›wunderbare Vermehrung‹ genannt. Baines hatte das immer für ein klassisches Beispiel dafür gehalten, wie manchmal das Offenkundige wegrationalisiert wird. Aber da sich nun für ihn herausstellte, daß es Zauberei und Magie wirklich gab, war vielleicht auch die wunderbare Vermehrung wirklich und echt gewesen . . .?
Aber es handelte sich hier ja nur um technische Details, für die er sich prinzipiell nicht interessierte. Für solche Sachen hatte er seine Angestellten. Immerhin, es könnte nicht schaden, jemanden im Betrieb zu haben, der sich mit der Methodik auf diesem Gebiet auskennen würde. Manchmal war es gefährlich, sich ausschließlich auf betriebsfremde Fachleute verlassen zu müssen.
»Schreiben Sie einen Scheck für Ware«, sagte er zu Jack. »Nehmen Sie’s aus meinem Privatkonto. Bezeichnen Sie es als Konsultationshonorar — am besten ›medizinisch‹. Wenn Sie ihm den Scheck schicken, vereinbaren Sie bitte gleich auch den Termin für einen weiteren Besuch — mal nachsehen — ja, gleich nachdem ich aus Riyadh zurück bin. Über die anderen Dinge werde ich mit Ihnen dann in etwa einer halben Stunde sprechen. Schicken Sie inzwischen Hess herein, aber warten Sie bitte draußen.«
Jack nickte und verließ den Raum. Einen Augenblick später trat Hess leise ein. Er war ein hochgewachsener, knochiger Mann mit leichtem Bauchansatz, buschigen Augenbrauen, einem kahlen Fleck an der Stelle, wo früher der Haarwirbel war, salz-und-pfefferfarbenem Haar und schmalem, spitzen Kinn, was seinem Gesicht ein beinahe dreieckiges Aussehen verlieh.
»Sind Sie an Zauberei interessiert, Adolph? Privater natürlich?«
»Zauberei? Davon weiß ich ein wenig. Trotz all des damit verbundenen Unsinns spielte Magie und Zauberei in der Wissenschaftsgeschichte doch eine sehr wichtige Rolle, vor allem Alchemie und Astrologie.«
»Mich interessiert jetzt weder das eine noch das andere. Ich spreche von Schwarzer Magie.«
»In diesem Fall muß ich verneinen, darüber weiß ich wirklich fast nichts«, sagte Hess.
»Nun, dann werden Sie einiges zu lernen haben. In etwa zwei Wochen besuchen wir einen echten Zauberer, und ich möchte, daß Sie mitkommen und seine Methoden studieren.«
»Sie wollen mich wohl auf den Arm nehmen?« sagte Hess. »Nein, das tun Sie ja eigentlich nie. Befassen wir uns also jetzt damit, Scharlatane zu entlarven? Ich bin nicht sicher, daß ich dafür der geeignete Mann bin, Baines. Ein berufsmäßiger Bühnenzauberer — ein Houdini-Typ — würde einem Schwindler viel leichter auf die Schliche kommen als ich.«
»Nein, nein, darum geht es ja gar nicht. Ich will diesen Mann einfach bitten, für mich einiges zu erledigen, in seinem Fachgebiet, und ich brauche einen guten Beobachter, der ihm dabei zusieht und aufpaßt, wie er es macht. Nicht um irgend etwas aufzudecken oder zu entlarven, sondern einfach, um sich ein klares Bild von den Methoden und Vorgängen zu machen — für den Fall, daß später mit dieser Geschäftsbeziehung etwas schiefgehen sollte.«
»Aber — nun gut, wenn Sie es wollen, Baines. Es kommt mir aber doch wie eine große Zeit Verschwendung vor.«
»Mir nicht«, sagte Baines. »Während Sie gemeinsam mit mir darauf warten, mit den Saudis zu verhandeln, können Sie sich vielleicht etwas in das Fach einlesen. Bis Jahresende möchte ich, daß Sie über das Thema Magie so gut Bescheid wissen wie ein Fachmann. Der Mann hat mir erklärt, daß das selbst für mich durchaus möglich wäre. Für Sie müßte es demnach eine Kleinigkeit sein.«
»Ich nehme nicht an, daß mein Hirn dem nicht gewachsen ist«, meinte Hess trocken, »aber es ist durchaus möglich, daß es für mich eine schwere Geduldsprobe ist. Aber schließlich sind ja Sie der Chef.«
»Stimmt. Also los!«
Im Hinausgehen nickte Hess Jack ohne Herzlichkeit zu. Die beiden hatten füreinander nicht viel übrig. Baines dachte manchmal, daß dies wohl zum Teil darauf zurückzuführen war, daß sie einander in mancher Hinsicht so ähnlich waren. Als sich die Tür hinter dem Wissenschaftler geschlossen hatte, zog Jack den Wachspapierumschlag aus der Tasche, der das Taschentuch mit den beiden verwandelten Tränen enthalten hatte und offenbar immer noch enthielt.
»Ich brauche das nicht«, sagte Baines, »ich habe ja Ihren Bericht. Schmeißen Sie das Zeug weg. Ich möchte nicht, daß jemand fragt, was es bedeutet.«
»Werde ich erledigen«, nickte Jack, »aber erinnern Sie sich bitte erst noch an das, was Ihnen Ware gesagt hat: Der Dämon würde Sie nach zwei Tagen wieder verlassen.«
»Richtig. Warum?«
»Sehen Sie sich das einmal an!«
Jack nahm das Taschentuch aus der Hülle und breitete es sorgfältig auf Baines Schreibunterlage aus: Auf der frischen Leinwand prangten nun, wo noch vor kurzem Gold gewesen war, zwei matte, verschmierte Streifen: unbestreitbar Blei.
5
Durch ein Versehen (wessen Schuld es war, konnte später nicht mehr festgestellt werden) gelangte Baines mit seiner Gruppe ausgerechnet zu Beginn des Ramadan in Riyadh ein, zu einer Zeit also, in der die Araber den ganzen Tag über fasteten und daher viel zu nervös und jähzornig waren, als daß man mit ihnen hätte verhandeln können. Nach neunundzwanzig Tagen folgte dieser Fastenzeit eine dreitägige Freß-, Trink- und Liebesorgie, während der sie zu benebelt waren, als daß man mit ihnen verhandeln konnte. Als aber dann endlich die Verhandlungen in Fluß kamen, dauerten sie nicht länger als die zwei Wochen, mit denen Baines von Anfang an gerechnet hatte.
Da der islamische Kalender sich nach dem Mondjahr richtet, ist Ramadan gegenüber dem Gregorianischen Kalender ein beweglicher Feiertag. Diesmal fiel Iid, das Fest, mit dem der Fastenmonat endet, in die Nähe von Weihnachten. Baines argwöhnte, Ware würde sich weigern, mit ihm zu einer für einen Satansdiener so ungeeigneten Zeit zusammenzutreffen. Ware aber erhob keine Einwände, sondern bemerkte nur (in einem Brief): »Der 25. Dezember ist ein uralter Festtag.« Hess, der sich schon pflichtgemäß in der magischen Literatur umgesehen hatte, interpretierte das so, daß Ware damit sagen wolle, Christus sei nicht tatsächlich an diesem Tage geboren — »Obwohl mir, in diesem Universum des Dialogs und der Reden, nicht recht einleuchten will, welchen Unterschied das macht«, sagte er. »Wenn heutzutage das Wort ›Aberglaube‹ auch nur noch eine Spur seiner ursprünglichen Bedeutung bewahrt hat, dann bedeutet das doch, daß das Zeichen — das Symbol — an die Stelle der Sache getreten ist, oder, mit anderen Worten: daß Tatsachen nun eben das bedeuten, was wir behaupten.«
»Nennen Sie es einen ›Beobachter-Effekt‹«, schlug Baines vor, und er meinte das nicht nur zum Spaß. Es war ihm nicht danach zumute, sich in dieser Sache mit Hess oder Ware in ein Streitgespräch einzulassen. Ware war bereit, ihn zu empfangen — das allein zählte.
Wenn aber der Zeitpunkt Ware offenbar keinerlei Schwierigkeiten machte, so war er doch sehr ungünstig für Pater Domenico. Der weigerte sich anfangs rundweg, Weihnachten sozusagen im Höllenschlund zuzubringen. Sowohl der Direktor als auch Pater Ucello mußten ihm erst lange zusetzen. Obwohl vor allem Ucellos Überredungs- und Überzeugungsgründe für Pater Domenico völlig voraussagbar waren, verfehlten sie doch nicht ihren Eindruck. Um eine volle Woche scholastischen Disputs kurz zu überspringen — die beiden überredeten ihn, wie Pater Domenico ohnedies schon zu Beginn vorausgesehen hatte.
Er mußte all seine Dienstbarkeit, seinen Gehorsam und seine Resignation aufbieten — sein Mut schien sich schon verflüchtigt zu haben —, als er schließlich hoch zu Maultier aus dem Kloster ritt. Man hatte ihm erlaubt, für die Zeit seiner Mission Schuhe zu tragen. Unter seinem Habit baumelte in einem neuen Ledersack das Enchiridon Leos III. von seinem Nacken. In einer sorgfältig auf dem Hals des Maultieres balancierten Tasche befand sich eine Auswahl von Pater Domenicos thaumaturgischen Werkzeugen — alle frisch geweiht, besprengt, beräuchert und in Seide gewickelt. Es war ein stiller Abschied — vor allem, da es an Zeremonie und Zeugen fehlte, denn nur der Direktor selbst wußte, warum Pater Domenico die Reise antrat, und auch ihn hatte man nur mit Mühe davon abbringen können, zur Tarnung von Domenicos Mission das Gerücht auszustreuen, er sei aus dem Orden ausgestoßen worden.