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Richardson starrte ihn aus geweiteten Augen an, und dann nickte er schließlich.

»Sie haben recht«, preßte er hervor.

Sein Blick flackerte und beruhigte sich dann wieder. Der Schock, den er erlitten hatte, hielt ihn noch immer gepackt.

»Dort hinten«, sagte Richardson und deutete auf die gegenüberliegende Wand. »Rechts, am Vorsprung. Drehen Sie den Stein nach links. Dann ... dann öffnet sich die Tür.«

»Eine Geheimtür?« fragte Howard rasch.

Richardson nickte. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und wandte sich ab, als gingen ihn die anderen nichts mehr an.

»Rowlf!« sagte Howard. »Rasch! Öffne die Tür!«

Rowlf nickte. Auf seiner Stirn perlte Schweiß. Auch er schien unter dem Sauerstoffmangel zu leiden, der in dem Raum herrschte.

Mit ein paar Schritten war er bei dem Vorsprung, auf den Richardson gedeutet hatte. Seine mächtigen Muskeln spannten sich, ein scharfes Geräusch ertönte, als glitte Metall über Metall, und dann schwang ein Teil der Wand zurück. Augenblicklich drang frische, kühle Luft zu ihnen herein.

»Nichts wie raus«, murmelte Richardson.

Er ging mit schwankenden, unsicheren Schritten auf die Öffnung in der Wand zu, schob Rowlf beiseite und trat in den schwach erleuchteten Gang hinaus, der sich dahinter auftat. Bevor ihm Howard folgen konnte, drehte er sich noch einmal zu ihm um.

»Kommen Sie«, forderte er ihn auf. »Wir haben es geschafft. Wir sind bereits im Haus. Der Korridor führt direkt zu Baltimores Schlafzimmer.«

Seine Stimme klang wieder vollkommen normal, aber irgend etwas ließ Howard zögern. Er ahnte, daß sich auch Robert im Haus befand. Möglicherweise hatte er irgend etwas mit ihrem Erlebnis im Gang zu tun. Howard hoffte allerdings, daß das nicht der Fall war.

Aber was auch immer hier vorging, es war mehr als ein Zufall, daß es ausgerechnet in dieser Nacht stattfand. Howard hatte bereits oft genug erlebt, wie sich scheinbar sinnlose Ereignisse zum Schluß zu einem übersichtlichen Ganzen zusammengefügt hatten.

Aber nicht immer war das Ergebnis nach seinem Geschmack gewesen.

Richardsons Stimme riß ihn aus seinen Grübeleien. »Kommen Sie schon. Wir machen sonst noch das Personal auf uns aufmerksam.«

Howard und Rowlf setzten sich in Bewegung. Mit ein paar Schritten hatten sie Richardson eingeholt. Sie folgten ihm den Korridor hinauf. Das, was Howard für den schwachen Schein einer Kerze gehalten hatte, entpuppte sich als fahler Mondschein, der durch ein großes Fenster fiel. Seine Augen hatten sich so sehr an die Dunkelheit gewöhnt, daß es ihm nicht schwerfiel, sich zurechtzufinden, auch nachdem er die Fackel gelöscht hatte.

Sie erreichten eine schwere Eichentür am anderen Ende des Korridors. Richardson klopfte leise und drückte dann die Tür auf.

»Kommen Sie«, flüsterte er.

Er ging vor. Es war zu dunkel, um mehr als ein paar dunkle Schatten erkennen zu können. Nach seinen Schritten zu urteilen, bewegte er sich auf den Hintergrund des Zimmers zu.

Irgend etwas klirrte leise und fiel dann scheppernd zu Boden.

Howard und Rowlf verharrten mitten in der Bewegung. Howard glaubte, ein schabendes Geräusch zu hören, dann flammte ein Streichholz auf.

Baltimore saß kerzengerade im Bett, mit einer Nachtmütze auf dem Kopf und einem überraschten Ausdruck auf seinem verschlafenen Gesicht. In seiner rechten Hand hielt er ein Streichholz, das langsam abbrannte, als habe er vergessen, damit eine Kerze anzuzünden.

»Richardson!« stieß er hervor. »Was um alles in der Welt tun Sie um diese Zeit hier?«

Dann entdeckte er die beiden Gestalten im Hintergrund des Zimmers.

»Howard!«

Das Streichholz erlosch mit einem leicten Aufflammen, aber mittlerweile hatte Rowlf sich schon an der Petroleumlampe zu schaffen gemacht, die auf der Kommode am Fenster stand. Gelblicher Lichtschein erhellte das Zimmer.

Es dauerte ein paar Minuten, bis Howard Baltimore begreiflich gemacht hatte, was ihr nächtliches Eindringen zu bedeuten hatte. Als er das gespenstische Erlebnis in dem Geheimgang erwähnte, wurde Baltimore zusehends ernster.

»Das gefällt mir nicht, Howard«, sagte er leise. »Ich hoffe nur, daß wir nicht zu spät kommen.«

»Zu spät kommen?« fragte Howard. »Wie meinst du das?«

Baltimore zuckte mit den Achseln. Er war mittlerweile aus dem Bett gestiegen und hatte sich ein paar Kleidungsstücke übergeworfen.

»Wir müssen uns beeilen«, sagte er wortkarg. »Ich werde Henesey, meinen Butler, verständigen, und ihn das Personal zusammentrommeln lassen.«

Mit ein paar Schritten war er bei der Tür und trat auf den Gang hinaus. Die anderen folgten ihm. Sie eilten einen Seiteneingang entlang. Schließlich erreichten sie eine Tür, vor der Baltimore stehenblieb. Er klopfte mehrere Male, und als sich niemand meldete, schob er sie einfach auf.

Der Raum, den er betrat, war spartanisch eingerichtet. Außer einer Kommode, einem Stuhl und einem Bett war er vollkommen leer.

Das Bett sah unbenutzt aus. Entweder war Henesey noch nicht zu Bett gegangen, was angesichts der frühen Morgenstunde unwahrscheinlich war, oder er war bereits auf den Beinen.

»Das gefällt mir nicht«, murmelte Baltimore wieder.

Trotz seiner sechzig Jahre und der ungewöhnlichen Umstände wirkte er alles andere als müde oder verschlafen. Seine undurchdringlichen Gesichtszüge spiegelten keine Gefühle, aber Howard ahnte, daß das nur seiner mustergültigen Beherrschung zu verdanken war.

»Wo kann er nur sein?« fragte Richardson. »Er ist doch sonst so zuverlässig.«

Baltimore nickte. »Die Zuverlässigkeit in Person«, murmelte er geistesabwesend.

Er wandte sich an Howard. »Wie konnte es überhaupt passieren, daß Robert erfuhr, wo wir Priscylla versteckt halten?«

»Ist das im Moment nicht ziemlich nebensächlich?« fragte Howard seinerseits.

»Ganz und gar nicht«, behauptete Baltimore. »Es ist wahrscheinlich der Schlüssel zu eurem Erlebnis im Geheimtunnel und zu Heneseys Verschwinden. Wenn wir ...«

Er konnte seinen Satz nicht beenden.

»Hier is was«, unterbrach ihn Rowlf.

Er hatte die Dauer des Gesprächs dazu benutzt, sich auf dem Gang umzusehen. Augenscheinlich hatte er etwas gefunden. Er hockte ein paar Yards von den anderen entfernt auf dem Boden und fuhr prüfend mit der Fingerspitze über den Läufer.

»Sieht aus wie Blut«, fuhr er fort.

»Blut?« Howard und die anderen Männer waren mit ein paar Schritten bei ihm.

Howard hatte das Gefühl, daß sie sehr bald erfahren würden, warum sie den Butler nicht in seinem Zimmer vorgefunden hatten. Er hoffte nur, daß Robert nichts damit zu tun hatte ...

Rowlf erhob sich und nickte. »Führt zu der Tür da«, sagte er und deutete nach vorn.

»Mrs. Sundays Zimmer«, sagte Baltimore.

Er eilte ohne Zögern an Rowlf vorbei, riß die Tür auf und stürmte ins darunterliegende Zimmer, Howard folgte ihm. Zuerst wollte er aufatmen, als er einen dunklen Schatten im Bett liegen sah. Aber als Baltimore die Vorhänge aufriß, und bleiches Mondlicht in den Raum drang, unterdrückte er nur mit Mühe einen erschreckten Ausruf.

Im Bett lag ein Mann. Er war vollkommen angekleidet. Seine gebrochenen Augen starrten anklagend auf die Eindringlinge. Und in seiner Brust steckte ein Messer.

Sie kamen nicht dazu, den Leichnam genauer zu untersuchen. Vom Gang erscholl ein dumpfer Schrei, und irgendwo schlug eine Tür zu.

»Richardson!« rief Howard.

Er wirbelte herum und stürzte dicht vor Rowlf auf den Gang hinaus. Seine Augen irrten über die dunkle Wand, und schließlich entdeckte er Richardson.

Der Kaufmann stand mit vorgebeugtem Oberkörper am Treppengeländer und starrte in die Tiefe. Seiner Haltung nach zu urteilen, war er im Begriff, jeden Moment das Gleichgewicht zu verlieren.