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Wie nannte es doch Acorn gleich? Es hatte irgend etwas mit Messe zu tun. Ja, richtig, Schwarze Messe, das war es. Sie flehten die Kräfte des Bösen um Unterstützung an, um dem Treiben des Doktors Einhalt zu gebieten.

Pri erreichte das Ende der Treppe und tastete sich vorsichtig durch das Dunkel des Kellergewölbes weiter. Sie durften hier kein Licht machen, wenn sie nicht auffallen wollten. Vom Personal wußte niemand etwas von dem alten Gewölbe, oder wenn sie es wußten, mieden sie es. Ein Glück für die Mitglieder der Schwarzen Verbindung, wie Acorn ihre kleine Gruppe nannte.

Er war ein schrecklich pedantischer Kerl und mußte immer für alles einen Namen haben. Und er war ein wenig unheimlich, aber gerechterweise mußte sich Pri eingestehen, daß sie ohne ihn gar nicht so weit gekommen wären.

Sie war nur noch ein paar Meter von der Abzweigung entfernt, die zu ihrem geheimen Treffpunkt führte, als sie ohne Vorwarnung von einem Schwindelanfall überrascht wurde.

Von einem Moment auf den anderen verlor sie vollkommen die Orientierung, und eine Welle der Übelkeit brach über ihr zusammen. Sie verhielt keuchend und suchte an der rauhen Wand des Ganges Halt. Feurige Kreise tanzten vor ihren Augen. Ihr Atem ging stoßweise, setzte kurze Zeit ganz aus, und beruhigte sich dann nur langsam.

Sie glaubte, einen Mann vor sich zu sehen, einen Mann mit einem gezackten weißen Haarstreifen und einem grausigen Ausdruck in den Augen. Ein Mann, der sie vernichten wollte.

»Nicht«, keuchte sie und streckte abwehrend die Hände aus.

Der Mann kam näher - sie spürte es, er kam seit Tagen näher - und er würde nicht ruhen, bis er sie vernichtet hatte! Es war etwas Bekanntes und Vertrautes in seiner Art, aber auch etwas Gnadenloses, das Pri entsetzte.

Sie hatte das Gefühl, daß sich der Kreis immer enger um sie schloß. Sie mußte hier raus, bevor es zu spät war, bevor sich dieser fremde und doch so vertraute Mann mit Dr. Baltimore verbinden konnte. Mit aller Kraft, die sie mobilisieren konnte, kämpfte sie das Schwindelgefühl nieder.

Sie wußte, was kommen würde, die harten, pochenden Kopfschmerzen, die sie besonders in den ersten Monaten ihres Aufenthalts gequält hatten, aber im Moment erschienen ihr selbst die Schmerzen erträglicher als die furchtbaren Visionen, das Gesicht, das sie in den Wahnsinn treiben wollte ...

So schlimm war es schon lange nicht mehr gewesen. Hinter ihren Schläfen hämmerte ein furchtbarer Schmerz. Sie war kaum in der Lage, einen vernünftigen Gedanken zu fassen, aber sie biß die Zähne zusammen und kämpfte sich vorwärts, Schritt für Schritt.

Irgendwo raschelte etwas, und dann huschte eines der üblen Geschöpfe vorbei, die in den Tiefen des Kellers hausten, eine Ratte. Trotz der fast allgegenwärtigen Dunkelheit glaubte sie, das bösartige Funkeln ihrer Augen zu sehen. Die Ratte verharrte vor ihr, einen kurzen Moment nur, aber lange genug, um ihren Blick auf sich zu ziehen.

Pri stöhnte auf. Sie hatte das Gefühl, glühende, heiße Dampfschwaden einzuatmen, und plötzlich sah sie den Mann wieder deutlich vor sich, den Mann, der sich auf den Weg gemacht hatte, sie zu vernichten, und dem sie zuvorkommen mußte. Sie streckte die Hände aus, fühlte einen schmerzhaften Stich durch ihre Arme rasen, und dann, plötzlich, war es vorbei.

Acorn stand vor ihr. Sein schmales, tief gefurchtes Gesicht zeigte Besorgnis. In der Rechten hielt er eine flackernde Kerze, und hinter ihm fiel ein schmaler Lichtstreifen durch die angelehnte Tür, die zum Heiligtum führte.

»Ist dir nicht gut, Pri?« fragte er.

Pri schüttelte den Kopf. »Es ... es geht schon wieder«, sagte sie leise. »Es ... war nichts. Nur ein Anfall.«

Acorn nickte verständnisvoll und ergriff sie beim Arm. Seine alterslosen Augen blieben ausdruckslos, aber seine Stirn wirkte noch stärker zerfurcht als sonst.

»Du hast geschrien, Pri«, sagte er. »So laut, als ob du unbedingt den Doktor auf uns aufmerksam machen wolltest.«

»Das ... tut mir leid«, flüsterte Pri.

Die Kopfschmerzen hatten nachgelassen, aber sie fühlte sich noch immer schwach und elend. Widerstandslos ließ sie sich von Acorn die wenigen Meter zum Heiligtum führen.

»Du hast einen Namen genannt«, sagte Acorn beiläufig, als er die Tür aufstieß und Pri zu ihrem Platz führte.

»Was für einen Namen?«

Acorn lächelte schwach. »Wenn ich mich nicht verhört habe, hast du Robert geschrien. Immer wieder.«

»Robert«, wiederholte Pri nachdenklich.

Der Name löste bei ihr einen entfernten Nachhall aus, aber sie konnte ihn trotzdem nicht unterbringen. Sie war sich sicher, daß es in ihrem Leben einmal einen Robert gegeben hatte, aber wann und wo?

Sie wußte wenig von dem Leben, das sie geführt hatte, bevor sie dem Doktor in die Hände gefallen war.

»War das alles?« fragte sie. »Oder habe ich noch etwas anderes gesagt?«

Acorn schüttelte den Kopf. »Gesagt hast du sowieso nichts. Du hast geschrien.«

Pri wischte seine Antwort mit einer Handbewegung zur Seite. »Es ist auch nicht wichtig«, behauptete sie. »Wir müssen den Bann brechen, der uns hier gefangenhält, etwas anderes zählt nicht. Wo ist Santers?«

Acorn zuckte mit den Achseln. In dem einfachen, grauen Anzug, den er trug, hätte man ihn auf den ersten Blick für einen Handelsreisenden halten können. Aber auch nur auf den ersten Blick.

In seinen Augen brannte ein fanatisches Feuer, das von ungeheurer Kraft und Unnachgiebigkeit zeugte. Es hatte lange gedauert, bis Pri zu ihm Vertrauen gefaßt hatte. Bis jetzt hatte sie es nicht bereut. Aber noch hatten sie auch nicht die Aufgabe erfüllt, die sie drei sich gestellt hatten.

»Er wird gleich kommen«, sagte Acorn gleichgültig.

Er schob seinen Stuhl etwas nach hinten. Staub wirbelte auf, irgendwo huschte etwas davon. Eine Spinne, die vor dem ungewohnten Licht floh, oder eine Ratte ...

Pri versuchte, nicht daran zu denken. Das Erlebnis in dem Gang, der Anfall und das unangenehme Zusammentreffen mit der Ratte hatten sie mehr mitgenommen, als sie sich eingestehen wollte.

»Es wird auch Zeit, daß er kommt«, sagte sie schroff.

Acorn bedachte sie mit einem überraschten Blick. »Aber du weißt doch, daß er noch eine Kleinigkeit zu erledigen hat«, sagte er vorwurfsvoll. »Sei froh, daß er sich dazu bereit erklärt hat. Wir beide wären doch nicht fähig dazu ...«

»Zu was?« Pri fühlte sich müde und zerschlagen, und sie hatte keine Lust, die ganze Nacht hier zu verbringen. »Von was sprichst du überhaupt?«

Acorn kniff die Augen zusammen. Zwischen den halbgeschlossenen Lidern hatte sein Blick Ähnlichkeit mit dem einer Schlange.

»Du wirst doch noch wissen, was heute für ein Tag ist?«

Pri dachte einen Moment nach. »Freitag? Nein ...? Donnerstag, nicht wahr?«

Acorn erhob sich abrupt und begann, auf und ab zu gehen. Seine Schritte hallten von den Wänden wider. Er ging bis zur gegenüberliegenden Wand, verharrte einen Moment, warf einen langen, nachdenklichen Blick auf die einsame Frauengestalt an dem großen, runden Tisch, und kehrte dann zurück.

Pri achtete nicht weiter auf ihn. Acorn war nicht immer Herr seiner Sinne, obwohl er sich im großen und ganzen recht vernünftig verhielt. Und im Vergleich mit Santers konnte man ihn fast für normal halten. Aber eben nur fast.

Sie seufzte. Es war ihr nichts anderes übriggeblieben, als mit den beiden Verrückten gemeinsame Sache zu machen. Schließlich hatten sie das gleiche Ziel, sie alle wollten hier raus, und das so schnell wie möglich.

Sie ahnte, daß Acorn ganz ähnliche Gedanken bewegten. Dabei wußte sie nur allzu gut, daß er sich für den Kopf ihrer kleinen Gruppe hielt. Ständig machte er ihr wegen ihrem ständig wechselnden Temperament oder ihren Gedächtnislücken Vorwürfe. Aber auch, wenn sie vergessen hatte, was heute für ein Tag war, brauchte er sich nicht so aufzuspielen.