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Er würde Rowlfs Bein verletzen, wenn er versuchte, das Ding herunterzuschneiden.

Aber er tat es nicht. Die Spitze des Dolches ritzte die beinharte Oberfläche des Wurzelfingers nur ganz leicht.

Eine halbe Sekunde lang geschah gar nichts. Dann begann der Wurzelstrang zu zucken wie ein Wurm. Sein tödlicher Würgegriff lockerte sich. Mit einem letzten, krampfartigen Zucken rutschte er von Rowlfs Bein, fiel auf den Boden - und begann zu grauem Staub zu zerfallen ...

Rowlf schrie auf, fiel nach hinten und blieb, beide Hände gegen sein rechtes Bein gepreßt, liegen, kleine, wimmernde Schmerzlaute ausstoßend.

Mein Blick richtete sich ungläubig auf das Messer in Howards Hand. Ich sah erst jetzt, daß auf der Klinge winzige Tröpfchen einer grauen, schleimigen Masse glitzerten ...

»Der ... der Shoggote ...«, murmelte ich. »Howard, das ist die Rettung. Das Zeug stirbt, wenn es mit ihm in Berührung kommt!«

Howard nickte. Sein Gesicht war schneeweiß geworden. Aber er kam nicht dazu zu antworten. Ein weiterer, gellender Schreckensschrei erscholl von der Tür her, und als ich aufblickte, sah ich, wie Miß Winden wie von einem Fausthieb getroffen zurücktaumelte. Hinter ihr, dort, wo die obersten Stufen der zerborstenen Treppe gewesen waren, erschien ein Wald zitternder, schwarzbrauner Fühler ...

»Es kriecht die Wände herauf!« brüllte McMudock. »Um Gottes willen - es kommt herauf!«

Howard fluchte, sprang auf die Füße und zerrte mich hinter sich her. Unter der Tür erschien ein gewaltiger Klumpen zitternder, kriechender Schwärze. Dünne, pulsierende Stränge griffen wie zuckende Nervenfäden auf den Dachboden hinauf, krallten sich in den morschen Brettern fest und bildeten die Verankerung für andere, nachfolgende. Howard zog mich herum und deutete auf den Schreibtisch.

»Hilf mir!« befahl er.

Ich zögerte. Ich wußte, daß es unsere einzige Chance war, aber der Gedanke, die ekelhafte, bereits in Verwesung übergegangene grauglitzernde Masse mit den Händen berühren zu müssen, war mir unerträglich.

»Robert!« flehte Howard. »Wir müssen es riskieren! Aber ich schaffe es nicht allein! Bitte!«

Ich schloß die Augen, versuchte das Gefühl des Ekels, das aus meinem Magen emporstieg und meinen Mund mit bitterer Galle und dem Geschmack von Erbrochenem füllte, zu ignorieren - und griff mit beiden Händen zu.

Es war das Ekelhafteste, was ich jemals zuvor erlebt hatte. Meine Hände schienen in der schleimigen Masse zu versinken wie in feuchtem klebrigem Sirup, dann spürte ich körnigen Widerstand und packte zu.

Schwarze Wurzelfinger griffen nach unseren Beinen und versuchten, sich um unsere Knöchel zu ringeln, als wir den toten Shaggoten zur Treppe schleiften. Das Protoplasmawesen schien sich unter unseren Händen aufzulösen; große Teile lösten sich zäh wie klumpiges, halb geronnenes Pech aus der Masse und fielen mit widerlichem Klatschen zu Boden, und wo sie die Pflanzenmasse berührten, begann diese zu zerfallen; unheimlich schnell und lautlos. Es war wie eine Welle der Vernichtung, die uns begleitete und vorauseilte. Als wir die Tür erreichten, war unter unseren Füßen schon nichts mehr als graubrauner Schlamm und Staub.

Noch einmal raffte ich alle Kraft zusammen, die mir geblieben war, und schleuderte den Protoplasmaklumpen in die Tiefe, hinein in die wogende, zitternde Pflanzenmasse, die den Raum unter uns wie eine meterhohe Decke ausfüllte.

Der Erfolg trat fast augenblicklich ein. Die schwarze Wurzelmasse begann zu zucken; Rauch und Staub stiegen auf, als würde sie von lautlosen Explosionen zerrissen, und plötzlich gewahrte ich überall große, fransige Löcher wie von Säure, die sich mit tödlicher Wucht in die zitternde Masse hineinfraß.

Ich sah nicht mehr, wie sich der lautlose Angreifer in weniger als einer Minute in graubraunen Staub verwandelte, sondern kniete neben Howard vor der Tür und übergab mich würgend und immer und immer wieder.

Der Tod kam so lautlos, wie sich die Kreatur unter dem Wald ausgebreitet hatte. Sie spürte das nahende Unheil und versuchte, darauf zu reagieren, aber ihr Körper war zu weit verteilt, das Netz zu gewaltig und die Falle zu perfekt, um sie in der Kürze der verbliebenen Zeit entwirren zu können. Der pulsierende, aufgedunsene Balg in der Höhle tief unter dem Waldboden wuchs, im gleichen Maße, in dem sich ihre Fühler aus Pflanzen und Wurzeln und Bäumen, deren Struktur sie durchdrungen und für eine kurze Zeit in etwas anderes. Widernatürliches verwandelt hatte, zurückzogen, aber der lautlose Tod raste zehnmal schneller heran, als die Plasmamasse durch die millionenfach verästelten Kanäle zurückfließen konnte.

Es ging ganz schnell. Der Körper des DINGS begann sich grau zu färben, zuckte noch einmal - und zerfiel.

Weit, weit draußen unter dem Meer begann sich ein titanischer Schatten zu bewegen. Er hatte gewartet und beobachtet, und er registrierte die Niederlage seiner Kreatur mit der Gleichmütigkeit einer Maschine. Zeit bedeutete ihm nichts, und er hatte Millionen Helfer, die den einen, verlorenen, ersetzen konnten.

Mit einer lautlosen Bewegung stieß er seinen Titanenkörper vom Meeresgrund ab und begann sich zu entfernen, weg vom Land und hin zu den tieferen Gefilden des Ozeans, den schwarzen, lichtlosen Abgründen, die noch keines Menschen Auge gesehen hatte. Er würde wiederkommen. Vielleicht schon morgen, vielleicht erst in hundert Jahren. Seine Zeit war unbegrenzt. Aber er würde wiederkommen.

Irgendwann.

Es war fast Mittag, als wir das Haus verließen und uns auf den Weg machten. Es war nicht leicht gewesen, aus dem Dachboden herabzusteigen, und keiner von uns hatte noch die Kraft gehabt, sofort loszumarschieren. Selbst jetzt, nachdem ich fast zwei Stunden geruht und Miß Winden meine Wunden versorgt und verbunden hatte, fühlte ich mich zerschlagen und müde. Der Weg, der vor uns lag, kam mir endlos vor.

Es war ein unwirklicher, erschreckender Anblick, der sich darbot, als wir das Haus verließen. Die Lichtung lag grau und tot vor uns, knöcheltief bedeckt mit feinkörnigem Staub, den das Wasser, das der Boden gespeichert hatte und jetzt langsam wieder freigab, allmählich in schmierigen braunen Matsch verwandelte, und der Wald dahinter sah aus, als wäre er niedergebrannt. Die Bäume waren kahl, so weit das Auge reichte. Die Stille des Todes hatte sich über dem Wald ausgebreitet.

»Glauben Sie, daß ... daß es wirklich tot ist?« fragte McMudock leise. Die Worte galten Howard, nicht mir, aber ich wandte mich trotzdem zu ihm um, lächelte - mit einer Zuversicht, die ich nur mit Mühe heucheln konnte - und nickte.

»Es ist besiegt«, sagte ich. »Wäre es nicht so, dann wären wir jetzt alle tot, McMudock.«

»Lon«, verbesserte er mich.

»Lon.« Ich lächelte. »Ihr ... geht zurück nach Durness?«

Er schwieg einen Moment. Sein Blick glitt hinüber zu den beiden Männern, die als einzige von Brennans kleiner Streitmacht Übrigbeblieben waren. »Ja«, sagte er schließlich. »Wenn es noch steht.«

»Warum kommen Sie ... kommst du nicht mit?« fragte ich. »Ich könnte einen Freund wie dich gebrauchen.«

Lon lächelte verlegen. Einen Moment lang schien er ernsthaft über meinen Vorschlag nachzudenken, dann schüttelte er den Kopf, sah zu Boden und begann nervös an dem Gewehr herumzuspielen, das er in den Händen trug. »Mitkommen?« wiederholte er. »Ich glaube nicht, daß das eine gute Idee wäre, Robert. Ich gehöre hierher, nicht zu euch. Alles, was ich brauche, ist eine gute Kneipe und genug Bier, um das alles hier zu vergessen.« Plötzlich grinste er. »Das Leben mit euch wäre mir zu aufregend, weißt du? Aber vielleicht sehen wir uns ja irgendwann einmal wieder.«