»Ja, das ist der ganze Preis. — Ich glaube, daß ich beinahe so reich bin wie Sie, Mr. Baines. Immerhin kann ich Schätze ebenso leicht finden wie die weißen Mönche — ja, sogar noch um ein ganzes Ende leichter und besser. Ich übernehme die Alimentenfälle überhaupt nur, um mir in der Öffentlichkeit einen gewissen Namen zu bewahren. In finanzieller Hinsicht sind sie ein reines Verlustgeschäft.«
»Von welchem Punkt an beginnt ein Honorar für Sie interessant zu werden?«
»Nun, für etwa fünf Millionen strenge ich mich schon ein bißchen an.«
Wenn dieser Mann ein Scharlatan war, dann ein grandioser. Baines sagte: »Bleiben wir also im Augenblick noch beim Fall meiner geschiedenen Frau. Oder besser: Nehmen wir an, daß mich dieser Fall nicht vom Standpunkt der Alimente her interessiert — was wirklich der Fall ist. Nehmen wir statt dessen an, daß ich nicht nur will, daß sie stirbt, sondern daß sie einen schweren Tod hat . . . daß sie eine ganze Menge leiden muß.«
»Dafür berechne ich nichts extra.«
»Warum nicht?«
»Mr. Baines«, sagte Ware geduldig, »darf ich Sie noch einmal daran erinnern, daß ich selbst ja kein Mörder bin. Ich berufe lediglich einen Agenten und gebe ihm seine Anweisungen. Ich halte es für sehr wahrscheinlich — ja, ich hege eigentlich gar keinen Zweifel daran —, daß jeder ›Patient‹, nach dem ich schicke, in einem Übermaß von Angst und Schrecken stirbt, das Ihre — und wahrscheinlich auch meine — Vorstellungskraft bei weitem übersteigt. — Sie haben aber ausdrücklich verlangt, der Mord solle ›ohne die leiseste Spur‹ ausgeführt werden. Damit meinen Sie doch wohl, daß man dann an der Toten keine ungewöhnlichen Merkmale feststellen können soll. Mir selbst ist es auch so lieber. Wie könnte ich Ihnen aber dann das Leiden und die verzweifelte Agonie (falls Ihnen daran gelegen ist) hinlänglich glaubwürdig nachweisen, um dafür dann auch einen Mehrbetrag zu fordern? — Oder sehen wir uns vielleicht die Sache einmal von der anderen Seite an, Mr. Baines. Ab und zu bittet ein ungewöhnlicher Scheidungsklient aus irgendeinem Rest von Gefühl oder Sympathie darum, sein früherer Ehepartner möge möglichst schmerzlos, ja vielleicht sogar süß und lieblich aus dem Wege geräumt werden. Ich könnte natürlich für so etwas ein Sonderhonorar verlangen — Erfolgshonorar natürlich, das heißt, wenn sich herausstellt, daß die Leiche keine Anzeichen von Krankheit oder Gewaltanwendung aufweist. Meine Agenten aber sind nun einmal Dämonen, und Süße und Mildtätigkeit gehören zu den Dingen, zu denen sie weder neigen noch zu denen man sie zwingen kann. Ich kann also auch diese Bedingung keinem Klienten zu Gefallen akzeptieren. Man zahlt mir für Tod, und Tod liefere ich, rasch und gründlich. Die näheren Umstände bleiben dem Agenten überlassen. Ich biete also meinen Kunden grundsätzlich nichts an, von dem ich nicht mit Sicherheit weiß, daß ich es auch liefern kann.«
»Gut, damit haben Sie meine Frage gründlich beantwortet«, sagte Baines. »Denken wir also nicht mehr an Dolores. Um die Wahrheit zu sagen: Sie belästigt mich nur am Rande— allerdings gibt es davon in meinem Leben noch mehr davon.
— Nun wollen wir aber einmal vom anderen Ende des Spektrums sprechen. Nehmen wir einmal an, ich würde Sie bitten... nach einem ... großen Politiker zu ›schicken‹. Sagen wir einmal zum Beispiel, den Gouverneur von Kalifornien — oder, falls der zu Ihren Freunden gehört, eben nach einer anderen vergleichbaren Gestalt unserer politischen Bühne, die nicht zu Ihrem Freundeskreis gehört.«
Ware nickte. »Nun, der ist ein ganz gutes Beispiel. Aber Sie werden sich erinnern, daß ich Sie nach Kindern gefragt habe. Wären Sie wirklich ein Alimentenfall gewesen, so wäre meine nächste Frage nach den überlebenden Verwandten Ihrer Frau gewesen. Meine Honorarsätze steigen in direktem Verhältnis zur Anzahl und Art der Menschen, die durch einen gegebenen Todesfall voraussichtlich betroffen werden. Das fällt teilweise unter das Kapitel ›Skrupel‹ — oder was ich so nenne —, zum anderen Teil aber in das Kapitel ›Notwehr‹. Im Falle eines noch im Amt befindlichen Gouverneurs eines Staates würde ich einen Dollar pro Stimme verlangen, die er bei der letzten Wahl erhielt. Wozu dann selbstverständlich noch meine Selbstkosten und Spesen kommen würden.«
Baines pfiff bewundernd durch die Zähne. »Sie sind der erste Mensch, dem ich begegne, dem es gelungen ist, ein System zu entwickeln, bei dem Skrupel zu barem Geld werden. Jetzt verstehe ich auch, warum Ihnen an Alimentenfällen nichts gelegen ist. Eines Tages, Mr. Ware —«
»Doktor Ware, wenn ich bitten darf. Ich bin Doktor der Theologie.«
»Entschuldigen Sie. Ich wollte nur sagen, daß ich Sie eines Tages fragen werde, wozu Sie so viel Geld wollen. Euch Ästheten fällt ja nur selten eine vernünftige Verwendung dafür ein. Inzwischen allerdings betrachten Sie sich als angestellt und beauftragt. Ist die ganze Summe im voraus zahlbar?«
»Die Spesentangente ist im voraus zu entrichten. Das Honorar selbst C.O.D. — also bei zufriedenstellender Ausführung des Auftrages. Es wird Ihnen einleuchten, wenn Sie nur einen Augenblick darüber nachdenken, Mr. Baines —«
»Doktor Baines — ich bin Doktor der Rechte.«
»Nun muß ich mich meinerseits bei Ihnen entschuldigen. — Nach all diesen Höflichkeitsformeln möchte ich nun nur noch, daß Sie sich darüber klar werden, daß es noch nie — noch niemals bisher — jemandem gelungen ist, mich um mein Honorar zu prellen.«
Baines dachte kurz daran, was angeblich bis übermorgen hinter seinem Rücken stehen würde. Vorbehaltlich der Analyse der goldenen Tränen auf seinem Taschentuch war er bereit, zu glauben, daß es unklug wäre, Ware zu betrügen. Er hatte das freilich auch gar nicht vorgehabt.
»Gut«, sagte er. »Aus den gleichen Gründen brauchen wir wohl auch keinen Vertrag. Ich erkläre mich mit Ihren Bedingungen einverstanden.«
»Meine Bedingungen wofür?«
»Nun«, sagte Baines, »wir können es für den Anfang einmal mit dem Gouverneur von Kalifornien versuchen. Jack wird die verbleibenden Details mit Ihnen regeln. Ich muß leider heute nacht noch nach Rom zurück.«
»Sie haben doch gesagt ›für den Anfang einmal‹?«
Baines nickte kurz. Ware erhob sich nun gleichfalls und sagte: »Gut also. Ich stelle keine Fragen. Ich halte es aber für fair, Mr. Baines, Ihnen jetzt schon zu sagen, daß ich Sie bei dem nächsten Auftrag dieser Art fragen werde, was Sie denn eigentlich wollen.«
»Zu diesem Zeitpunkt«, sagte Baines, der nur mühsam seiner Erregung Herr wurde, »werden wir uns einander allerdings gegenseitig anvertrauen müssen. — Ja, noch etwas, Dr. Ware: Wird der — hm — Dämon auf meinem Rücken zur gegebenen Zeit von selbst verschwinden, oder muß ich Sie dann wieder aufsuchen, um ihn entfernen zu lassen?«
»Er ist nicht auf Ihrem Rücken«, sagte Ware, »und er wird von selbst verschwinden. Was immer Marlowe auch geschrieben haben mag: Das Elend liebt die Gesellschaft nicht.«
Baines entblößte seine Zähne. »Das werden wir erst noch sehen«, sagte er dann.
2
Einen Augenblick lang fühlte Jack Ginsberg jenes kurze, seltsame Gefühl des Mannes, der nicht recht weiß, was eigentlich los ist, und der daher glaubt, man sei vielleicht eben dabei, ihn hinauszuwerfen. Es war, als habe ihn etwas irrtümlich verschluckt und begebe sich nun daran, ihn — ganz ohne bösen Willen — wieder zu erbrechen.
Während er noch darauf wartete, daß sich die Übelkeit des Ungeheuers wieder legen würde, durchlief Jack das Repertoire seiner Rituale: er befühlte seine Backen, ob es dort wohl Bartstoppeln gäbe, nestelte an seinen Bügelfalten, ging im Geiste die Abrechnungen der letzten Woche durch und dachte vor allem wie meist in solchen Zwischenperioden daran, wie wohl das neue Mädchen aussehen würde, wenn es — nur in Strümpfen — vor ihm hockte. Nichts Besonderes, wahrscheinlich. Die Wirklichkeit war fast immer von fleischlichen Unbequemlichkeiten eingeengt, von lächerlichen kleinen Idiosynkrasien, die er in der Fantasie mühelos vom reinen geschauten Bild trennen konnte.