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»Und nun zu dir.« Ich wandte mich an Howard. »Was willst du?«

Howard preßte die Lippen zusammen und musterte mich einen Herzschlang lang schweigend.

»Du hast dich verändert, Junge«, sagte er schließlich. »Es geht mich vielleicht nichts an, aber du solltest besser nicht ohne Hut auf die Straße gehen. Die Leute beginnen schon über dich zu reden ...«

»Die Leute«, sagte ich verächtlich. »Was gehen mich die Leute an? Die sollen sich um ihren eigenen Dreck scheren.«

»Du solltest mittlerweise wissen, daß sie gerade das nicht tun«, sagte Howard. »Oder hast du vergessen, daß man dich vor kurzem noch beinahe gelyncht hätte?«

»Nicht nur mich«, brummte ich. »Außerdem ist das hier etwas ganz anderes.«

»Ach ja? Und warum, wenn ich fragen darf?«

Ich holte tief Luft, stemmte die Hände in die Hüften und sah Howard so feindselig an, wie ich konnte. Howard wußte ja nicht, wovon er redete.

»Kümmere dich bitte um deinen eigenen Kram«, sagte ich, schärfer, als ich beabsichtigt hatte. »Ich sehe überhaupt keinen Grund, warum du und Rowlf immer noch hinter mir herschleichen.«

Howard schluckte. Der kummervolle Ausdruck in seinen Augen verschwand und machte einem ärgerlichen Funkeln Platz. Fast begann mir meine gehässige Bemerkung leid zu tun, aber anstatt ruhiger zu werden, spürte ich eine wachsende Erregung in mir.

Die Worte sprudelten aus mir hervor, bevor ich sie zurückhalten konnte.

»Und wo wir gerade dabei sind«, fuhr ich fort, »laß bitte dein altväterliches Getue sein, ja? Ich weiß sehr gut, was ich zu tun und zu lassen habe.«

Howard nickte, ganz langsam und bedächtig. »Vielleicht hast du recht, Junge. Trotzdem würde ich gerne mit dir reden. Und wenn es geht, nicht unbedingt auf der Straße ...«

»Damit die Leute nicht über uns reden, was?« Ich versuchte mich zusammenzureißen und die bösen Worte zu unterdrücken, die mir noch auf der Zunge lagen. Es war mir vollends bewußt, daß ich mich unmöglich und ganz gegen meine Natur verhielt, aber dieses Wissen machte mich nur noch wütender.

»Von mir aus«, brachte ich schließlich halbwegs ruhig hervor. »Und wo?«

Howard griff mich beim Arm und führte mich wortlos in eine Seitenstraße, in der eine Kutsche wartete. Bevor ich wußte, was er vorhatte, stieg er ein und forderte mich auf, es ihm gleichzutun. Ich zögerte einen Moment und folgte ihm dann.

Sean trank sein Glas aus, bedankte sich für die Unterhaltung und ließ sich von dem Wirt sein Zimmer zeigen.

Es war klein, schäbig eingerichtet und natürlich ungeheizt, aber es war auch preiswert. Sean konnte sich an weit schlechtere Zimmer erinnern, in denen es von Ungeziefer wimmelte, Wasser von der Decke tropfte und eisige Zugluft durch schlecht verkleidete Ritzen blies.

»In Ordnung«, sagte er und nickte dem Wirt zu. »Ich werde mich gleich aufs Ohr legen. Ich habe einen recht anstrengenden Tag hinter mir.«

Der Wirt wünschte ihm eine gute Nacht und ließ ihn allein. Sean setzte sich auf die Kante des Bettes, das für einen kleineren Menschenschlag gezimmert worden war, und fragte sich, warum man ihm immer zumutete, sich wie eine Sardine zwischen zwei zu eng stehende Bettpfosten zu quetschen.

Eine große Gestalt brachte nicht immer nur Vorteile mit sich. Es machte keinen besonderen Spaß, entweder kalte Füße oder Kopfschmerzen zu haben, wenn man erwachte.

Allerdings hatte er nicht vor, die ganze Nacht im Bett zu verbringen. Das Gespräch mit dem Wirt hatte ihm bestätigt, daß er auf der richtigen Spur war.

Natürlich konnte er den Morgen abwarten und sich im Tageslicht Mr. Baltimores sonderbares Etablissement ansehen, aber seine Erfahrung sagte ihm, daß man nachts oft vielmehr zu Gesicht bekam als bei Tag.

Er lehnte sich gegen die Wand und döste vor sich hin; eigentlich nicht mit der Absicht, zu schlafen.

Nach einer Weile schreckte er von einem Geräusch auf. Irgend jemand stieg die Treppe zum Dachboden hinauf, dann quietschte eine Tür und jemand murmelte etwas vor sich hin. Sean glaubte, die Stimme des Wirts zu erkennen.

Es kehrte Stille ein. Sean richtete sich vorsichtig auf, zog die Jacke über, die er vorher auf dem Stuhl neben dem Bett abgelegt hatte und wartete noch einen Moment. Dann öffnete er vorsichtig die Tür, schlich den dunklen Flur bis zur Treppe entlang und stieg Stufe für Stufe hinab.

Obwohl er sich bemühte, kein Geräusch zu machen, konnte er nicht verhindern, daß die Bohlen unter seinem Gewicht protestierend knarrten, aber die Stimmen und polternden Schritte, die er halbwegs als Echo erwartete, blieben aus.

Er erreichte den Schankraum, öffnete mit einem Dietrich die Tür und trat in die Nacht hinaus.

Es war kalt, kalt und dunkel. Ein feuchter Abendnebel zog den Weg herauf, der hinter dem Wirtshaus verlief. Er ließ alles undeutlich und verschwommen wirken, als ob in der Umgebung bis auf ein paar kahle Bäume und verfilzte Büsche alles Leben ausgestorben wäre. Als Sean an einem Tor vorbeikam, das den Weg zu einem dunklen Bauernhaus versperrte, kroch der Nebel wie ein graues, giftiges Gas über die Straße auf ihn zu; ein Vorhang aus nebelhaftem Nichts, hinter dem sich huschende Schatten und Bewegungen zu verbergen schienen.

Sean konnte sich eines unbehaglichen Gefühls nicht erwehren.

Trotzdem folgte er dem Weg nach rechts, überquerte ein dunkles Feld, und gelangte schließlich auf einer feuchten Wiese an, die sich bis zu einem großen Buchenhain hügelabwärts zog.

Er versuchte sich an die Beschreibung des Wirts zu erinnern, aber irgendwie bereitete es ihm Mühe, die Erklärungen, die er in einem hellen, freundlichen Schankraum gehört hatte, mit der kalten, nebelwallenden Wirklichkeit in Einklang zu bringen.

Er sah sich um.

Der Nebel war ihm nachgekrochen wie ein schwerfälliges Tier, das seiner Beute folgte, und ein sonderbarer, schwer zu definierender Geruch hing in der Luft. Sean erinnerte sich an den Buchenhain, und daran, daß er sich zwischen den Hügeln halten mußte, um auf den Wald zu stoßen.

Vor ihm erstreckte sich eine Wiese, die durch eine dicht wuchernde Hecke vom Dorf abgetrennt war und irgendwo in der Ferne auslief, ohne daß er erkennen konnte, wo. Der Nebel erstreckte sich jetzt auch vor ihm und begann, die Welt in ein Schattenkabinett zu verwandeln.

Als er die Hecke erreichte, entdeckte Sean eine Lücke in der grünen Mauer, die von einem Tor verschlossen wurde. Er zerrte am Gatter und zog es mühelos zur Seite. Obwohl ihm nicht wohl dabei war, zog er es hinter sich wieder zu.

Es war immerhin möglich, daß er nicht mehr ins Gasthaus zurückkehrte, und er wollte nicht, daß sie sofort wußten, wohin er gegangen war, auch wenn es sicher nicht schwer sein würde, es zu erraten. Er beschleunigte seine Schritte.

Es dauerte nicht lange, bis ihn das bedrohliche Dunkel des Waldes einhüllte. Die Hecke war an der Waldseite licht und wirkte teilweise wie abgefressen; er hatte keine Mühe, sie zu übersteigen und einen Pfad zu erreichen, der zwischen den Bäumen verschwand.

Aber der Boden war glitschig, und er verfluchte sein leichtes Schuhwerk, mit dem er nur schwer Halt fand. Der Nebel wanderte ziellos zu beiden Seiten des Pfads hin und her, verschonte aber seltsamerweise den Weg.

Die Baumreihen zu beiden Seiten wurden immer dichter, und er hatte Mühe, sich zurechtzufinden. Immer wieder stieß er gegen Äste und Gestrüpp, und manchmal mußte er sich mit ausgestreckten Händen weitertasten wie ein Blinder.

Und dann entdeckte er das Licht.

Zuerst hielt er es für Mondschein, der durch die dichte Wolkendecke brach, aber dann bemerkte er das Schwanken und unruhige Flackern einer Lampe. Es war ein trüber Lichtschein von der anderen Seite des Waldpfads, und er hielt auf ihn zu.

Sean blieb stehen. Er spürte, wie ihn ein kaltes Frösteln überlief. Es war ausgeschlossen, daß er um diese Zeit und in dieser Gegend auf einen Spaziergänger traf, und noch dazu auf einen, der mit einer Lampe ausgerüstet war. Er kannte keine Angst vor der Dunkelheit, auch nicht in gespannten Situationen, aber dieser Wald und dieser Nebel waren etwas Besonderes.