»Festhalten!« schrie Howard. Aber sein Befehl kam zu spät. Brennan stieß einen zweiten Mann, der ihm den Weg versperren wollte, zu Boden, erreichte die Tür und sprang mit einem irrsinnigen Kreischen in die Dunkelheit hinaus.
McMudock fluchte, lief zum Kamin, riß einen brennenden Holzscheit aus dem Feuer und lief, das Holz wie eine Fackel schwingend, hinter ihm her.
Brennans Vorsprung betrug nicht einmal zehn Schritte, als er aus dem Haus stürmte - und trotzdem war er zu groß.
Das Mondlicht reichte nicht aus, viel mehr als Schatten zu erkennen, aber was wir sahen, war genug. Mehr als genug.
Brennan rannte wie von Furien gehetzt auf den Waldrand zu. Er stolperte immer wieder und fiel zweimal, und als er aufstand, schien ihm die Bewegung ungewöhnliche Mühe zu bereiten. McMudock setzte, ununterbrochen seinen Namen rufend und wild seine Fackel schwenkend, hinter ihm her, aber auch er schien aus irgendeinem Grunde Schwierigkeiten zu haben, richtig von der Stelle zu kommen, und blieb schließlich stehen.
Nicht so Brennan. Kreischend und wild mit den Armen in die Luft schlagend, als erwehre er sich des Angriffes unsichtbarer Angreifer, näherte er sich dem Waldrand.
Einer der mächtigen Schatten vor ihm bewegte sich, und Brennans Kreischen verwandelte sich in einen unmenschlichen Schrei.
Ich konnte nicht genau erkennen, was geschah. Es sah aus, als krümme sich der Baum. Seine Krone, über Nacht blattlos und kahl geworden, senkte sich wie eine gewaltige, vielfingrige Hand, griff in einer täuschend langsam erscheinenden Bewegung nach der winzigen Menschengestalt und packte zu.
Brennans Schrei verstummte. Aber das Krachen und Splittern des berstenden Holzes war beinahe noch schlimmer.
SIE versammelten sich tief auf dem Grunde des Meeres. Viele von ihnen waren noch unsicher; verstört und desorientiert durch den Schock, den SIE aus dem zeitlosen schwarzen Nichts, in das SIE verbannt worden waren, herausgerissen und in diese neue, noch unbekannte Welt geschleudert hatte. Aber SIE lernten schnell, und SIE stellten sich mit der unheimlichen Anpassungsfähigkeit einer Rasse, die es gewohnt war, Welten zu beherrschen und mit Völkern zu spielen, in Jahrmillionen zu denken und die Abgründe der Ewigkeit zu durchmessen, auf ihre neue Umgebung ein. SIE hatten nur Sekunden gebraucht, ihre Körper auf ihre neue, im ersten Moment feindliche Umgebung einzustellen, und SIE brauchten nur Stunden, einen Plan zu fassen, diese Welt zu unterjochen, sich das Leben, das Milliarden Jahre gebraucht hatte, den Planeten zu erobern, in einem Bruchteil dieser Zeit Untertan zu machen.
Ihre Versammlung endete so lautlos, wie sie begonnen hatte, und selbst wenn ein Mensch in diesem Moment hier, in der Weite des Ozeans, anwesend gewesen wäre, hätte er nicht mehr als eine Anzahl gigantischer Schatten gesehen, die tief unter der Oberfläche des Meeres pulsierten.
Dann verschwanden SIE, lautlos und schnell wie die Furcht, die auf unsichtbaren Beinen durch die Nacht schleicht. Nur einer blieb zurück, Yog-Sothoth selbst, der Herr der Meere, aber auch er blieb passiv. Er war ein Gott, ein Gott des Bösen und des Hasses, und er war es nicht gewohnt zu handeln. Er hatte es tun müssen, wider seine Natur, aber jetzt, als seine Diener zurückgekehrt waren, brauchte er nur noch zu befehlen. Er war nicht mehr allein. Die zwölf Mächtigsten der Mächtigen waren durch die Schlünde der Zeit zu ihm emporgestiegen. Und mit ihnen ein Heer jener Kreaturen, die ihnen schon einmal geholfen hatten, sich diese Welt Untertan zu machen.
Sekundenlang war es vollkommen still. Selbst das Heulen des Windes schien für einen Moment innezuhalten. Dann stieß einer der Männer neben mir einen sonderbaren, keuchenden Laut aus, schlug die Hände vor den Mund und taumelte zurück ins Haus, und auch die anderen erwachten nacheinander aus ihrer Erstarrung.
»Hol ihn zurück«, flüsterte Howard. Seine Stimme klang flach, gepreßt und so, als koste es ihn alle nur erdenkliche Kraft, nicht einfach loszuschreien. Ich merkte erst jetzt, daß sich seine Finger durch den Stoff meiner Jacke in meinen Arm gekrallt hatten. »Hol... McMudock zurück«, sagte er noch einmal. »Schnell.«
Ich nickte, löste behutsam seine Hand von meinem Arm, ging ins Haus zurück und nahm die Lampe auf, die Brennan bei seiner sinnlosen Flucht stehengelassen hatte. Miß Winden, die als einzige nicht aus dem Haus gestürzt war, sah mir aus schreckgeweiteten Augen entgegen, schwieg aber, als sie meinen Blick bemerkte. Sie mußte die Schreie gehört haben. Aber ich hätte ihr im Moment auch nicht antworten können, wenn sie gefragt hätte. Meine Kehle war wie zugeschnürt.
Ich nahm die Lampe auf, tastete - obwohl ich ganz genau wußte, wie sinnlos es war - instinktiv nach dem Revolver in meiner rechten Jackentasche und trat wieder aus dem Haus. McMudock hatte sich noch nicht von der Stelle gerührt, sondern stand noch immer reglos wie eine Statue an der Stelle, an der er stehengeblieben war, als sich Brennans Schicksal erfüllte.
Als ich neben ihm ankam, erwachte er wie aus einem Schlaf. Sein Blick war verschleiert; er schien mich gar nicht zu erkennen, im ersten Moment. Dann klärte sich sein Blick.
»Großer Gott!« stammelte er. »Der ... der Baum hat ihn ... er hat...«
»Ich weiß«, sagte ich leise. »Ich habe es gesehen.« Ich wollte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter legen, aber er schlug meinen Arm beiseite und prallte einen Schritt zurück.
»Nichts weißt du!« keuchte er. »Der Baum hat ihn gefressen, verstehst du? Er hat ihn ... mein Gott... er ... er hat ihn verschlungen ...«
Einen Moment lang starrte ich ihn ungläubig an, dann wandte ich mich um, hob die Lampe ein wenig höher und ging, trotz der rasenden Angst, die in meinen Eingeweiden wühlte, ein paar Schritte auf den Waldrand zu.
Ich weiß nicht, was ich erwartete: eine Leiche, einen zerschmetterten Körper, vielleicht auch nur Blut oder Fetzen seiner Kleidung - aber vor mir war nichts.
Die Stämme des Waldes erhoben sich glänzend und nackt wie polierte Marmorsäulen vor mir, und das Unterholz sah in der Dunkelheit aus wie Stacheldraht. Aber von Brennan war nicht mehr die geringste Spur zu sehen. Er war verschwunden.
»Geh nicht näher!« keuchte McMudock.
Ich hütete mich, auch nur noch einen Schritt zu tun. Vorsichtig bewegte ich mich ein Stück rückwärts, blieb neben McMudock wieder stehen und blickte nach rechts und links. Wir waren allein auf der Lichtung, aber die Dunkelheit schien von huschenden Schatten und wispernden Stimmen erfüllt zu sein.
»Er hat ihn verschlungen«, stammelte McMudock. »Einfach so. Der ... der Baum hat ...«
»Beruhigen Sie sich«, sagte ich leise. Wieder wollte ich auf ihn zutreten, aber mein Fuß verfing sich, und ich stolperte und wäre um ein Haar gefallen. Fluchend machte ich einen gewaltigen Schritt zur Seite, um mein Gleichgewicht wiederzufinden, senkte die Lampe und starrte zu Boden.
Der braune Morast war verschwunden. Dort, wo noch knöcheltiefer Schlamm gewesen war, als wir hierher gekommen waren, bot sich meinen Blicken jetzt eine schwarzbraune, unentwirrbar ineinander verflochtene Masse dünner Wurzeln und Pflanzenfasern. Das also war es, worüber Brennan und McMudock gestolpert waren ...
Verwirrt blickte ich McMudock an, ließ mich in die Hocke sinken und berührte eine der Wurzelfasern mit den Fingern. Sie fühlte sich kalt und naß an, viel kälter, als sie hätte sein dürfen. Und sie schien unmerklich zu pulsieren. Angeekelt zog ich die Hand zurück und richtete mich wieder auf.
»Das war noch nicht da, als wir gekommen sind«, sagte ich. »Ich bin sicher.«
McMudock nickte wortlos. Das Holzscheit in seiner Hand brannte knackend herunter, und die Flammen näherten sich bereits seinen Fingern. Er schien es nicht einmal zu bemerken. Winzige glühende Funken fielen zur Erde und verzischten auf dem feuchten Geflecht aus Wurzelwerk.
»Das ... das ist dasselbe Zeug, in dem sich der Wagen verfangen hatte«, sagte er mit bebender Stimme. »Es ... es kommt näher, Robert! Es wird uns alle verschlingen!«