bedeutung hatten.

Ware nahm also die ›Feder der Kunst‹ zur Hand und fertigte eine Liste an. Als sie vollständig war, fanden sich auf ihr achtundvierzig Namen. Gemessen an der Gesamtzahl der Gefallenen war dies wahrlich nicht viel, aber Ware meinte, diese Anzahl würde den Zweck leicht erfüllen. Er verschloß das Buch. Dann hielt er sich noch kurz beim Tor auf, um dessen Hüter mit Vorwürfen zu überhäufen und ein wenig zu quälen. Schließlich schritt er dann in den Ostermorgen hinaus, um mit seinen Tanisten zu proben.

Es schien Baines, als sei noch nie ein Tag für ihn so langsam vergangen wie dieses Osterfest. Nicht einmal die ›Generalprobe‹ konnte ihn ablenken oder ihm die Zeit verkürzen. Aber schließlich war auch dieser Tag vorbei, und es ward Nacht. Ware verkündete, er sei nun bereit.

Der Große Kreis, der sich nun auf dem Parkettboden des Refektoriums befand, ähnelte dem Kreis, den Ware zu Weihnachten aufgezeichnet hatte. Er war aber wesentlich größer, und auch viele Einzelheiten waren diesmal anders. Der Kreis selbst war aus Streifen gebildet, die Ware aus dem Fell des Opferlammes geschnitten hatte. Das Vlies war noch an der Haut, und die Streifen waren an den vier Hauptpunkten der Windrose an den Boden geheftet, und zwar, wie Ware erklärte, mit Nägeln aus einem Kindersarg. Im nordöstlichen Viertelkreis ruhte unter dem Wort BERKAIAL das Körperchen einer männlichen Fledermaus auf dem Streifen, die man in Blut getränkt hatte. Im Nordwesten lag, unter dem Wort AMASARAC, der Schädel eines Vatermörders; im Südwesten, unter dem Wort ASARADEL, das Gehörn einer Ziege, und im Südosten saß unter dem Wort ARIBECL Wares Kater. Ware hatte alle übrigens auch bei dieser Gelegenheit in das Geheimnis von Akhtois ›Diät‹ eingeweiht. (Wie dem überhaupt bei dieser ›Generalprobe‹ nichts sehr Wichtiges gelehrt wurde. Baines hatte dabei den Eindruck, der Hauptzweck, den Ware mit dieser Einführung verfolgte, sei, ihnen allen derartige Einzelheiten unerfreulichen Wissens zu eröffnen.)

Das Dreieck innerhalb des Kreises war mit einem Stück Magneteisenstein oder Hämatit gezogen. Unter seiner Basis befand sich eine Figur, die aus einem griechischen Chi und Rho bestand, die übereinander geschrieben waren. Diese Figur stand auf der Linie und zwar rechts und links von je einem Kreuz flankiert. Die anderen beiden Seiten des Dreiecks begrenzten die großen Kerzen aus jungfräulichem Wachs. Jeder der beiden Bodenleuchter stand in einem Kränzchen oder Krönlein aus Verbenen. Für die Operatoren — Ware, Baines und Hess (Jack Ginsberg und Pater Domenico würden außerhalb in eigenen Pentagrammen stehen) — waren innerhalb des Dreiecks drei Kreise gezeichnet, die miteinander durch ein Kreuz verbunden waren. Der nördliche dieser drei Kreise war mit auf den Boden gezeichneten Hörnern geschmückt. Am Scheitelpunkt des Dreiecks stand ein nagelneues Räuchergefäß, das mit frisch geweihter Holzkohle gefüllt war. Links des gehörnten Kreises, der natürlich für Ware bestimmt war, stand in bequemer Reichweite das Lesepult, auf dem das ›Buch der Bündnisse‹ lag.

Hinten im Raum, vor der verhangenen Tür, die zur Küche führte, befand sich ein zweiter Kreis, beinahe so groß, wie der erste, in dessen Mitte ein verhüllter Altar stand. Am Nachmittag noch war dieser Altar leer gewesen. Jetzt aber lag auf ihm der nackte Leib des Mädchens, das Ware ›Gretchen‹ zu nennen pflegte. Bis auf die Zeichnung war ihre Haut papierweiß. Baines schien alles darauf hinzudeuten, daß sie tot sei. Ein kleines Schleierchen aus violetter Seide — beinahe durchsichtig und um etwas geschlungen, das wie etwas zusammengeballtes Gewebe aussah — lag auf ihrem Nabel. Man schien auf ihrem Körper vieles mit roter und gelber Schminkfarbe geschrieben zu haben. Einige der Zeichen waren wohl astrologisch, andere sahen eher wie Ideogramme oder Kartuschen aus. Da Baines weder die Bedeutung noch auch nur die Herkunft dieser Zeichen kannte, erhöhten sie für ihn nur den Eindruck der Nacktheit des Mädchenleibes.