Pater Domenico breitete die Hände aus: »Diese Frage kann ich natürlich nicht beantworten. Obwohl ich natürlich, wenn du es wünschest, Vater, das Was-immer-es-ist selbst zu beschwören versuche und ihm das Problem vorlegen kann. Aber du weißt selbst nur zu gut, wie leicht es möglich ist, daß ich den falschen erwische — und wie schwer es auch ist, die rechte Frage zu stellen. Die großen Gouverneure scheinen keinerlei Zeitsinn — so wie wir ihn verstehen — zu besitzen, und was die Dämonen anlangt, nun, selbst wenn wir Macht über sie haben, so wissen sie doch oft wirklich nicht so recht, was außerhalb ihres ureigensten Macht- und Wirkungsbereiches los ist.«
»Das ist leider völlig richtig«, sagte der Direktor, der selbst die Kunst auch schon seit Jahren nicht mehr ausgeübt hatte. Einst war er selbst für alles Magische hochbegabt gewesen, aber der Verlust fähiger wissenschaftlicher Experimentatoren an rein administrative Positionen war ja der Fluch aller Forschungsinstitute. »Ich glaube, du solltest weder deine Verwendbarkeit noch auch deine unsterbliche Seele dadurch aufs Spiel setzen, daß du versuchst, einen Geist zu beschwören, den du nicht zu nennen vermagst. Pater Ucello andererseits sollte wissen, daß es nichts gibt, das wir gegen Ware unternehmen könnten. — Oder schlägt er am Ende etwas Konkretes vor?«
»Er möchte, daß wir Ware einen Beobachter schicken«, sagte Pater Domenico mit leicht schwankender Stimme. »Wir sollen jemanden direkt nach Positano schicken, jemanden, der bei Ware bleibt, bis wir wissen, was er vorhat. Es steht gerade noch in unserer Macht, das zu tun. Pater Ucello dagegen kann das natürlich nicht. Bleibt nun die Frage: Wollen wir es tun?«
»Hm, hm«, machte der Direktor, »selbstverständlich nicht. Das würde uns zugrunde richten — natürlich nicht finanziell, obwohl auch diese Seite schon schwer genug ins Gewicht fällt. Aber wir können es uns nicht leisten, einen Novizen zu schicken, sondern wir müssen den besten Mann nehmen, den wir haben, und nach weiß Gott wie vielen Monaten in dieser höllischen Atmosphäre . . .«
Er ließ, was bei ihm oft der Fall war, den Satz unvollendet. Pater Domenico hatte längst gelernt, diese Sätze selbst zu beenden. Natürlich konnte Monte Albano es sich nicht leisten, einen seiner besten Operateure durch längerwährende Berührung mit der Person und den Taten Theron Wares unfähig — der Fachausdruck lautete ›verseucht‹ — zu machen.
Dennoch aber war Pater Domenico einigermaßen sicher, daß der Direktor doch jemanden nach Positano schicken würde. Sonst hätte er nämlich nicht alle auf der Hand liegenden Einwendungen erhoben, sondern Pater Ucellos Vorschlag rundweg und ohne Erklärungen abgelehnt. So sehr sie sich sonst auch über Pater Ucello lustig machten, wußten die beiden doch, daß es Fälle gab, wo sie ihn absolut ernst nehmen mußten. Dies war einer davon.
»Dennoch wird man die Sache überdenken müssen«, nahm der Direktor nach kurzer Pause den Faden wieder auf. Der Rosenkranz glitt durch seine Finger. »Ich glaube, ich muß Ware die übliche formelle Benachrichtigung zukommen lassen. Das bindet uns noch nicht, aber . ..«
»Richtig«, sagte Pater Domenico. Er steckte den Brief in seine Mappe und erhob sich. »Du wirst mich rufen lassen, wenn Wares Antwort eingetroffen ist. Ich bin froh, daß du mit mir darin übereinstimmst, daß die Sache sehr ernst ist.«
Nach einem weiteren Austausch von Förmlichkeiten verließ er gebeugten Hauptes das Büro des Direktors. Er wußte ganz genau, wen der Direktor zu dieser Mission entsenden würde; keine falsche Bescheidenheit konnte ihn darüber hinwegtäuschen. Und er fühlte in seinen Gliedern den Schrecken vor dieser Mission.
Er ging schnurstracks in sein Zaubergemach, die Turmstube, die kein anderer benützen durfte — alle Magie hängt in größtem Maße von der Persönlichkeit des ›Operateurs‹ und ihrem ungetrübten Einfluß ab — und in der es immer noch leise nach etwas wie Lavendelöl duftete, Spuren seiner letzten Benützung dieses Raumes. Mansit odor, posses sehe duisse deam, dachte er, nicht zum ersten Male. Aber er hatte durchaus nicht im Sinn, jetzt irgendeine ›Gegenwart‹ zu beschwören. Statt dessen ging er hinüber zu der Kassette aus getriebenem Metall, in der sein Exemplar des Enchiridon Leos III. aufbewahrt war. Es war die zweite Ausgabe aus dem Jahr 1606, die in nicht sehr veränderter Form jene seltsame Sammlung von Gebeten und ›anderen Instrumenten wirksam und tauglich gegen alle Gefahren für alle Arten von Menschen zu Land, zu Wasser, von offenen und verdeckten Feinden, von den Bissen wilder und tollwütiger Tiere, von Gift, Feuer und Stürmen‹ enthielt. Daran schloß sich der Rat, das Buch am Leib mit sich herumzutragen, um die größte Wirkung zu erzielen. Pater Domenico hatte sich bisher nur selten hinlänglich bedroht gefühlt, um zu riskieren, einen so seltenen und wertvollen Gegenstand mit sich herumzuschleppen. Überdies las er ohnedies jeden Tag wenigstens eine Seite davon, vor allem aus dem In principio betitelten Teil, einer Version des ersten Kapitels der Heiligen Schrift nach dem Evangelium Johannis.
Nun entnahm er das Buch der Kassette und öffnete es. Er schlug die Sieben Mysteriösen Gebete auf, den einzigen Teil des Werkes — ohne über die Wirksamkeit des übrigen Teiles etwas Negatives sagen zu wollen —, der wahrscheinlich tatsächlich aus der Hand des Papstes zur Zeit Karls des Großen stammte. Pater Domenico kniete mit dem Gesicht nach Osten nieder und begann, ohne auch nur einen Blick auf die Seite vor ihm zu werfen, das für Donnerstag bestimmte Gebet. Es ist wohl kein Zufall, daß es von diesem Gebet heißt, daß »Dämonen fliehen, wenn man es ausspricht^
4
Nach Rom zurückgekehrt, hatte Baines alle Hände voll zu tun, um so mehr, als Jack Ginsberg noch immer nicht zurück war. Jacks Bericht darüber, was die Analyse der goldenen Tränen durch die staatliche Scheideanstalt ergeben hatte, lag also immer noch unter hundert anderen Briefen und Papieren, und Baines bemühte sich nicht, ihn hervorzusuchen. Vorläufig jedenfalls betrachtete Baines diesen Bericht als Privatkorrespondenz, und er hatte eine strenge, selbst auferlegte Regel, in den Arbeitsstunden grundsätzlich niemals persönliche Korrespondenz zu öffnen, ob er sich nun in seinem Büro befand oder — wie hier — ein Hotelzimmer zu seinem Büro gemacht hatte.
Dennoch schwamm der Bericht am zweiten Tage aus dem Papierwust sozusagen nach oben, und da Baines auch prinzipiell nie Zeit an die Ablenkung unbefriedigter Neugier verlor, wenn es leicht war, sie zu befriedigen, las er ihn. Die Tränen auf dem Taschentuch waren tatsächlich 24karätiges Gold, zusammen im Wert etwa 11 Cents nach dem Tagespreis für Gold. Für Baines aber bedeuteten sie eine ungeheure Investition (oder, um die Sache von einer anderen Seite zu sehen: eine mögliche Investition im Ungeheuerlichen).
Befriedigt legte er den Bericht zur Seite und vergaß sofort völlig — oder doch beinahe völlig — darauf. Investitionen in Ungeheuerlichkeiten gehörten für Baines sozusagen mit zum Geschäft. Mit kaltem Zorn dachte er daran, daß diese Investitionen in letzter Zeit immer weniger eingebracht hatten. Daher auch sein Interesse an Ware, das die anderen Direktoren von Consolidated Warfare Service sicherlich für glatten Irrsinn gehalten hätten. Aber wenn einmal der Geschäftsgang nicht mehr zufriedenstellend war, war es schließlich nur natürlich, entsprechende Befriedigung auf anderen Gebieten zu suchen. In Baines Augen wäre der Irrsinnige jener, der versuchen würde, ein anderes Vergnügen — Frauen, Philanthropie, Kunstsammeln, Golf — als Ersatz zu suchen, etwas also, was keinerlei bewußte geistige Befriedigung versprach. Baines war seinem Beruf völlig verschrieben, und sein Beruf war Zerstörung. Diese Leidenschaft war durch, sagen wir, Golf ebensowenig zu sublimieren wie die Passion eines Malers oder Voyeurs.