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Der Mann nickte. Der Färbung seines Gesichtes nach zu schließen, hatte er Howard sogar sehr gut verstanden und glaubte ihm jedes Wort. Howard beugte sich vor, entfernte zuerst den improvisierten Knebel und löste dann die Fesseln, die seine Fußgelenke aneinanderbanden. Der Mann setzte sich auf, atmete ein paarmal tief und hörbar durch und sah Howard mit einer Mischung aus Angst und Verwirrung an. »Danke«, sagte er.

Howard ignorierte ihn, wandte sich zu Rowlf um und rüttelte sanft an seiner Schulter. Rowlf schlug die Augen auf und stöhnte leise.

»Du mußt aufstehen, Rowlf«, sagte Howard. »Nur einen Moment. Schaffst du das?«

»Ich kann Ihnen helfen«, sagte unser Gefangener. »Binden Sie mich los. Ich verspreche Ihnen, nicht zu fliehen.«

Howard blickte ihn einen Moment lang ernst an, dann schüttelte er den Kopf und versuchte, Rowlf beim Aufstehen behilflich zu sein. Er schaffte es, aber Rowlf kippte, schwach und vom Fieber gebeutelt, wie er war, wie eine Gliederpuppe zur Seite und wäre um ein Haar aus dem Wagen gefallen.

»Bind ihn schon los, Howard«, sagte ich leise. »Er wird nicht weglaufen. Wir brauchen ihn.« Ein sanftes, kaum merkliches Zittern lief durch das Holz unter mir, und ich spürte, wie sich der Wagen leicht auf die Seite legte, als versänke er immer noch weiter im Boden. Ich vertrieb den Gedanken und nickte Howard auffordernd zu.

Howard zögerte noch immer. Sekundenlang blickte er den hochgewachsenen, dunkelhaarigen Mann nachdenklich an, dann lehnte er Rowlfs schlaffen Körper behutsam zurück, zog sein Taschenmesser und knibbelte mit vor Kälte steifen Fingern die Klinge heraus.

»Wie heißen Sie?« fragte er.

»McMudock«, antwortete unser Gefangener. »Lon McMudock.«

Howard sah ihn prüfend an. Man konnte direkt sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. Es sprach eine Menge dagegen, McMudock loszuschneiden. Immerhin hatte sein Kamerad versucht, mir mit der Axt einen zweiten Scheitel zu ziehen, und immerhin gehörte er zu den Leuten, die noch vor Tagesfrist darangegangen waren, uns alle drei bei lebendigem Leibe gleichzeitig zu verbrennen und zu ersäufen. Aber das, was vor uns lag, war kein gemütlicher Waldspaziergang. Wir konnten uns einfach nicht noch mit einem Gefangenen belasten. Aber wir konnten ihn auch nicht zurücklassen. Nicht nach dem, was wir vor wenigen Augenblicken gesehen hatten.

»Okay, Mister McMudock«, begann er. »Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, nicht zu fliehen? Und auch nicht zu schreien, falls Ihre Freunde auftauchen sollten? Wir lassen Sie laufen, sobald wir in Sicherheit sind, aber bis dahin ...«

McMudock nickte. »Ich verspreche es. Ich halte mein Wort, keine Sorge - fragen Sie Mary, wenn Sie mir nicht glauben.«

»Mary?«

»Er meint mich, Howard«, sagte Miß Winden. »Sie können ihm trauen. Ich kenne ihn. Er ist zwar ein Säufer und Raufbold, aber er hält sein Wort.«

Howard seufzte hörbar. »Nun gut«, sagte er. »Ich habe wohl keine andere Wahl.«

»Nicht, wenn Sie die Nacht überleben wollen«, sagte McMudock und streckte ihm die gefesselten Hände entgegen.

Howard funkelte ihn an. »Wie meinen Sie das?«

McMudock grinste und deutete mit einer Kopfbewegung auf seine aneinandergebundenen Handgelenke. »Schneiden Sie den Strick durch, und ich sage es Ihnen«, verlangte er.

Howard preßte die Lippen aufeinander, schnitt das Seil durch und klappte das Messer mit einer wütenden Bewegung zusammen. »Also?«

»Heute nacht kommen Sie nicht weiter«, sagte McMudock. Er bewegte die Arme, verzog das Gesicht und begann, seine schmerzenden Handgelenke zu massieren. »Nicht bei diesem Wetter und mit einer Frau und einem Verwundeten. Es sind mindestens drei Stunden bis Bettyhill, bei normalem Wetter. Bei dieser Dunkelheit und dem verfluchten Regen würden Sie bis Sonnenaufgang brauchen. Ganz davon abgesehen«, fügte er mit einem boshaften Lächeln hinzu, »daß Sie sich nach den ersten hundert Schritten hoffnungslos verirrt hätten. Sie bringen Ehren Freund um, wenn Sie es riskieren.«

»Und was schlagen Sie vor?«

»Es gibt ein verlassenes Jagdhaus, nicht sehr weit von hier«, antwortete McMudock. »Wir können in einer halben Stunde dort sein. Nicht gerade ein Palast, aber wenigstens hätten wir ein Dach über dem Kopf und könnten abwarten, bis es hell ist.«

Zwischen Howards Brauen entstand eine steile Falte. »Ein verlassenes Jagdhaus, wie?« wiederholte er. »Für wie dumm halten Sie mich, McMudock? An einem Ort wie diesem würden uns Ihre Freunde doch zuallererst suchen.«

»Kaum«, antwortete McMudock. »Es gibt nicht viele, die die Hütte überhaupt kennen. Und selbst wenn, könnten sie kaum vor Sonnenaufgang dort sein.«

»Wir müssen es riskieren«, sagte ich. »Rowlf hält eine Nacht im Sattel nicht durch.« Wieder lief ein sanftes Zittern durch den Wagen, und ich spürte, wie das Gefährt ein Stück tiefer einsank, als säßen wir nicht im Schlamm, sondern in Treibsand fest.

»Gut«, sagte Howard schließlich. »Riskieren wir es. Aber ich warne Sie, McMudock. Wenn Sie uns hintergehen ...«

»Sie haben mein Wort«, unterbrach ihn McMudock scharf. Howard blickte ihn trotzig an, dann nickte er, stand auf und beugte sich über Rowlf.

»Helfen Sie mir«, verlangte er. »Und du, Robert, spannst die Pferde aus. Aber gib acht, daß sie dir nicht durchgehen.«

Der Wagen schaukelte wie ein leckgeschlagenes Boot, als ich behutsam vom Bock stieg und durch den wadentiefen Schlamm zu den Pferden ging. Der hintere Teil des Wagens lag jetzt auf dem Boden auf, und die Räder waren bis weit über die Achsen verschwunden, aber er versank immer noch weiter. Der Regen mußte den Boden metertief aufgeweicht haben.

Miß Winden half mir, die Pferde auszuspannen und die Schirriemen zu improvisierten Zügeln zusammenzuknoten, während Howard und McMudock sich bemühten, Rowlf aus dem Wagen zu heben, ohne ihm dabei mehr Schmerzen zuzufügen, als unumgänglich war. Es dauerte fast zehn Minuten, bis wir ihn auf den Rücken eines der beiden Pferde gelegt und so festgebunden hatten, daß er nicht herunterfallen konnte. Anschließend halfen wir Miß Winden, auf den Rücken des zweiten Tieres zu steigen.

Kurz bevor wir losgingen, sah ich noch einmal zurück. Der Wagen war weiter im Morast versunken; der braune Schlamm begann bereits über seinen Rand zu schwappen und kleine ölige Pfützen auf seinem Boden zu bilden. Es war ein bizarrer Anblick. Unter unseren Füßen war massives Erdreich, aber der Wagen sank wie ein leckgeschlagenes Boot. Fast, als würde er vom Boden aufgefressen.

Das Ding hatte weiter an Masse verloren und war jetzt kaum mehr größer als ein Ball, nicht viel mehr als eine schwarze knotige Verdickung im Zentrum des gigantischen unterirdischen Netzes, in das sich sein Körper verwandelt hatte. Das Gewebe durchzog den Boden des Waldes auf Meilen und Meilen, unsichtbar, aber immer noch weiter wachsend und immer feinere Verästelungen ausbildend, Fühler und Tastärmchen, hundertmal feiner als ein menschliches Haar.

Dann geschah etwas. Es wußte nicht, was, denn seine künstlich geschaffene Intelligenz reichte nicht aus, Schlüsse zu ziehen und aus Sinneseindrücken zu folgern. Es spürte nur, daß irgend etwas geschah, eine neue Komponente in sein eng begrenztes Universum trat und sich tief in seinem Inneren irgend etwas wie zur Antwort daraufrührte.

Es hörte auf zu wachsen. Für eine Weile tat es gar nichts, lag nur bewegungslos da und wartete, daß das genetische Programm, das seine Schöpfer in seine Zellen gepflanzt hatten, in Aktion trat und ihm sagte, was als nächstes zu tun war.

Es spürte nicht einmal, als es soweit war. In dem dumpfen Kosmos aus primitiven Instinkten, die kaum über Empfindungen wie Hunger und Schmerz hinausreichten, änderte sich nichts. Und doch hatte es sich gewandelt. Vorher war es nicht viel mehr als ein Parasit gewesen, ein schmarotzendes Ding, das nichts weiter als Gier und das Bedürfnis, sich auszubreiten und zu wachsen kannte.