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Andara gab mir keine Zeit, dem schrecklichen Verfall weiter zuzusehen. Er packte mich an der Schulter, riß mich herum und zog mich mit sich, weiter auf die Reling und den Wald peitschender Tentakeln zu.

Die Matrosen wurden unbarmherzig zurückgedrängt. Sie wehrten sich mit dem Mut der Verzweiflung, und trotz ihrer schier unglaublichen Regenerationsfähigkeit war ein Großteil der Krakenarme von Wunden übersät. Das Deck brodelte unter dem ätzenden Blut der Bestie, und unter den Männern war keiner, der nicht bereits eine Unzahl mehr oder weniger schwerer Verätzungen davongetragen hatte. Und aus dem Meer tauchten mehr und mehr der gewaltigen, grünen Fangarme auf.

Andara schwang seinen Degen. Die Klinge traf einen Fangarm, der sich gerade um die Beine eines Mannes gewickelt hatte, schnitt ihn glatt in zwei Teile und durchtrennte noch in der gleichen Bewegung einen zweiten Tentakel, der wie ein angreifender Raubvogel von oben auf uns herabstoßen wollte. Die Wirkung war die gleiche wie beim ersten Mal - die schuppige Haut des Ungeheuers begann sich zu kräuseln und zu verdorren; der Arm starb.

Und trotzdem waren es nicht mehr als Nadelstiche, die Andara der Masse der Ungeheuer zufügen konnte. Selbst mit einem Dutzend solcher Waffen, wie er sie besaß, wäre es nicht möglich gewesen, die ungeheure Menge grüner Schlangenarme zurückzudrängen, die aus dem Meer emporstieg. Wenn es Kraken waren, die das Schiff angriffen, dann mußte es eine ganze Armee sein.

Während rings um uns herum die Männer zurückwichen, näherten wir uns Schritt für Schritt der Reling. Andara zerrte mich unbarmherzig mit sich, während er wie rasend auf den Wald von Armen einschlug, der uns den Weg versperrte. Das Schiff erzitterte unter unseren Füßen, und ich spürte, wie sich der Boden langsam, aber unbarmherzig zu senken begann. Der Zug Hunderter und Aberhunderter von Tentakeln begann sich bemerkbar zu machen. Die LADY OF THE MIST hatte bereits eine spürbare Schlagseite - und aus dem Meer tauchten immer mehr der schleimigen, grünen Dinger auf, um am Rumpf des Schiffes Halt zu suchen und es langsam in die Tiefe zu zerren.

Endlich erreichten wir die Reling, oder das, was davon übrig geblieben war. Das Meer war verschwunden. Alles, was ich sah, war eine brodelnde Masse aus Grün und kochendem, weißen Schaum. Wir schienen von einem Wald geifernder Arme und schnappender Haifischmäuler umgeben zu sein.

Aber nicht einer von ihnen berührte uns.

Es war nicht allein Andaras Degen, der sie zurückdrängte. Die Waffe wütete furchtbar unter den Angreifern, und trotzdem hätten sie uns allein mit ihrer ungeheuren Zahl erdrücken können. Aber irgend etwas hielt sie zurück. Immer wieder zuckte ein Tentakelende auf Andara oder mich herab, öffnete sich ein schnappendes Dämonenmaul, peitschte ein Arm mit der Gewalt eines angreifenden Elefanten auf uns zu - und immer wieder schien er im letzten Moment gegen eine unsichtbare Mauer zu prallen und sich mit einer fast schmerzhaften Bewegung zurückzuziehen. Es war, als wären Andara und ich von einer unsichtbaren, aber undurchdringlichen Barriere umgeben, die die Unheimlichen nicht überwinden konnten.

Andara ließ meinen Arm los, schlug nach einem Tentakel, der sich um sein Bein zu ringeln versuchte, drehte sich plötzlich herum und drückte mir die Waffe in die Hand.

»Paß auf!« keuchte er. »Wenn mir etwas geschieht, dann versuche dir deinen Weg freizukämpfen. Vielleicht läßt er vom Schiff ab, wenn er mich hat!«

Ich kam nicht dazu, ihn zu fragen, worauf ich aufpassen sollte oder wen er mit er meinte. Andara wirbelte abermals herum, riß in einer beschwörenden Geste die Arme über den Kopf und stieß die geballten Fäuste gegen das Meer.

»Halte ein!« rief er. Seine Stimme war wie Donner, der plötzlich über das Meer rollte, laut, unglaublich laut und befehlend, von einer solchen Kraft, daß ich mich wie unter einem Hieb krümmte und die Hände gegen die Ohren schlug.

»Halte ein!« rief er noch einmal. »Ich, Roderick Andara, ein Träger der Macht, befehle es dir! Hör auf zu töten und geh zurück dorthin, woher du gekommen bist!«

Das Toben der Tentakel hörte auf. Noch immer waren wir von einem wahren Wald der gigantischen grünen Arme umgeben, und immer noch tauchten weitere aus dem Meer auf, klammerten sich an die Reling oder saugten und bissen sich am blanken Holz des Decks fest, aber ihre Bewegungen wurden deutlich langsamer.

»Geh!« schrie Andara. »Geh zurück! Verlasse diesen Ort! Ich trage das Stigma der Macht, und du mußt mir gehorchen! Geh! ICH BEFEHLE ES DIR!«

Und das Unglaubliche geschah!

Eine zitternde, schwerfällige Bewegung lief durch die Masse der Tentakel. Erst einer, dann immer mehr und mehr der schuppigen Arme kroch über das Deck zurück ins Meer, und wieder schien der Ozean zu kochen. Die unheimlichen Angreifer zogen sich zurück, langsam und widerwillig zwar, aber sie wichen, gezwungen von einem Willen, der stärker war als ihr eigener. Das Meer rings um die LADY verwandelte sich in einen kochenden Pfuhl voller dunkler Schlangenleiber und blasigem Schaum. Dicht neben uns regneten die zermalmten Überreste der Pinasse herab, als auch dort die Tentakel ihre Griffe lockerten und zurück in die Hölle glitten, aus der sie hervorgekrochen waren. Die LADY zitterte spürbar, als sich der Würgegriff von ihr löste.

»Geh!« befahl Andara noch einmal. »Geh und kehre nie wieder an diesen Ort zurück!«

Mir wurde schwindelig. Wenige Meter neben dem Schiff versank der letzte Schlangenarm sprudelnd im Meer, und für einen ganz kurzen Moment glaubte ich, tief unter dem Schiff etwas Gigantisches, Dunkles zu erkennen, aber mir fehlte die Kraft, den Gedanken weiter zu verfolgen. Zum zweiten Mal überfiel mich Schwäche, aber jetzt war es zehnfach so schlimm wie beim ersten Mal. Ich stöhnte. Der Degen entglitt meinen Händen und polterte zu Boden. Das Schiff begann sich um mich herum zu drehen, und als Andara sich mit einer erschrockenen Bewegung zu mir umwandte und mich auffing, begann sein Gesicht vor meinem Blick zu zerfließen wie ein Bild aus weichem Wachs. Ich wollte etwas sagen, aber selbst dazu fehlte mir die Kraft. Übelkeit stieg in meiner Kehle hoch, und in meiner linken Brustseite erwachte ein brennender, grausam heftiger Schmerz.

Ich verlor das Bewußtsein.

Es war aussichtslos.

Der Mob hatte die Scheune gestürmt, und die Handvoll Männer und Frauen, die nicht bereits dem ersten, wütenden Ansturm der Menge erlegen waren, kämpften einen hoffnungslosen Kampf.

Quenton ließ sich in einer verzweifelten Bewegung zur Seite fallen. Dort, wo soeben noch sein Kopf gewesen war, bohrten sich die rostigen Zinken einer Mistgabel ins Holz der Wand. Quenton rollte herum, langte nach den Beinen des Angreifers und schrie auf, als ihm der zweite Mann gegen die Schläfe trat.

Er hatte die beiden nicht einmal bemerkt. Der Kampflärm und das Grölen der Menge hatten ihre Schritte verschluckt, und er hatte nur durch Zufall aufgesehen und im letzten Moment den Schatten der Mistgabel erblickt, die der eine nach ihm stieß.

Aber es schien, als hätte er den Tod nur Sekunden hinausgezögert. Der Mann, den er von den Füßen gefegt hatte, stemmte sich bereits wieder hoch und griff mit wutverzerrtem Gesicht nach seiner Forke, während der zweite sich mit einem triumphierenden Schrei auf ihn warf. Seine Knie kamen auf Quentons Brustkorb zu liegen und trieben ihm die Luft aus den Lungen.

Schmerz durchzuckte ihn. Für einen winzigen, schrecklichen Moment drohten seine Gedanken in einem blutroten Nebel zu versinken. Er bäumte sich auf, tastete schwächlich nach dem Gesicht des Mannes, der wie eine häßliche, übergroße Kröte auf seiner Brust hockte und ihm mit den Knien gegen den Boden preßte, und schrie abermals auf, als der Mann seine Hände beiseite fegte.