In seiner Stimme war ein Ton, der mich alarmierte. Ich sah zum Haus zurück. Howard stand noch immer unter der Tür und gestikulierte nervös in unsere Richtung, und der Wald hinter dem Haus schien massiger und dunkler geworden zu sein. Für einen Moment bildete ich mir wirklich ein, er wäre näher gekommen.
»Beruhigen Sie sich, Lon«, sagte ich leise. »Kommen Sie - wir gehen zurück.«
Er nickte, rührte sich aber nicht von der Stelle, sondern starrte weiter aus erschrocken aufgerissenen Augen auf das schwarze Wurzelgeflecht. Ich war nicht sicher, aber im flackernden Licht seiner Fackel sah es aus, als bewege es sich ...
Mit einem Ruck fuhr ich herum, packte ihn an der Schulter und zerrte ihn fast mit Gewalt hinter mir her. Der Boden unter meinen Füßen schien zu vibrieren, als schritten wir über ein gewaltiges Trampolin. Ich mußte vorsichtig gehen, um mich nicht in einer der Millionen von Schlingen und gewachsenen Fallstricken zu verfangen. Die Wurzeln waren weit über die Mitte der Lichtung gewachsen und näherten sich dem Haus.
Howard trat schweigend beiseite, als wir durch die Tür traten. Er schien etwas sagen zu wollen, aber ein Blick in McMudocks schreckensbleiches Gesicht ließ ihn verstummen.
McMudock ging zum Kamin, warf den brennenden Holzscheit hinein und rieb die Hände über den Flammen. Auf der Treppe polterten Schritte. Ich sah auf und erkannte zwei der Männer aus Durness, die nebeneinander die ausgetretenen Stufen hinabgestolpert kamen. Ihre Gesichter waren kaum weniger bleich als das von McMudock.
»Was ist mit... mit Brennan?« fragte Howard leise.
»Er ist tot«, antwortete ich, ohne ihn anzusehen. »Verschwunden.«
»Verschwunden? Was heißt das?«
McMudock sah alarmiert auf und preßte die Kiefer aufeinander, so fest, daß ich seine Zähne glaubte knirschen zu hören.
»Irgend etwas hat ihn weggeschleppt«, log ich. Und dann fügte ich in einem Tonfall, der mich selbst erschreckte, hinzu: »Es kommt näher, Howard.«
»Was kommt näher?«
»Die Wurzeln«, keuchte McMudock, ehe ich antworten konnte. Sein Blick war starr in die prasselnden Flammen des Kaminfeuers gerichtet. »Es kommt näher. Es ... es hat das Haus umzingelt. Wir sitzen in der Falle und -« Er brach ab, als er selbst merkte, daß er erneut die Beherrschung zu verlieren drohte.
»McMudock hat recht«, fügte ich hinzu, als er nicht weitersprach, »Die halbe Lichtung ist bereits von dem Zeug überwachsen. Wenn es weiter so schnell wächst, dann ist es in einer Stunde hier.«
Howard schwieg erschrocken. Es war nicht schwer zu erraten, was hinter seiner Stirn vorging; sein Blick spiegelte die Angst, die er spürte, wider. Aber seine Stimme klang fast unnatürlich ruhig, als er weitersprach. »Wir müssen hier weg, so schnell wie möglich.«
McMudock lachte schrill. »Weg?« keuchte er. »Keine zehn Pferde kriegen mich dort hinaus, bei dieser Dunkelheit.«
»Es wäre Selbstmord«, pflichtete ich ihm bei. »Man sieht die Hand vor Augen nicht, Howard. Wir können gar nichts tun, solange es nicht hell wird.«
»Und wann wird das sein?«
McMudock überlegte einen Moment. »In zwei Stunden«, murmelte er. »Vielleicht auch zweieinhalb. Eher nicht.«
»Zwei Stunden ...« Howard seufzte. »Das ist eine verdammt lange Zeit...« Er stand auf, ging zur Tür und blickte einen Moment in die Dunkelheit hinaus, die wie eine schwarze Wand vor dem Eingang lag. Nicht einmal ein Stern war am Himmel zu sehen. Es war, als wäre das Haus unter einer Glocke aus Finsternis und Schweigen gefangen. Und trotzdem bewegte sich dort draußen etwas. Man hörte es nicht und man sah es nicht. Aber es war da.
Rowlf erwachte, als sich das erste Grau der Dämmerung über den Wipfeln des Waldes zeigte. Wir hatten seine Kleider getrocknet so gut es ging, und Howard und einer der Männer aus Durness - sie hatten uns ihre Namen genannt und sich vorgestellt, aber ich hatte sie mir nicht gemerkt - halfen ihm, sich vorsichtig von seinem improvisierten Lager zu erheben und sich anzuziehen. Das Fieber war besiegt. Seine Stirn war noch heiß, und sein Gesicht wirkte eingefallen und blaß, mit grauen, kränklichen Schatten auf den Wangen, die Augen tief in den Höhlen liegend und glanzlos, aber es war, wie Mary gesagt hatte: Nachdem das Fieber zurückgedrängt worden war, erholte er sich schnell. Er war noch schwach und etwas wackelig auf den Beinen, aber er würde reiten können, wenn wir ihm halfen, auf ein Pferd zu kommen.
Während sich Howard, Mary und ich um ihn bemühten, hielt einer der Männer aus Durness an der Tür Wache, ein Gewehr, das ihm überhaupt nichts nutzen würde, aber wenigstens sein Selbstvertrauen stärken mochte, in den Händen. Der Himmel hellte sich rasch auf, und mit der Dämmerung krochen Schatten in das Haus. Es wurde kälter. Wir hatten die vergangenen zwei Stunden dicht aneinandergedrängt am Kaminfeuer verbracht, und der schmerzende Eisklumpen, der sich in meinem Inneren gebildet hatte, war verschwunden. Aber er würde wiederkommen. Obwohl der Regen aufgehört hatte, waren die Temperaturen draußen beständig gefallen, und auf dem schwarzen Geflecht, das das Gras der Lichtung abgelöst hatte, glitzerten Rauhreif und Eis. Auch mit den Pferden würden wir Stunden brauchen, um den Wald zu verlassen und Betryhill zu erreichen.
»Wir müssen die Pferde holen«, sagte Howard. »Und jemand sollte hinausgehen und sehen, wie dicht dieses verdammte Zeug schon heran ist.«
»Das mache ich«, bot sich McMudock an. Er hatte sich wieder gefangen und wirkte jetzt schon fast unnatürlich ruhig. Aber das war nur Tarnung; eine Maske, unter der die Furcht und das Entsetzen weiterbrodelten. Ich hatte versucht, mich in seine Gedanken zu versetzen, aber es war mir nicht möglich gewesen. Für mich und Howard waren die Dinge schlimm genug; für McMudock und die anderen Männer mußten sie hundertmal entsetzlicher sein. Was sie sahen, war ein Stück aus einer anderen Welt, einer Welt, die ihnen vollkommen fremd und unbegreiflich sein mußte. Im Grunde war es ein Wunder, daß noch keiner von ihnen zusammengebrochen war oder eine Kurzschlußhandlung begangen hatte. Aber das konnte noch kommen. Der winzigste Anlaß mochte genügen, die unerträgliche Spannung zur Explosion zu bringen.
»Ich komme mit«, sagte ich. McMudock nickte stumm, bückte sich nach einer der Äxte, die Brennans Männer mitgebracht hatten, und reichte sie mir. Er selbst zog ein fast unterarmlanges Messer aus dem Stiefel und grinste, als er meinen erschrockenen Blick bemerkte. Er mußte die Waffe die ganze Zeit bei sich getragen haben. Howard und ich hatten es nicht einmal gemerkt.
Einer der Männer aus Durness schloß sich uns an, als wir aus dem Haus traten und uns nach rechts wandten, um den Schuppen auf der Rückseite des Gebäudes zu erreichen.
Es wurde hell. Die Dämmerung ließ graues Licht durch die niedrig hängende Wolkendecke sickern, in der schwachen Helligkeit wirkte der Anblick unwirklich und furchteinflößend.
Der Wald war kahl geworden. Unterholz und Bäume waren nicht verschwunden wie auf der Lichtung, die wir während der Nacht überquert hatten, aber sie waren nackt; nirgendwo war der kleinste Tupfer von Grün zu sehen. Die Büsche standen wie nackte knotige Gebilde aus Stacheldraht auf dem Waldboden, und die Kronen der mächtigen, hundert Jahre alten Eichen reckten sich wie grauschwarze, metallene Krallen in den Himmel. Blattwerk, Moos und Flechten waren verschwunden.
So wie das Gras.
Statt des aufgeweichten grünen Teppichs, über den wir am Abend zuvor auf die Hütte zugegangen waren, bot sich unseren Blicken ein schwarzes, glänzendes Etwas dar, ein dichter, fast wadenhoher Teppich aus ineinander verwachsenen Wurzeln und Fäden. Und er bewegte sich.
Ein Gefühl unbeschreiblichen Ekels stieg in mir hoch. Die Bewegung war im einzelnen nicht wahrzunehmen - sah man genauer hin, dann lagen die fingerdünnen Stränge reglos und wie tot da - aber im Ganzen war die braunschwarze Masse von einer mühsamen, pulsierenden Bewegung erfüllt. Wie Würmer, dachte ich. Es sah aus, als wäre die Lichtung von einem gewaltigen, lebenden Teppich schwarzer, ekelhafter Würmer bedeckt. Instinktiv packte ich die Axt fester.